Am 17. November endet die 23. Weltklimakonferenz der Vereinten Nationen in Bonn. Nach dem Desaster der Kopenhagener Konferenz im Jahr 2009, der zum Erfolg verdammten in Paris 2015, und dem angedrohten Ausstieg der USA aus dem Pariser Vertrag, hoffen die Delegierten in Bonn einen großen Schritt im Kampf gegen die fortschreitende globale Erwärmung zu machen. Seit mindestens zwei Jahrzehnten lautet die Devise "Wir müssen jetzt handeln" – erfolglos. Wie der STANDARD berichtete, ist die CO2-Konzentration in der Atmosphäre 2016 so stark angestiegen wie noch nie.

Diese kurz vor Bonn veröffentlichte Hiobsbotschaft ist Anlass genug, sich Gedanken darüber zu machen, was man an diesen internationalen Klimakonferenzen hat. Nicht zuletzt, weil es die Vermutungen gibt, dass ohne die Klimarahmenkonvention der Uno die Emissionen weltweit weniger stark gestiegen wären – was mit dem unrealistischen Anspruch, alle Länder an Bord zu holen, und nicht mit den Flugmeilen der Delegierten zusammenhängt.

Dass der Deal von Paris ein fragiler ist – weil auf Freiwilligkeit beruhend –, war schon damals allen Delegierten klar. Die Entscheidung Trumps und der USA aus dem Vertrag aussteigen zu wollen, hat die Feiernden schnell zurück auf den Boden der Realität geholt. Mit Zwang hat es in Kopenhagen aber auch nicht geklappt.

Arnold Schwarzenegger profiliert sich auf der Klimakonferenz COP23.
Foto: AP/Henning Kaiser

Um also die Frage nach der Bedeutung von Klimakonferenzen zu beantworten, machen wir einen Schritt zurück: Warum hat uns die Nachricht vom Klimawandel so sehr verunsichert, dass wir glauben in der Stabilisierung von globaler Durchschnittstemperatur eine Lösung gefunden zu haben?

Dieser Frage nachzugehen verlangt die Bereitschaft, sich dem Thema vorurteilsfrei zu nähern und Argumente, die sogenannten Klimaskeptikern in die Hände spielen könnten, nicht vorschnell zu verwerfen. Es braucht eine Analyse zum Klimabegriff.

Das Klima in der Wissenschaft

Die Geografie, die alte wissenschaftliche Heimat der Klimaforschung, glaubte im 20. Jahrhundert eine endgültige Antwort auf die Frage nach dem Klima gefunden zu haben. Das Klima wird beschrieben als der Durchschnitt ausgewählter atmosphärischer Variablen, allen voran Temperatur, über einen gewählten Zeitraum von 30 Jahren. Der Deutsche Wetterdienst etwa definiert Klima "[...] als die Zusammenfassung der Wettererscheinungen, die den mittleren Zustand der Atmosphäre an einem bestimmten Ort oder in einem mehr oder weniger großen Gebiet charakterisieren. Es wird repräsentiert durch die statistischen Gesamteigenschaften (Mittelwerte, Extremwerte, Häufigkeiten, Andauerwerte unter anderem) über einen genügend langen Zeitraum. Im allgemeinen wird ein Zeitraum von 30 Jahren zugrunde gelegt [...]."

Warum es genau 30 Jahre sind, ist Konvention. Es hätten auch 20, 40 oder 50 Jahre sein können. 30 Jahre schien den Wissenschaftern lange genug, um das Klima an einem beliebigen Ort auf diesem Planten beschreiben zu können. Vergleicht man nun diese Klimaperioden miteinander, so kann man in den mühevoll zusammengestückelten Daten spätestens seit den 1980er-Jahren eine Steigerung, die Erderwärmung, erkennen. Das gilt für die meisten Messstationen weltweit.

Hitzewellen werden heute anders gedeutet als noch vor 20 Jahren.
Foto: APA/AFP/FREDERIC J. BROWN

Der Weltklimarat IPCC der Uno hingegen, auf den sich die Klimarahmenkonvention beruft, spricht vom dynamischen Klimasystem, weil es die Möglichkeiten der heute dominanten präskriptiven – der Prognosen liefernden – Klimaforschung in Form von Computersimulationen widerspiegelt. Erdsystemwissenschafter und Computermodellierer hatten spätestens in den 1990er-Jahren die Geografen als wissenschaftliche Autoritäten abgelöst. In deren dynamischem Klimasystem vertreten sind nicht nur die Atmosphäre, sondern auch Biospähre, Lithosspähre, Kryossphäre, Hydrosphäre und Landoberflächen im Allgemeinen. Das läuft darauf hinaus, ein Modell des gesamten Planeten zu entwickeln – eine vollständige Modellierung allen Lebens und Handelns, einschließlich ökonomischer und politischer Prozesse.

