Teenager: Wo sind sie? Was tun sie? Wohin gehen sie? Es ist verlockend, Jugendliche via Smartphone zu tracken und zu überwachen – sehr sinnvoll im Sinne der Kinder ist es nicht.

Wer seinen jugendlichen Nachwuchs schon einmal für ein halbes Jahr oder Jahr im Ausland hatte, weiß das vielleicht: Das Schöne am Exportieren des eigenen Kindes in die Ferne ist nicht nur die Tatsache, dass diese jungen Menschen dann viel selbstständiger und mit mehr Weitblick nach Hause zurückkommen. Das auch. Aber sie werden dort, wo immer sie landen, auch mit Menschen und Lebensweisen konfrontiert, die ihnen wenig verständlich sind – und manchmal auch wenig zusagen. Das wiederum lässt die Wertschätzung dafür, wie es zu Hause zugeht, wie es bei oder mit den eigenen Eltern so ist, steigen. Gar nicht schlecht.

Das mittlerweile große Kind konnte also nach einem Auslandsjahr in den Vereinigten Staaten nicht nur über einen unglaublichen US-Wahlkampf und dessen unglaublichen Ausgang, über die großzügige Gastfreundschaft verschiedener Gastfamilien und die vielen neuen Freundschaften, die es in diesem Jahr geschlossen hatte, berichten, sondern auch über den Umstand, dass seine neuen Gastgeschwister und manche Freunde von deren Eltern via Smartphone getrackt wurden.

Für den "Seelenfrieden"?

Mütter und Väter, die sich vielleicht an anderer Stelle noch über NSA-Methoden echauffiert hatten, wurden den Tag über immer wieder über die verschiedenen Aufenthaltsorte ihres Nachwuchses informiert, per Wunsch auch via Handy-Voice: "xy hat die Schule verlassen", sagt die freundliche Blechstimme dann (auf Englisch) oder auch: "xy ist zu Hause angekommen!" Diese Art der Jugendlichen-Überwachung, die offenbar in einem US-amerikanischen Mittelstandsumfeld vollkommen üblich war, fand das mitteleuropäische Kind sehr viel weniger selbstverständlich, wenn nicht empörend: "Ganz schön spooky (gespenstisch), oder? Das musst du dir einmal vorstellen!"

Die Mutter konnte das kaum. Die fragte bloß: "Äh: Tracking-Apps? Was, bitte, ist das?" Nicht als digitaler Native auf die Welt gekommen, brauchte ich Nachhilfe. Im Tutorial-Schnelldurchlauf: Es ist heute technisch ein Klacks, Kinder (oder auch andere Familienmitglieder) mithilfe eines Smartphones zu überwachen. Und angesichts – angeblich – ständig steigender Bedrohungen und Gefahrenpotenziale allerorts wäre das nur eine allzu logische Konsequenz. Das meinen zumindest jene, die selbst ein Bedürfnis nach solchen Technologien verspüren oder den potenziellen Markt solcher digitaler Angebote erkennen.

"Little nanny" oder "Find my Kids"

Bemüht man das eigene iPhone, so wie ich das gemacht habe, ist im Ergebnis erstaunlich, was sich da gratis oder für nicht viel Geld herunterladen ließe. Ich bleibe beim Konjunktiv. Warum, das wird hier noch erläutert.

In chronologischer Reihenfolge stehen unter der Suchanfrage "Tracking children" folgende Apps bereit: "Familonet", ein Family-&-Friends-Location-Messenger, um "immer zu wissen, wo Familie und Freunde gerade sind". Der "Family Locator-GPS Tracker" – for your "peace of mind". Vollkommenen "Seelenfrieden", wenn die eigenen Kinder gerade nicht zu Hause sind, sollen wohl auch "Little nanny", "FollowMee" oder "Find my Kids" verschaffen. Ob sich der durch die digitalen Überwachungsmethoden zur Gänze einstellt, bleibt fraglich.

Warum? Rechtlich bewegen sich solche Apps gewiss in einer Grauzone. Aber welcher Teenager verklagt schon seine Eltern, zumal solche Tracking-Software sicher oft im bilateralen Einverständnis – "mehr Schutz für dich, weniger Sorge für uns" – installiert wird? Auf der Kinderrechte-Seite des österreichischen Familienministeriums ortet die Projektgruppe "digikids" dringenden Handlungsbedarf: "Nachdem Kinder und Jugendliche zu einer Hauptzielgruppe global agierender Online-Unternehmen geworden sind, deren Geschäftsmodelle dem geltenden europäischen Datenschutzrecht widersprechen, stellt sich die intensive Stärkung des datenschutzrechtlichen Schutzniveaus als vordringliche Aufgabe dar." Aber geschützt werden müssen die Kids, wie es scheint, nicht nur vor gewinnorientierten Kommunikationskonzernen, sondern auch vor überängstlichen, kontrollwütigen Eltern.

