"Vielmehr sind es eher die Extreme, also die spektakulär teure Siegerkunst sowie die stark politisch-aktuell aufgeladene Kuratoren- und Aktionskunst, die zur Zerreißprobe des Kunstbetriebs werden."

Foto: Annekathrin Kohout

Wien – Gerade war die erste, fast einhellige Kritikwelle des Feuilletons an der "zu moralisierenden", "zu politischen" Documenta 14 verebbt, war der Kunstbeflissene von seinen Ausflügen nach Athen und Kassel zu den Skulpturprojekten Münster und der Messe aller Messen in Basel zurückgekehrt: Da tauchte im Netz die provokante Frage auf, ob es in zehn Jahren überhaupt wieder ein solches "Superkunstjahr" geben werde.

Den Zweifel äußerte Kulturwissenschafter Wolfgang Ullrich, der zuletzt mit seinem Buch "Siegerkunst" einen Begriff geprägt hat: Werke, die Menschen ansprechen, die dafür demonstrativ viel Geld ausgeben (etwa für Jeff Koons "Balloon Dogs" oder Damien Hirsts Punktgemälde), die sich jedoch nicht mit der Arbeit auseinandersetzen wollen, sondern die Möglichkeit suchen, sich mit ihr in Szene zu setzen.

In seinem auf Perlentaucher erschienenen und viel über Social Media geteilten Essay "Zwischen Deko und Diskurs" lässt Ullrich zwischen den "Diskurseliten" und dem spekulativen Kunstmarkt eine unüberwindbare Kluft, ein Schisma entstehen. Warum? Weil zwischen "noch lauter und politischer" und "noch mehr Glitzer, noch hochpreisiger" kein gemeinsamer Kunstbegriff mehr Platz findet. Die Folge: Abspaltungen und Verdrängungsmechanismen. Anlässlich der startenden Vienna Art Week, die jährlich die letzte Auktionswoche im Dorotheum einläutet und Kräfte aus Handel und Institutionen bündelt, hakte DER STANDARD bei Ullrich nach.

STANDARD: Liegen in einem Schisma zwischen Markt und Ausstellungswesen möglicherweise auch Chancen?

Ullrich: Ich glaube nicht, dass es zu einer Trennung zwischen jeglicher auf Messen und bei Auktionen gehandelter Kunst einerseits und von öffentlichen Kunstinstitutionen finanzierter und ausgestellter Kunst andererseits kommt. Vielmehr sind es eher die Extreme, also die spektakulär teure Siegerkunst sowie die stark politisch-aktuell aufgeladene Kuratoren- und Aktionskunst, die zur Zerreißprobe des Kunstbetriebs werden. Vor allem weil sie den größten Teil der Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Auf Künstlerinnen und Künstler, die eher in der breiten Mitte tätig sind und nach wie vor dem Paradigma der Autonomie anhängen, wirken daher auch vermehrt zentrifugale Kräfte. Sonst wird für sie das Überleben schwer, und die nächste Generation hat von vornherein die Akteure an den Rändern als Role-Models.

STANDARD: Kann "Spaltung" auch positiv gedacht werden, oder ist das zwangsläufig ein auf kalter Krieg gebürsteter Konflikt?

Ullrich: Das Positive eines möglichen Schismas könnte darin bestehen, dass einzelne Bereiche, wenn sie irgendwann nicht mehr unter dem Oberbegriff "Kunst" stattfinden, eine stärkere eigene Identität bekommen als im Moment. Auf der einen Seite hätten wir es dann mit einem neuen Genre von Luxuskultur zu tun, auf der anderen Seite mit selbstständigen und anspruchsvollen Formen politischer Artikulation. Und dann gibt es auch keinen kalten Krieg, sondern viel eher wechselseitiges Desinteresse.

STANDARD: Ihre Skizze einer Schule für Siegerkunst, in der man etwa "die Interessen und Mentalitäten der Superreichen" lehren könnte, liest sich sehr polemisch. Wie viel Satire enthält Ihr Essay?

Ullrich: Satirisch ist der Essay nicht gemeint. Eher spekulativ. Ich spinne fort, was aktuell zu beobachten ist. Und da scheint mir jemand wie Damien Hirst schon ziemlich abgekoppelt vom Kunstbetrieb. Zugleich ist er aber begabt darin, eigene Infrastrukturen aufzubauen. Warum sollte jemand wie er also nicht auf die Idee kommen, eine eigene Art von Schule zu gründen? Nicht nur Hirst, auch viele andere – von Albert Oehlen über Jeff Koons bis hin zu Neo Rauch – kann man sich doch schon gar nicht mehr auf einer Veranstaltung wie einer Documenta vorstellen. Die Gründe dafür sind gewiss ganz unterschiedlich. Aber warum sollten einige von ihnen nicht die Konsequenz ziehen und sich auch institutionell selbstständig machen?

STANDARD: Wo sehen Sie Konsequenzen?

Ullrich: Ich habe in den letzten Monaten mit etlichen Sammlern gerade der genannten Künstler gesprochen. Die sind, erstmalig, schon gar nicht mehr zur Documenta gefahren, weil die dort gezeigte Kunst ihnen nichts sagt. Einige von ihnen stünden als Unterstützer alternativer Schulmodelle also sicher zur Verfügung. Anderen hingegen ist es wichtig, die bestehenden Kunsthochschulen zu stärken, indem man dort nicht mehr nur die Idee des autonomen Künstlers verfolgt, sondern Kunst vor allem als ein Medium politischer Bekenntniskultur professionalisiert. Gerade die wachsende Macht der sozialen Medien fordert hohe visuelle und vor allem performative Qualitäten, die nicht zuletzt aus der Kunst kommen könnten.

STANDARD: Kunsttheoretiker Bazon Brock widerspricht Ihnen mit einem sehr hehren Gedanken: Je mehr versucht werde, künstlerische Arbeit zu vermarkten, umso mehr würde sich das unabhängige Arbeiten von Künstlern durchsetzen, sagt er. Können Sie diesem Argument etwas abgewinnen?

Ullrich: Ehrlich gesagt: nein. Aber ich verstehe seine Position. Natürlich ist es wichtig, in der gegenwärtigen Situation den Künstlerinnen und Künstlern, die an die Autonomie glauben, den Rücken zu stärken. Nicht weil Autonomie an sich etwas Gutes ist, aber weil es einen Verlust an Erfahrungsformen bedeuten würde, entstünde nicht nach wie vor Kunst, die weder von Marktkriterien noch von Kuratorenwünschen getrieben ist.

STANDARD: Können Veranstaltungsplattformen wie die Vienna Art Week dem drohenden Schisma entgegenwirken?

Ullrich: Wie gesagt: Das Schisma entsteht durch die Dynamik an den Rändern, nicht dort, wo Galerien und Museen zusammenarbeiten. Sie können sogar ganz neu zu Verbündeten werden, weil ihre Legitimation durch ein Schisma auch gefährdet wäre. Insofern kann man Ereignisse wie die Vienna Art Week als Versuch deuten, die Mitte zu stärken. (Anne Katrin Feßler, 13.11.2017)