Es gibt keinen immergültigen Klimabegriff

Macht es hier noch Sinn von einem "Klimasystem" beziehungsweise vom "Klimawandel" zu sprechen, wenn sich doch alles ändert. Und warum ist dieser Exkurs wichtig? Er verdeutlicht, dass es keinen immer und für alle gültigen Klimabegriff gibt, wie der britische Klimawissenschafter Mike Hulme in seinen Arbeiten ausführlich belegt. Der Begriff Klima hat, ähnlich jenem der Zeit, eine Kulturgeschichte. Für die Griechen der Antike, den Namensgebern, hatte das Klima eine ganz andere Bedeutung als etwa für Alexander von Humbold. Für einen der einflussreichsten Klimageografen des 20. Jahrhunderts, Wladimir Köppen, wiederum bedeutete Klima etwas anderes als für Erdsystemwissenschafter und Modellierer des 21. Jahrhunderts. Das Klima ist nicht einmal in der Wissenschaft einheitlich definiert beziehungsweise lässt es sich auf Konventionen zurückführen.

Klima wird politisiert

Schon immer aber hatte das Klima auch eine gesellschaftliche und politische Bedeutung, sei es um Steuern der Landwirte einzutreiben oder um Vorurteile zu rechtfertigen – die Sizilianer liegen nur faul in der Sommerhitze, hört man so manchen Norditaliener sagen, obwohl sich die Sommer in Poebene und Sizilien von den Temperaturen her nicht unterscheiden.

Heute hören wir sogar, dass der syrische Bürgerkrieg ein vom Klimawandel ausgelöster Krieg ist. Dass Wissenschafter etwas anderes feststellen, ist dabei gar nicht der Punkt: Mehr denn je wird mit einem Verweis auf den Klimawandel Erklärungen gesucht und sehr unterschiedliche Politik gerechtfertigt. Bei einem Wasserkraftwerksbau etwa ist nicht eindeutig, ob Befürworter oder Gegner des Baus die wahren Klimaschützer sind.

Weil die Vereinten Nationen seit nunmehr zwei Jahrzehnten – seit dem Kyoto-Protokoll 1997 – an den eigenen Zielen scheitern – die Senkung der Treibhausgase beziehungsweise der globalen Durchschnittstemperatur auf ein "sicheres" Niveau –, muss sich irgendwann die Frage nach der Tauglichkeit der Zielstellung, das heißt der Welttemperaturstabilisierung, stellen und muss damit auch die Herangehensweise an den Klimawandel hinterfragt werden. Wir sollten die Freiheit haben, unseren Blickwinkel zu ändern.

Klima erwarten wir, Wetter bekommen wir

Was bedeutet uns Klima, wenn wir nicht an all das denken, was wir heute darüber wissen sollten (CO2-Emissionen, Methangas, et cetera), wenn wir uns dem Thema als Unwissende nähern?

Eine plausible Antwort kennen die Briten: Climate is what you expect, weather is what you get – Klima erwarten wir, Wetter bekommen wir. Dahinter verbirgt sich eine unumgängliche psychologische Bedeutung von Klima. Wir brauchen die Vorstellung von Klima als Regelmäßigkeit, um ruhig in den Kapriolen des Wetters leben zu können. Einfacher: wir benötigen die Idee des Klimas als natürliche Konstante, damit uns das ständig wechselnde Wetter nicht in den Wahn treibt. Das Klima stabilisiert unsere Beziehung zu Wetter, schreibt der Klimawissenschafter Hulme, und es findet Ausdruck in Riten wie dem Erntedankfest – eine kulturelle Form des Im-Wetter-Lebens. Auch das Läuten der Kirchenglocken ist oft auf heidnische Wetterrituale zurückzuführen. Beispiel eines modernen Rituals wäre die jährlich im März stattfindende Earth Hour, zu der Menschen auf der ganzen Welt die Beleuchtung abdrehen, um ein Zeichen zu setzen. Der Bezug zum Wetter wird hier über den Klimawandel als Synonym für übermäßigen Energieverbrauch hergestellt.

Der Boulevard liebt Wetterkapriolen, wie hier der Hurrican Maria
Foto: APA/AFP/RICARDO ARDUENGO

Warum hat uns die Nachricht vom Klimawandel so verunsichert?

Der ungeheuren Anarchie des Wetters steht also die uns beruhigende Herrschaft des Klimas gegenüber, das "Empire of Climate", wie der in Belfast forschende Geograf David Livingstone seine Kulturgeschichte des Klimas betitelt. Weil das Wetter uns überrascht, bedeutet das Klima Stabilität. Das Klima stiftet Vertrauen. Stiftete – denn wir wissen wie es um das Klima im erdsystemwissenschaftlichen Sinne steht. Wir sehen die sogenannte Klimakatastrophe in den Medien hauptsächlich durch den Boulevard, nicht durch unsere eigenen Sinne, auch wenn wir hier Veränderungen bemerken. 

Mit der Nachricht des Klimawandels haben wir das "Vertrauen ins Klima", wie es der deutsche Kulturwissenschafter Nico Stehr nennt – und Stabilität und Ordnung meint –, verloren. Heute blicken wir anders aus dem Fenster, wenn es blitzt und donnert, wenn Hitzewelle auf Hitzewelle folgt, als noch vor 20 Jahren. Auch in den Jahreszeiten vernehmen wir Veränderungen.