Dauerüberwachte Jugend

Versuchen wir uns einmal vorzustellen, wie so eine dauerüberwachte Kindheit (viele der Apps und Technologien sind auch für Klein- und Schulkinder) und Jugend aussieht und welche Folgen sie für ein späteres Leben hat. Wer in das Leben seines Kindes kein Vertrauen setzt, wird sehr wahrscheinlich einen Erwachsenen ohne viel Selbstvertrauen ins spätere Leben entlassen. Statt Big Brother is Big Mother / Big Father watching you. Aber Kinder übermäßig kontrollierender Eltern sind in späteren Jahren häufiger depressiv und leiden eher unter Angstzuständen. Zu diesem Ergebnis kam zumindest eine Studie, die bereits 2013 von der University of Mary Washington in Virginia veröffentlicht wurde.

Das steigende Angebot von Nanny-Cams, Kontrollsoftware für Browserverläufe oder eben Tracking-Apps gibt wenig Anlass zur Hoffnung, dass Eltern dieses Studienergebnis beherzigen werden. Dabei ist es ja heute ohnehin so, dass wir ständig, mehr oder weniger freiwillig und manchmal ohne es zu wissen überall unsere eigenen digitalen Spuren hinterlassen: wo wir sind – und wie lange. Was wir googeln und konsumieren. Genau dieser Umstand macht die Technik so bestechend, denn Eltern wissen genau das von Teenagern nicht mehr: wo sie sind. Was sie kaufen. Wohin sie gehen. Und mit wem sie in Kontakt sind. Klar wäre es da ein naheliegender, verlockender Gedanke, Jugendliche via Smartphone auszuspionieren.

Also alles nur logisch? Wenn wir bedenken, dass westliche Konsumgesellschaften das Handy zum Mittelpunkt unserer Leben erklärt haben, dann ja. Vor zehn Jahren wurde das Telefon zum Smartphone und damit Assistent, Wegweiser, Lexikon, Zeitung, Kaufhaus, Musikbox und Spielgefährte. Das Handy zählt unsere Schritte und Kalorien, weiß, wen wir anrufen und an wen wir Nachrichten verschicken. Die Liste ist endlos, wir tragen heute die ganze Welt in unseren Hosentaschen.

Wie oder wo hat das bloß angefangen? Vor einem Jahrzehnt war der Teenager noch klein, gerade erst in der Schule. Nie wollten wir dem Kind ein Mobiltelefon schenken. Aber dann: der Schulweg! Der Verkehr! Die U-Bahn! Bist du eh? Ruf mich an, hörst du! Sicherheit, auch wenn sie nur vermeintlich ist, hat ihren Preis. Das wissen wir heute. Denn das digitale Aufwachsen der Kids ist ständig begleitet von unseren – meist hilflosen – Abmahnungen: Bist du schon wieder am Handy! Dreh jetzt endlich ab! Aber aus den Fallen der digitalen Gesellschaft kommen wir nicht mehr heraus, schließlich sind wir alle ins Netz gegangen! Schauen Sie sich nur um: Wahrscheinlich lesen Sie diesen Text gerade am Handy.

Man kann es abdrehen!

Oder vielleicht checken Sie auf Snapchat Map, wo sich Ihre Freunde gerade aufhalten. Lange dachte ich, Snapchat sei jene App, mit deren Hilfe sich Jugendliche gegenseitig mitunter auch kompromittierendes Bildmaterial schicken. Das auch. Als sich neulich auf dem Handybildschirm des Teenagers eine Menge kleiner Figuren tummelte, fragte ich: "Was ist das?" "Meine Freunde", sagte das Kind stolz und zoomte sich mit Daumen und Zeigefinger in die Display-Ansicht: "Schau! Die und die ist gerade auf Sardinien, meine ehemalige Gastschwester in den USA ist noch in der Schule, der und der ist auch noch ,draußen', was so viel heißt wie unterwegs und nicht zu Hause." "Das", rufe ich empört, "ist doch auch Überwachung!" "Stimmt schon", sagt das Kind: "Aber man kann es abdrehen! Und es sind Freunde – nicht Eltern!"

Apropos Eltern: Natürlich ist man als Mutter daran interessiert, was zum Beispiel die US-Teenager zu den elektronischen elterlichen Überwachungsmethoden zu sagen hatten. "Nicht viel", sagt das Kind und zuckt mit den Schultern, wie immer, wenn es etwas nicht sagen will. Es gibt natürlich Tricks, erfahre ich nach und nach, und die sind simpel. Wer etwas "Verbotenes" vorhat, lässt das Handy einfach in der Schule oder wo auch immer die eigenen Eltern in Sicherheit wiegen. Manche lassen sich Anrufe oder Nachrichten dann auf die Phones von Freunden umleiten. Easy, oder? Und manchmal dreht sich im Leben auch alles einfach um, dann nämlich, wenn die Kids ihren technisch weniger versierten Eltern die Handys installieren. In Nullkommanichts ist so eine App installiert, die dann den Kindern sagt, wo sich die Eltern befinden – bevor sie zum Beispiel nach einem Wochenende wieder nach Hause zurückfahren. Wer weiß, denke ich, was alles schon auf meinem Smartphone installiert ist? Ganz schön gespenstisch, oder? (Mia Eidlhuber, 12.11.2017)