Hans Schafranek: "Widerstand und Verrat. Gestapospitzel im antifaschistischen Untergrund 1938-1945". € 29,90 / 503 Seiten. Czernin-Verlag, Wien 2017

Foto: Czernin

Der Historiker Hans Schafranek, der sich durch Publikationen zu Widerstand, Stalinismus und NS-Bewegung profiliert hat, legt nun eine aufschlussreiche Studie zum Thema "Gestapospitzel im antifaschistischen Widerstand 1938- 1945" vor. Bei der Bekämpfung des organisierten Widerstandes bediente sich die Gestapo in einem unglaublich erfolgreichen Ausmaß des Einsatzes von Spitzeln – im Gestapo- und Polizeijargon V-Leute oder Konfidenten -, einer traditionellen Polizeimethode, die schon lange vor und auch nach dem NS-Regime zur Anwendung kam. Der Autor zeichnet auf der Grundlage umfassender Recherchen – neben österreichischen Archiven insbesondere im Bundesarchiv Berlin und in Moskauer Archiven – ein detailreiches, präzises und erschreckendes Bild der Durchdringung und Zerschlagung großer Teile des österreichischen Widerstandes.

Das N-Referat

Ein eigenes Referat der Gestapoleitstelle Wien (N-Referat), geleitet von Johann Sanitzer 1939/1940 und von Lambert Leutgeb 1940 bis 1944, verfügte über ein Heer von 400 bis 600 V-Leuten, die systematisch Widerstandsgruppen unterwanderten und Bericht erstatteten. In einigen Fällen wurden auch Agents provocateurs tätig, die auf Radikalisierung und Gewaltaktionen der bespitzelten Gruppen hinarbeiteten, um die Widerstandskämpfer noch mehr zu belasten. Rekrutiert wurden die V-Leute meist aus dem Milieu der jeweiligen Gruppen, wobei vielfach physischer oder psychischer Druck (wie etwa Verschonung von der Todesstrafe oder KZ-Einweisung) ausgeübt wurde. In der Regel erhielten die V-Leute ein Honorar – der Spitzenagent "Ossi" z. B. 500 Reichsmark pro Monat – und wurden von Haft und Einziehung zur Wehrmacht verschont.

Für die im Untergrund befindlichen Sozialisten wirkte sich der schon im April 1938 begonnene Verrat eines Spitzenfunktionärs, des ehemaligen Arbeiter-Zeitung-Redakteurs Johann Pav, verheerend aus. Entgegen der von der Parteiführung aus konspirativen Gründen angeordneten Stilllegung aller Aktivitäten knüpfte Pav Kontakte zu zahlreichen Revolutionären Sozialisten und lieferte diese, unter ihnen die dann im KZ umgekommene Käthe Leichter, an die Gestapo aus. Vom Autor identifizierte weitere Spitzel, darunter Ludwig Leser, zerstörten Neuansätze des sozialistischen Widerstands.

Untergetauchte Täter

Der KPÖ wurden ihre zentralistische Struktur und die von der Parteiführung in Moskau entsandten Emissäre zum Verhängnis. Der von Leutgeb schon vor 1938 als Konfident gewonnene KPÖ- und KJV-Funktionär Kurt Koppel (Deckname "Ossi") hatte es verstanden, zum wichtigsten Mitarbeiter des 1940 nach Österreich entsandten Spitzenfunktionärs Erwin Puschmann zu werden. Durch "Ossi" war die Gestapo über alle wichtigen Vorgänge, Verbindungen und Personen in der KPÖ informiert. Mehr als 800 Festnahmen, unter ihnen die aus dem türkischen Exil zur Widerstandsarbeit zurückgekehrten Architekten Margarete Schütte-Lihotzky und Herbert Eichholzer, gingen auf das Konto von Koppel und seiner Geliebten Grete Kahane.

Auch nach Koppels Entlarvung und Versetzung nach Zagreb Mitte 1941 konnte die Gestapo Wien mit anderen Überläufern ihre systematische Spitzeltätigkeit im kommunistischen Milieu fortsetzen. Ein 1942 aus fünf Personen neu gebildetes "ZK der KPÖ" – so die unzutreffende Bezeichnung der Gestapo – wurde von der Gestapo Wien durch V-Leute gesteuert, kontrolliert und überwacht. Alle Leitungsmitglieder wurden hingerichtet, zu Tode gefoltert oder verübten Selbstmord. Als Kollaborateur ersten Ranges erwies sich auch der KPÖ-Spitzenfunktionär Karl Zwifelhofer; er wurde ebenso wie Fritz Schwager von der Vollziehung des Todesurteils verschont und fungierte u. a. als Zellenspitzel.

Als Pendant zu "Ossi" im konservativen Lager wirkte der Burgtheater-Schauspieler Otto Hartmann, der 1940 die großen Gruppen von Karl Roman Scholz, Karl Lederer und Jakob Kastelic ans Messer lieferte. 450 Aktivisten und Aktivistinnen wurden ausgeforscht, von denen rund 150 in Haft blieben und vor NS-Gerichte kamen. Auch die zahlreichen legitimistischen Widerstandsgruppen wurden durch systematische Spitzelarbeit von der Gestapo zerschlagen. Die brutale Repression der Gestapo mittels V-Leuten währte bis in die April- und Maitage 1945, als die Täter untertauchten.

Fülle an Indizien

Das vom Autor skizzierte Nachkriegsschicksal der Akteure wurde durch die Reintegration der ehemaligen Nationalsozialisten und NS-Verbrecher in die österreichische (und deutsche) Gesellschaft geprägt. Die folternden und mordenden Gestapobeamten sowie einige wichtige V-Leute erhielten zwar langjährige Haftstrafen, wurden aber im Laufe der 1950er-Jahre begnadigt. Einige Spitzel wurden freigesprochen, zumal die damaligen Gerichte naturgemäß nicht den Wissensstand des Historikers Schafranek von 2017 hatten.

Koppel konnte in einem westlichen Land untertauchen, Leutgeb und Sanitzer wurden nach Inhaftierung in Jugoslawien bzw. in der Sowjetunion in Österreich nicht weiter belangt. Zwifelhofer kam in österreichischer Haft zu Tode, Kahane in jugoslawischer. Fritz Schwager wurde trotz Protesten der KPÖ SED-Funktionär. Der Sozialdemokrat Ludwig Leser wurde 1943 Landeshauptmann des Burgenlandes und ist in der SPÖ trotz Bekanntwerdens seiner Spitzeltätigkeit weiter hochgeachtet.

Schafraneks Arbeit gleicht streckenweise einem Krimi, wo minutiös eine Fülle von Informationen und Indizien gesammelt, ausgewertet und zu einem plausiblen Gesamtbild zusammengefügt wird. Die lesenswerte Publikation stellt einen wichtigen Beitrag sowohl zur Widerstandsforschung als auch zur Aufarbeitung des NS-Repressionssystems dar. (Wolfgang Neugebauer, 15.11.2017)