Es gibt kein Zurück

Eine Frage drängt sich sofort auf: Kann diese Ordnung, die Herrschaft des Klimas, wiederhergestellt werden – unter Zuhilfenahme der besten wissenschaftlichen Erkenntnisse? Die Antwort ist enttäuschend für all jene, die auf eine Stabilisierung der Welttemperatur hoffen: Nein, das Vertrauen in das Klima ist unwiederbringlich fort. Friedrich Nitzsche hätte treffend gesagt: Das Klima ist tot. Das Klima bleibt tot. Und wir haben es getötet. Veränderung, also der Klimawandel, ist nun der Normalzustand.

Die Erderwärmung lässt den Meeresspiegel ansteigen.
Foto: APA/AFP/SARAH LAI

Warum treffen sich die Delegierten überhaupt in Bonn, möchte man wissen. Ein Anthropologe aus der Savanne würde in Klimakonferenzen ein Ritual wiedererkennen, eine Art Regentanz, der von großer gesellschaftlicher Bedeutung sein muss. Weder Regentänze noch Klimakonferenzen können aber das Wetter lenken. 

Wie kann es weitergehen?

Welche gesellschaftliche und politische Bedeutung der Bonner Regentanz letzten Endes hat, hängt von den Visionen der dort versammelten 25.000 Vertretern aus der Zivilgesellschaft, von internationalen Konzernen, Nationalstaaten und Forschungseinrichtungen ab. Während neue geopolitische Allianzen geschmiedet werden und sich manche Nationalstaaten als Technologie-Vorreiter profilieren können, wird wenig bekannt über deren Visionen einer Gesellschaft und Politik im Klimawandel, im Zeitalter der Digitalisierung und in Zeiten allgemeiner Verunsicherung. Während auf Pressefotos der Himmel hinter Windrädern blau blitzt, ereifert sich der Klimaboulevard in der Empörung über die errechnete Aussichtslosigkeit, unter der Zwei-Grad-Erderwärmungsmarke zu bleiben.

Noch beklagen wir den Verlust des ordnungversprechenden und vertrauenstiftenden Klimas und erdenken alles technisch Mögliche, wie die bewusste Manipulation der Stratosphäre, um diesen Mythos wiederzubeleben. Noch befinden wir uns gedanklich im Krisenmanagement, in der Schadensminimierung. Klimaschützer haben in sogenannten Klimaskeptikern politische Gegner gefunden. Einige glauben sogar, dass der Klimawandel eine Diktatur erfordern würde. Das Gegenteil ist der Fall, aber positive Visionen, die das Heil nicht in einer neuen technologischen Wunderwaffe suchen, sind rar.

Donald Trump ist jetzt auch Feindbild der Klimaschützer.
Foto: REUTERS/Wolfgang Rattay

Aus diesem Gefühl der Kränkung heraus wirkt folgender Vorschlag paradox: Wenn Klimakonferenzen den Klimaschutz im Sinne eines globalen Temperaturziels aufkündigen – auch unter Naturwissenschaftern ist die Validität eines solchen Ziels höchst umstrittenen –, würde sich deren geopolitisches Potenzial in der öffentlichen Wahrnehmung stärker zeigen. Anstelle des Versuchs einer Klimastabilisierung könnte eine globale Umweltverfassung, von der sich Rechtssätze ableiten lassen, ein mögliches Resultat dieser Konferenzen und der Klimarahmenkonvention sein.

Auf dem Weg dorthin werden wir uns von den Ideen der Weltklimastabilisierung und der Wetterkontrolle wohl verabschieden müssen – spätestens wenn der (Natur-)Begriff "Klima" im fortschreitenden Anthropozän, dem Zeitalter des Menschen, lediglich nostalgische Gefühle auslöst. Dass Nostalgie und Angst denkbar schlechte politische Ratgeber sind, ist mehr als nur ein Gemeinplatz. Dem Wunsch nach Stabilität und Reduktion sollte anderweitig genüge getan werden. (Mathis Hampel, 14.11.2017)

Update 16.11.2017

Das Wort Konvention im Artikel stiftet Verwirrung, wie einige kritische Kommentare zu recht anmerken. Konvention ist aber keineswegs mit Willkür gleichzusetzen. Vielmehr kommen Wissenschafter zusammen (lat. convenire: zusammenkommen) und beschreiben mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln die Natur, die sie bei diesem Vorhaben natürlich einschränkt. Es ist eine Zusammenkunft von Natur und Mensch und, je nach wissenschaftlicher Disziplin und Zustand der Natur, kann sich auch eine andere Klimanormalperiode ergeben. Geologen würden sich vielleicht für die vergangenen 12.000 Jahre, dem Holozän, als wissenschaftliche Normalperiode aussprechen. Aber auch da gibt es größere Schwankungen, stellen Paläoklimatologen fest. Wenn sich Meteorologen auf eine 30-jährige Periode, um das Klima an einem Ort zu bestimmen, einigen, ist das zwar eine Konvention, eine Standardisierung von Klima, aber nicht unwahr oder Willkür.

Zum Thema