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Frau mit Handy in Freetown, der Hauptstadt Sierra Leones: Mit den Mobiltelefonen kam auch das Internet – und damit mannigfache, aber oft geschönte Informationen von Migranten über Europa nach Afrika.

foto: reuters

Wien – Für viele Afrikaner ist die Reise aus den Teilen des Kontinents südlich der Sahara zu den Ufern des Mittelmeers und weiter in Booten nach Europa eine Fahrt in den Tod. Doch die meisten, die sich etwa im ostafrikanischen Somalia oder im westafrikanischen Nigeria auf den Weg machen, treten den Trip voller Zuversicht an. In der Meinung, in Europa und auf dem Weg dorthin erwarte sie ein besseres Leben als daheim.

Woraus speist sich diese Hoffnung – von Situationen politischer und sozialer Verfolgung, wie sie etwa vielfach in Somalia grassiert, oder Bürgerkriegsfluchten wie etwa aus dem Südsudan abgesehen? Adams Bodomo, Professor für African Studies an der Uni Wien und dort auch Leiter der Research Platform for African Diaspora Studies betrachtet sie unter anderem als eine Folge der ökonomischen Globalisierung unter neoliberalen Vorzeichen und deren Wirkung auf die Sichtweisen der Welt.

Gemeinhin gehe man von der Existenz eines Zentrums – "Europa und der Westen" – sowie einer Peripherie aus, zu der auch das südliche Afrika gehöre. "Wer würde nicht lieber in einem Teil der Welt leben, der politisch, ökonomisch und kulturell angeblich fortschrittlicher als andere Regionen ist?", fragt Bodomo. Der Lebensstil europäischer Touristen in Afrika und einseitige Berichte, etwa im Internet, täten das ihrige.

Fakt sei, dass Europas Fortschritt auf der Ausbeutung des globalen Südens gründe, "sodass sich ein überproportionaler Anteil des weltweiten Reichtums im globalen Norden konzentriert", sagt Bodomo. Fakt sei auch, dass deshalb viele Afrikaner in großer Armut lebten. Daraus speise sich ein vielschichtiger Nährboden, "der die Migration aus der Peripherie ins Zentrum wegen besserer ökonomischer Chancen fördert".

Der Glauben, dass diese Chancen in Europa auch für arme Einwanderer existierten, werde unter anderem durch die Berichte aufrechterhalten, die afrikanischen Communities in die alte Heimat übermittelten, sagt Melita Sunjic von UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR). Die Storys seien vielfach geschönt, Migranten, die sich mit niedrigsten Arbeiten durchschlagen müssten, stellten sich in Telefonaten und sozialen Medien als Haus- und Autobesitzer dar. "Der Mythos Europa funktioniert in Afrika heute genauso, wie der Mythos Amerika im 19. Jahrhundert in Europa wirkte", sagt Sunjic.

Als gelernte Journalistin arbeitet sie für das UNHCR am Zurechtrücken der idealisierten Vorstellungen. In den Niederlanden, Schweden und Finnland hat sie Diskussionsgruppen in den somalischen Communities initiiert. Ähnliche Aktivitäten mit der nigerianischen Diaspora in Ländern der EU sind in Vorbereitung.

Ungeschönte Berichte

Zudem hat sie auf Facebook die Aktion "Telling The Real Story" initiiert, mit Videointerviews afrikanischer Migranten, die schildern, wie ihr Weg nach Europa wirklich war. Etwa, wie die Schlepper ihnen erst den Himmel auf Erden in Europa versprachen, um sie dann unter menschenunwürdigen Bedingungen gefangenzuhalten und von ihren Familien Lösegeld zu verlangen. In Somalia und anderen Ländern Ostafrikas ist der Zugriff auf die Seite enorm. (Irene Brickner, 14.11.2017)