Mangold ist das essbare Äquivalent zu einem prächtigen Herbstwald: Seine Stiele leuchten in fast allen Schattierungen des Regenbogens, seine bizarr großen Blätter werfen barock opulente Wellen und schimmern sattgrün – farbenfroher und prächtiger wird Blattgemüse nicht. Geschmacklich ist er fast genauso aufregend, von bitter bis erdig-süß – bodenständiger, aber auch spannender, herber, komplexer als sein blasser Cousin, der Spinat.

Foto: Tobias Müller

Besonders angetan hat es mir der Mangold als eine Art Shakshuka: Das erste Mal habe ich ihn schlicht deshalb dafür verwendet, weil ich zwar keine Paprika zu Hause, aber trotzdem Lust auf Shakshuka hatte. Seither koche ich Shakshuka nur noch so. Die Paradeis-Süße zähmt des Mangolds Bitternote, der Kreuzkümmel verpasst ihm einen exotischen Touch und bändigt die Erdigkeit und Schärfe. Eier und viele Kräuter schaden sowieso nie. Es ist ein perfektes Frühstück oder Mittagessen, und mit Kater schmeckt es noch ein wenig besser.

Mangold-Shakshuka lässt sich nach Belieben und Vorratskasteninhalt variieren – von verschiedenen Chili- und Paradeiserarten bis hin zu diversen Kräutern oder weiteren Einlagen wie Schafskäse, Kichererbsen oder Bohnen. Bloß ein paar Grundsätze sollten beachtet werden: Sparen Sie nicht an Zwiebel, Kreuzkümmel und Olivenöl, sie alle geben dem Gericht sein Rückgrat; denken Sie daran, die Süße-Säure-Balance Ihrer Tomaten zu probieren und nötigenfalls richtig einzustellen – ich verwende dafür braunen Zucker bzw., weil’s hier so perfekt passt, die Einlegeflüssigkeit von selbst essigsauer eingelegten Jalapeños. Wer das nicht hat, ist zum Beispiel mit Apfelessig ganz gut beraten; und wer es besonders süchtigmachend gut haben will, kippt noch einen Schuss Fischsauce mit hinein.

Vor dem Winterschlaf

Mangold ist ein enger Verwandter der Roten Rübe, mit dem Unterschied, dass er nicht für seine Wurzeln, sondern für seine Blätter selektioniert worden ist. Über die Jahrhunderte sind sie entsprechend ausschweifend geworden – wenn ich bei meinem liebsten Gemüsehändler, den Menschen vom Gemüsehof Bioschanze, welchen kaufe, muss ich ihn oft erst mit dem Messer zähmen, bevor er überhaupt in den Kühlschrank passt. Zwei, drei Querschnitte eignen sich gut, um ihn in ein gemüsefachtaugliches Format zu bringen – in einem Plastiksackerl gut verschlossen und kalt gelagert hält er sich dann erstaunlich lang.

Während die meisten Sommergemüse bereits Winterschlaf halten, sprießt ausgerechnet der prächtige Mangold bis in den tristen November, ein letztes Überbleibsel aus wärmeren, farbenfroheren Tagen. Gut, dass er sich so wunderbar mit seinen Schicksalsgenossen paaren lässt, den letzten Paradeisern der Saison: Die sind für sich genommen nur mehr wenig erfreulich, zu einer Mangoldsauce eingekocht aber machen sie gerade dank ihrer Säure immer noch eine gute Figur. Fleischige Varianten, gern auch gelb, sind ideal. Wer keine frischen oder nur noch grüne bekommt, greift zu Dosen- oder Flaschenware – nicht ganz so gut, aber viel besser als gar kein Mangold-Shakshuka.

Eine Art Mangold-Shakshuka

Den Mangold mit einem Messer zähmen. Die Blätter in etwa zwei Finger breite, nicht zu lange Streifen schneiden, dicke Stiele herausschneiden. Die blattlosen Stiele unten abschneiden und entweder in den Gärtopf stecken und ein paar Wochen später snacken oder klein hacken und für etwas zusätzliche Knackigkeit ebenfalls im Shakshuka verkochen.

Foto: Tobias Müller

Pro Esser eine mittelgroße Zwiebel halbieren und in Ringe schneiden (oder, wenn Sie noch welche bekommen, ein, zwei große Frühlings-Herbst-Zwiebeln). Ordentlich Olivenöl in einer Pfanne auf mittlerer Hitze erwärmen. Sparen Sie hier nicht: Der Pfannenboden soll solide bedeckt sein. Ordentlich gemahlenen Kreuzkümmel dazustreuen und kurz rösten, bis es verführerisch duftet. Dann die Zwiebeln dazugeben und braten, bis sie zusammengefallen und etwas glasig sind, etwa fünf bis zehn Minuten. Eine Prise Salz beschleunigt den Prozess. Schließlich mit einem kräftigen Schuss Weißwein ablöschen.

Foto: Tobias Müller

Je nach Größe zwei, drei gehackte fleischige Tomaten dazugeben, mit einem Schuss Fischsauce und einem Löffel braunen Zucker würzen und köcheln, bis die Tomaten zerfallen und leicht eingedickt sind, etwa zehn Minuten. Mit Essig bzw. Jalapeño-Einlegeflüssigkeit abschmecken. Wer mag, gibt auch eine klein gehackte Thai-Chili oder Pfefferoni dazu.

Foto: Tobias Müller

Die Hitze hochschalten. Den grob gehackten Mangold unterheben, durchrühren und notfalls kurz den Deckel auf die Pfanne geben, damit das Gemüse schneller zusammenfällt. Notfalls in zwei Durchgängen arbeiten (Mangold rein, zusammenfallen lassen, mehr Mangold rein). Sobald er gut in die Pfanne passt, ohne Deckel ein paar Minuten köcheln lassen, bis überschüssige Flüssigkeit verdampft ist. Die Hitze auf niedrig schalten. Ein paar Eier in die Sauce gleiten lassen, den Deckel auf die Pfanne geben und weitergaren, bis das Eiweiß gerade gestockt ist, etwa vier Minuten.

Foto: Tobias Müller

Mit frisch gehackten Kräutern bestreuen (Koriander, Petersil ...) und mit reichlich frischem Weißbrot (meine Favoriten: Ströck Feierabend-Laib, Felzl Französisches Landbrot, Kasses Ciabatta) servieren. (Tobias Müller, 12.11.2017)

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