Auch wenn sich jährlich in Schanghai Chinas offen lebende Homosexuelle zur Parade treffen: In dem asiatischen Land werden Schwule und Lesben noch immer zur "Umwandlung" gezwungen.

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Hongkong/Wien – "Meine Mutter fing an zu schreien. Sie brüllte, dass unglückliche Dinge über unsere Familie hereinbrechen würden. Mein Vater fiel vor mir auf die Knie, weinte, drohte mit Suizid", erinnert sich Xu Zhen. Kurz davor hatte er seinen Eltern erzählt, dass er schwul sei.

"Was hätte ich anderes tun sollen?", rechtfertigt sich der junge Chinese dafür, dass er sich von seiner Familie zu einer sogenannten "Umwandlungstherapie" zwingen ließ. Eine Therapie, die viele Chinesen auf Druck ihrer Familie hin unfreiwillig auf sich nehmen, wie die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) in einem am Mittwoch veröffentlichten Report berichtet.

Keine Änderung möglich

Seit 1997 ist Homosexualität in China legal, und seit dem Jahr 2001 wird sie nicht mehr als psychische Erkrankung geführt. "Es gibt keine soliden wissenschaftlichen Beweise, dass die angeborene sexuelle Orientierung verändert werden kann", hieß es erst im vergangenen Jahr in einer Aussendung der globalen Psychiatervereinigung WPA, der auch China angehört.

Und doch drängen Familien ihre homosexuellen Angehörigen in Spitäler – teilweise unter Einsatz von Gewalt. Dort werden ihnen laut HRW unbekannte Medikamente oral verabreicht oder gespritzt. In manchen Fällen werden sie an Elektroschocker angeschlossen. "Dabei werden ihnen etwa Filme mit schwulem Sex gezeigt", sagt HRW-Forscherin Maya Wang zum STANDARD: "Wenn sie erregt sind, werden ihnen Stromschläge verabreicht." Ohne jede Auswirkung auf ihre sexuelle Neigung, wie alle Betroffenen angaben, die für den Bericht interviewt wurden.

Gerichtsurteile gegen Therapien

Mit ein Grund für das konservative Familienbild ist laut Wang Chinas mittlerweile abgeschaffte Ein-Kind-Politik: "Die Menschen stehen enorm unter Druck, ihren Eltern einen Nachkommen zu präsentieren – am besten noch einen männlichen", sagt sie. Außerdem war es bis September dieses Jahres sehr einfach, eine Zulassung als psychologischer Berater zu bekommen. Mittlerweile hat die chinesische Führung reagiert und die Zulassungen ausgesetzt.

Selbst chinesische Gerichte sind der Ansicht, dass solche "Umwandlungstherapien" illegal sind. 2014 und heuer gaben zwei Richter den Klagen von Betroffenen recht, die zwangseingewiesen wurden. Nach dem Urteil im Juli dieses Jahres musste eine psychiatrische Klinik eine Entschuldigung in lokalen Medien und 5000 Yuan (rund 640 Euro) Entschädigung zahlen. "Das chinesische Rechtssystem kennt aber keine Präzedenzfälle", sagt Wang, "deshalb hatten die beiden Urteile keine breite Wirkung."

Steigende Akzeptanz in Gesellschaft

Sukzessive ist die Führung in Peking in den vergangenen Jahren gegen Homosexualität in der Öffentlichkeit angegangen. Im März 2016 verbot sie die Darstellung von Homosexuellen in TV-Produktionen. Im Juli 2017 folgte schließlich das Vorgehen gegen LGBT-Inhalte im Internet.

Dem gegenüber steht eine steigende Akzeptanz in der chinesischen Gesellschaft. In den Metropolen wachsen die Homosexuellengemeinschaften an. "Der beste Weg, um die weiterhin versteckt lebenden Homosexuellen zu ermutigen, ist, die Kontrolle über die Zivilgesellschaft zu lockern", fordert die HRW-Forscherin. Aktivisten müssten ohne Zensur an die Öffentlichkeit gelangen, damit die Leute sehen, dass es "in Ordnung ist, homosexuell zu sein", sagt Wang. (Bianca Blei, 15.11.2017)