Der "Economist" schätzt die Inflationsrate in Venezuela auf 720 Prozent. Die neue 100.000-Bolivar-Note ist am offiziellen Markt knapp 30 US-Dollar wert, am Schwarzmarkt hingegen nur zwei US-Dollar.

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Caracas – Die Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) senkte schon den Daumen. Wie der Bonitätswächter am Dienstag mitteilte, hat Venezuela Kuponzahlungen für zwei auf US-Dollar lautende Anleihen nicht fristgerecht geleistet. Als Folge stellte S&P einen Zahlungsausfall fest. Die Ratingagentur geht zu 50 Prozent davon aus, dass Venezuela in den kommenden drei Monaten einen weiteren Zahlungsausfall verzeichne.

Investoren stellten sich bezüglich der ausfallenden Schuldenrückzahlungen Venezuelas ohnehin eher die Frage, wann diese wieder einsetzen und nicht ob. Ein Liquiditätsproblem hing zwar stets wie ein Damoklesschwert über dem südamerikanischen Land, dennoch hatte es alle anfälligen Schulden und Zinsen getilgt – bis vor kurzem. Vergangene Woche kündigte Präsident Nicolás Maduro die letzten Rückzahlungen an, dann müsse über neue Finanzierungen und Umschuldung diskutiert werden. Am Montag begonnene Gläubigerberatungen in New York wurden nach nur 25 Minuten wieder beendet. Heute am Dienstag werden sie fortgesetzt.

Kritische Beobachter vermuten ein gezieltes Handeln Maduros. Er steuere bewusst auf eine Staatspleite zu, um anschließend den USA die Schuld dafür zu geben. Denn Washington hat den Handel mit venezolanischen Staatsanleihen verboten. Bisher konnte sich der autokratisch agierende Maduro auf Finanzspritzen von China und Russland verlassen. Doch auch deren Geduld scheint erschöpft. Auf welche Summe sich die Schulden tatsächlich belaufen, ist unklar. Analysten schätzen sie auf 150 Milliarden US-Dollar. Es droht die Staatspleite.

Offene Zahlungen

Ein Land gilt als bankrott, wenn es offene Zahlungen an Kreditgeber nicht rechtzeitig oder nur unvollständig begleichen kann. Mit dieser Definition arbeiten Ratingagenturen. Mangels Insolvenzrecht für Staaten gibt es keinen klaren Ablauf für Staatspleiten. Selbst für die Verkündung der Insolvenz gibt es mehrere Möglichkeiten. Einerseits kann sich ein Staat selbst für zahlungsunfähig erklären, Gläubiger können öffentlich bekanntgeben, dass der Schuldner nicht mehr zahlt oder eine Ratingagentur stellt den Zahlungsverzug fest.

Ein Staatsbankrott bringt desaströse Folgen für alle Beteiligten mit sich. Wie in der Privatwirtschaft sind zuallererst die Gläubiger betroffen. Sie verlieren ihr Geld entweder zur Gänze oder bekommen nur einen mitunter kleinen Teil zurück. Gläubigern steht allerdings zu, Vermögensgegenstände im Ausland zu beschlagnahmen. Citgo, die Tochterfirma der staatlichen Ölfirma PDVSA, die in den USA Raffinerien betreibt und mehr als 5000 Tankstellen beliefert, würde sich dafür anbieten. Einem insolventen Land wird der Zugang zum internationalen Finanzmarkt verwehrt, es kann also keine neuen Kredite aufnehmen. Da die Zahlungsunfähigkeit oft aus jahrelanger Misswirtschaft resultiert, fehlt überdies meist die Kraft, sich allein zu sanieren. Ein Teufelskreis.

Internationale Sanktionen

Und auch internationale Sanktionen gehen oft mit der Pleite einher. Neben den USA hat auch die EU Sanktionen gegen Venezuela verhängt.

"Die Versorgungslage im Land ist dramatisch schlecht. Lebensmittel und Medikamente fehlen, da Maduro in der Vergangenheit mit dem vorhanden Geld Kredite zurückgezahlt und die Bevölkerung nicht genügend versorgt habe", sagt SRF-Korrespondent Ulrich Achermann.

Somit droht einem Staat, der mehr als gezeichnet ist von politischen Unruhen und chaotischen Zuständen, der Bankrott. Davon, dass Venezuela vor rund 70 Jahren als das viertreichste Land der Welt galt, kann sich niemand etwas kaufen – wortwörtlich. (and, 14.11.2017)