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Metallica Ende 1986: Brülltier James Hetfield, Bassist Jason Newsted als Ersatz für den tödlich verunfallten Cliff Burton, Drummer Lars Ulrich und Gitarrist Kirk Hammett.

Foto: Koh Hasebe/Shinko Music/Getty Images

Wien – Im Jahr 1986 finden diverse Katastrophen statt. Die Raumfähre Challenger explodiert, Kurt Waldheim wird österreichischer Bundespräsident, Jörg Haider Chef der FPÖ. Vor allem aber ist da die furchtbare Sache in Tschernobyl. Das führt dazu, dass der Vater daheim auf seinen gebrockten Atompilzen sitzenbleibt und man mitten im Sommer ohne mütterlichen Protest tagsüber fernsehen darf, weil man nicht an die frische Luft soll.

9 1/2 Wochen mit Kim Basinger und Mickey Rourke im Kino verändert das Schlafzimmerverhalten mit Eiswürfeln und Honig nachhaltig. In der Musikszene regieren Madonna und die New Kids on the Block. Europe schmettern The Final Countdown. Laut Bundeskanzler Fred Sinowatz ist alles sehr kompliziert.

Am 3. März 1986, veröffentlicht die US-Band Metallica ihr drittes Album, Master of Puppets. Bevor das Quartett schließlich 1991 mit dem titellosen "Black Album" und tendenziell feisteren und für Popohren gefälligeren Songs zu einer globalen und bis heute kommerziell bestimmenden Stadiongröße aufsteigt, werden auf Master of Puppets die alten Qualitäten des nur wenige Jahre zuvor aufgekommenen Thrash Metal noch einmal überzeugend gebündelt. Zeitgleich zu Reign in Blood, dem ungleich unbarmherzigeren Meisterwerk der Kollegen von Slayer, gelingt es Sänger und Gitarrist James Hetfield und Drummer Lars Ulrich, den Songschreibern von Metallica, trotz Blümchensex-Intros mit akustischen Gitarren die Stärken im Titelsong oder in Brechern wie Damage, Inc. und Battery zum Hörsturz zu treiben.

1985er-Demo von "Master of Puppets".
MetallicaTV

Wild, wütend, schnell und aggressiv hackt und drischt man sich mit präzise gesetzten Stakkato-Riffs (noch eingespielt mit dem kurz danach tödlich verunfallten Cliff Burton am Bass), einem als Gesang getarnten kräftig-männlichen Klagenhagel über den Zustand der Welt, also Drogen, die Kontrollgesellschaft oder Religion, und einem nicht immer metrisch supersauberen Schlagzeug im Gedenken des Tiers aus der Muppet Show durch 55 Minuten.

2016 wurde Master of Puppets als erstes Metal-Album überhaupt als wertvolles Kulturgut in die Library of Congress aufgenommen. Es hat über die Jahre bis heute über sechs Millionen Stück verkauft. Gerade noch rechtzeitig zum 31,5-Jahre-Jubiläum erscheint nun in diversen Formaten eine Neuauflage des Albums. Man kann zwischen diversen CD-Formaten sowie einer mehrere hundert Euro teuren Luxusedition wählen. Diese umfasst drei Vinylalben, zehn CDs, zwei DVDs, ein Buch sowie für die Zielgruppe finanzstarker älterer Herren, die sich ihre Jugend zurückkaufen wollen, sicher auch einen Kaufanreiz schaffende Bandsticker für den Moshpit vorne beim nächsten Österreich-Konzert Metallicas (Wiener Stadthalle, 31.3.2018).

Metallica erinnern sich an "Master of Puppets".
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Weil wir aber im Zeichen der Nostalgie eines älteren Publikums und wegbrechender Tonträgermärkte bei den Jungen ohnehin nur noch nach rückwärts schauen, beinhaltet die Luxusedition neben Studio-Remasters, Live- und Proberaummitschnitten und Songskizzen auch ein Tonträgerformat, das noch jeder musikalischen Undergroundszene vom Siegeszug des Walkman in den späten 1970er-Jahren (die Eltern fragen!) bis zur Einführung der CD in den 1990ern zum Siegeszug verhalf: eine Kompaktcassette.

Cassettennostalgie

Das wichtigste und günstigste und bis zu seinem Zerbröseln und Freitod durch Erhängen im Abspielfach immer wieder überspielbare und neben Vinyl bestimmende Tonträgerformat des späteren 20. Jahrhunderts mag heute nur noch 0,2 Prozent Marktanteil besitzen. Es steht aber für eine Zeit, in der man es nicht so sehr mit der Tonqualität, dafür aber der rebellischen Geste und dem Geld, das man zusammenhalten musste, noch sehr genau nahm. Aufs Geld schauen die Multimillionäre von Metallica noch heute. Aber auch auf ein früheres symbolisches Kapital wie die "Authentizität" des Cassettenformats. Im heutigen Underground gilt die Cassette übrigens noch immer als schicke Sache. Metallica eher gar nicht. (Christian Schachinger, 15.11.2017)