"Slutwalk" in Jerusalem 2016. Seit Jahren protestieren Frauen bei diesen Märschen dafür, dass Frauen ein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung haben – selbst wenn sie nackt sind.

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Diese ganze #MeToo-Debatte läuft eigentlich ziemlich gut. Es gibt zuhauf TV-Debatten mit zahlreichen kompetenten und engagierten Gästen. Längst muss sich nicht mehr nur eine Feministin allein auf weiter Flur mit völlig Unkundigen und Desinteressierten erst einmal darüber streiten, ob wir überhaupt ein Problem haben. Auch zahlreiche kluge Kommentare sind in den letzten Wochen erschienen, die die Mechanismen von sexueller Belästigung und sexuelle Gewalt thematisieren, genauso wie die ewigen Verniedlichungsversuche.

Skurril und wie aus der 1950er-Jahren wirkt nun mehr denn je der "konservative Feuilleton-Mann", wie ihn Eva Horn im "Spiegel" nannte. Angesichts der jüngsten Enthüllungen über die Dimensionen sexueller Belästigung und Gewalt gegen Frauen wirken ihre Beiträge, die mit literarischer Verve Kritik an Sexismus bei jeder Gelegenheit der Lächerlichkeit preisgeben und der Welt erklären, was die wirklichen Probleme unsere Zeit sind – nämlich Political Correctness –, nur noch skurril. Und noch eine gute Entwicklung gibt es: Feministinnen unterschiedlichster Provenienz, von ganz linken bis hin zu Karrierefeministinnen à la Sheryl Sandberg, sind sich einig wie selten: Mit #MeToo bewegt sich etwas.

Schuld oder zumindest Mitschuld

Doch dann krachen Beiträge in die Debatte, die wohl beabsichtigen, errungene Standards plattzuwalzen. Wie jener von Barbara Kuchler aus der "Zeit". Die Aussage des umfangreichen Textes steht schon im Untertitel. Würden sich die Frauen abschminken, wäre es wohl bald auch mit sexueller Belästigung vorbei. Denn, so die Autorin, die tieferliegende Ursache, warum Männer Frauen als "knackige Körper betrachten", liege in der Asymmetrie, dass es bei Frauen mehr aufs Aussehen ankommt als bei Männern. Doch keine Sorge, es gibt Abhilfe: Hört doch auf damit, euch zu schminken, "euch als Körper zu stylen", damit würde man das Problem an der Wurzel packen, das "hieße radikal sein", schreibt Kuchler, die beim Stichwort "radikal" sogar den armen Karl Marx für ihre Argumentation zitiert.

Diese Strategie hätte auch noch den Vorteil, dass man nicht darauf warten müsse, dass Männer ihr Verhalten ändern. Nein, wir Frauen können etwas ändern, "heute und sofort". Doch bitte verstehen Sie Frau Kuchler nicht falsch. "Männer müssen sich kontrollieren und ihre Hände und Zunge im Zaum halten – selbst wenn die Wahrnehmung von Körperattributen sich aufdrängt, ist der Überschritt zum Handeln in keinem Fall erlaubt." Leider ist das nur einer dieser beliebten, wenn auch billigen rhetorischen Tricks, wie sie in ähnlichen – nennen wir sie antifeministischen – Beiträgen gern vorkommen. Man weist Relativierung von Übergriffen oder eine Schuldumkehr von sich, kostet aber das alles vom ersten bis zum letzten Buchstaben so richtig aus. Der Feststellung, dass sich Männer "trotzdem kontrollieren" müssen, folgte sofort jene über die Verantwortung von Frauen, wenn sie nicht im "Geiste des Egalitarismus auftreten". Sie haben den Text also schon richtig verstanden. Sie ist schuld oder zumindest mitschuldig.

Es ist Machterhalt, nicht die Kleidung

Doch trotz rhetorischer Tricks, Verharmlosung und Schuldumkehr: Gerade für wichtige gesellschaftspolitische Debatten brauchen wir das Prinzip der wohlwollenden Interpretation, also den Versuch, eine bestimmte Position in einem bestmöglichen Sinne zu verstehen. Vielleicht wollte die "Zeit"-Autorin schlicht das herrschende Schönheitsdiktat wieder einmal thematisieren, das Frauen – da hat Kuchler ja recht – von Wichtigem abhält, Frauen Zeit verschwenden lässt. Der Zwang, schön sein zu müssen, ist tatsächlich ein wichtiges Thema des Feminismus. Aber es kann doch bitte nicht völlig beliebig das Problem A als Lösung des Problems B herangezogen werden – nur weil beide Probleme feministische Arbeitsfelder sind. Noch dazu sind Schönheitsnormen und sexuelle Belästigung bis Gewalt Bereiche, die Feministinnen in mühsamer Arbeit seit den 1970er-Jahren aus einer Ursache-Wirkung-Verknotung gelöst haben. Seit einigen Jahren marschieren daher Frauen als Nachhilfemaßnahme immer wieder weltweit in sogenannten Schlampenmärschen durch die Straßen und skandieren etwa "It´s a Dress not a Yes".

Zu all dem Übel kommt noch eine völlige Fehleinschätzung der Mechanismen von Unterdrückung. Bei diesen geht es um Machterhalt, um Ressourcen, um Vorherrschaft. Und diese Vorherrschaft entstand nicht, weil Frauen zu schnittige Klamotten trugen.

Auch sexuelle Belästigung ist eine Machtdemonstration. Und wer bereit ist, seine Überlegenheit so unter Beweis zu stellen, dem ist es völlig wurscht, ob die Nase gepudert oder fettig und großporig ist. (Beate Hausbichler, 14.11.2017)