Der Film "Der Fall Mäuserich" eröffnet am Samstag das 29. Internationale Kinderfilmfestival im Wiener Gartenbaukino.

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Filme konsequent aus der Perspektive der Kinder zu erzählen, ist ein Anspruch den auch der beim Festival gezeigte Film "Nur ein Tag" erfüllt.

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Der Film "Heavysaurs" erzählt von einer Gruppe Dinosauriern und einem Drachen, die Rockmusik lieben.

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Ein abgedunkelter Saal. Vorne die überdimensionale Leinwand. Und hunderte Kinder, die gebannt in ihren Kinosesseln sitzen, lachen, weinen, zittern und sich in eine andere Welt entführen lassen. "Kino ist mehr als nur Filmschauen. Es ist ein kollektives Erleben", sagt Martina Lassacher im Gespräch mit dem STANDARD. Seit 20 Jahren leitet sie gemeinsam mit anderen das Internationale Filmfestival in Wien.

Das fein kuratierte Programm lädt Kinder zu Reisen quer über den Globus ein: Neben Produktionen aus den Niederlanden und Skandinavien werden heuer Filme aus Mexiko, Brasilien, Burkina Faso und China gezeigt. Kleine Cineastinnen und Cineasten bekommen derart Einblicke in das Leben von Kindern anderswo. Die Filme werden meist nicht in Synchronfassung gezeigt, sondern vor Ort auf Deutsch eingesprochen. Festivalleiterin Lassacher: "Wir spielen die Filme in Originalfassung, weil fremde Länder und Kulturen besser in einer fremden Sprache vermittelt werden."

Geschichten aus Kinderperspektive

Die beim Festival gezeigten Filme werden konsequent aus der Perspektive der Kinder erzählt. Es sind vielfältige Geschichten abseits des Mainstreamkinderkinos, die in den nächsten Tagen über die Leinwände flimmern. Nach Prinzessin Lillifee und Ninja-Actionspektakel sucht man hier vergeblich. Statt klischeehafter Rollenaufteilung in Mädchen- und Bubenfilme werden einfach Filme für alle Kinder gezeigt. Allerdings ist es im Kinderfilmschaffen nicht sehr viel anders als in der erwachsenen Kinowelt: "Im internationalen Filmschaffen sind Buben viel stärker vertreten. Es gibt erheblich weniger Filme mit Mädchen als Protagonistinnen," sagt Lassacher.

Ab wann ein Kinobesuch mit Kindern empfehlenswert ist? "Wir fangen ab vier Jahren an. Aber es hängt jedes Jahr davon ab, ob wir gute Filme für die Altersgruppe finden", sagt Lassacher. Und: "Entscheidend ist, ob Kinder die filmischen Mittel verstehen, ob sie die Dramaturgie nachvollziehen können, ob sie fähig sind, so etwas wie Parallelmontage zu begreifen."

Das Festivalteam gibt dahingehend wohlüberlegte Altersempfehlungen ab. Mit vier bis fünf Jahren benötigen Kinder den episodischen Charakter und kleine Spannungsbögen, um eine Geschichte zu verstehen. Unterbrechungen mit Liedern bieten sich in diesem Alter an. Und die Figuren müssen groß und bunt sein, erklärt die Festivalleiterin. Vor dem vierten Lebensjahr mache Kino wenig Sinn. Ein guter Einstieg sei aber das Puppentheater ab zwei Jahren oder das Bilderbuchkino für Dreijährige.

Filmsprache lesen lernen

Ab dem Volksschulalter verfügen Kinder über eine Fähigkeit zur Differenzierung und Abstraktion. "Ein Kind mit sechs, sieben Jahren kann einen Perspektivenwechsel und Zeitsprünge schon nachvollziehen", sagt Lassacher. Mit acht, neun Jahren verstehen sie dann komplexere filmische Strukturen. Mit Zehnjährigen kann man bereits über die Machart eines Filmes sprechen, und sie beginnen sich für den Einsatz filmischer Mittel zu interessieren.

Nicht länger als 70 bis 80 Minuten sollte ein Film für Kinder unter zehn Jahren dauern. "Der Langfilm bietet viele Lernmöglichkeiten", so Lassacher. Die Länge fördere strukturelles Denken und das Dranbleiben an einer Geschichte.

Filmvermittlung für Kinder und Jugendliche

Lassacher hat sich in Theorie und Praxis intensiv mit Filmvermittlung für Kinder und Jugendliche auseinandergesetzt. Seit vielen Jahren bietet sie auch Lehrgänge in Filmanalyse für Lehrerinnen und Lehrer an. Auch beim Festival wird es einen Workshop für Lehrkräfte geben, der in die Praxis der Filmvermittlung einführt. Unterlagen dazu bietet unter anderem ihr 2013 gemeinsam mit Anna Hofmann herausgegebenes Buch "Kino erleben und begreifen. Filmanalyse mit Kindern und Jugendlichen".

Vor- und Nachbereitung eines Filmes werden beim Kinderfilmfestival großgeschrieben: Für jeden Film wurde ein kostenloses Filmheft als Begleitmaterial erstellt. Neben Publikumsgesprächen besteht auch die Möglichkeit, ein Filmgespräch mit Festivalmitarbeitern in der Schule einzufädeln. So ernsthaft wie spielerisch könne dabei die allseits geforderte Medienkompetenz gelehrt werden. "Bei den Filmnachbereitungen mit Kindern gibt es keine blöden oder falschen Antworten", sagt Lassacher. Denn die Rezeption von Filmen hänge vom persönlichen Hintergrund ab. Kinder würden in Filmgesprächen auch lernen, ihre Gedanken zu formulieren und ihren Meinungen zu vertrauen. (Christine Tragler, 11.11.2017)