Im Gleichklang: Ob traditionelle Volksmusik oder Neofolk – das Genre bietet immer wieder Anknüpfungspunkte für rechte Ideologien.

Foto: imago/Ralph Peters

Graz – Volksmusik ist lebendiger Ausdruck von Identität und kann Menschen einer Region oder gar über nationale Grenzen hinweg verbinden: So kann man Volksmusik ohne weiteres betrachten. Doch muss man nicht auch die Offenheit des Genres für die Vereinnahmung durch verschiedene Ideologien mitdenken?

"Das Vergangene ist nicht tot; es ist nicht einmal vergangen", lautete das Motto des internationalen Symposiums "Volksmusik und (Neo-)Nationalismus", das letzte Woche vom Steirischen Volksliedwerk in Kooperation mit der Grazer Kunstuniversität, dem Johann-Joseph-Fux-Konservatorium und der Volkskultur Steiermark GmbH veranstaltet wurde. Demzufolge kommt man um eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte der Volksmusik nicht herum – insbesondere in Österreich und Deutschland, wo ihr der Nationalsozialismus die Unschuld nahm. Dieser historische Bruch erklärt auch, warum dem Begriff "Volk" in all seinen Verbindungen noch immer ein dissonanter Klang anhaftet. Bemerkenswerterweise entdeckten gerade die Linksalternativen gemeinsam mit dem US-Folk in den 1960er-Jahren die alten Volkslieder wieder und haben ihnen neues Leben eingehaucht.

Rechtskonservativer Neofolk

Das rechtskonservative Gegenstück dazu sieht der junge Grazer Musikwissenschafter Florian Wimmer in der heutigen Neofolk-Bewegung. Auch hier handle es sich um eine "subversive Gegenstrategie" gegen das "Establishment" – allerdings sei dieses für die Vertreter des Neofolk nicht mehr bürgerlich-konservativ, sondern von linken Alt-68ern geprägt.

Deutlich wird die politische Ausrichtung des Neofolk sowohl in ihrer ästhetischen Inszenierung als auch in den Texten: "Humanisierung – in Wahrheit Bestialisierung. Solidarisierung – in Wahrheit die entgeistete, wesenlose Gleichmacherei. Und Demokratisierung dann in Wahrheit die Entfesselung der in sich ungeistigen Masse." Diese von der deutschen Neofolk-Band Von Thronstahl vertonten Zeilen entstammen einem Gedicht des Priesters Hans Milch, einem 1987 verstorbenen Vertreter des antimodernistischen, zum Teil antisemitischen und islamfeindlichen "katholischen Traditionalismus".

Anklang bei Identitären

"Der Neofolk findet in der Identitären Bewegung großen Anklang", berichtete Wimmer in seinem Vortrag. "Für die sogenannte neurechte Szene bietet er inhaltlich viele Anknüpfungspunkte: vom Kulturpessimismus bis zum Streben nach 'Höherem', das die Heimat, die Natur, das Göttliche etc. meinen kann." Seine Lyrics findet der Neofolk u. a. bei Autoren wie Gottfried Benn, Friedrich Nietzsche, Oswald Spengler oder dem faschistischen Philosophen Julius Evola. Allesamt Dichter und Denker, die auch in der "neurechten" Szene für den philosophisch-poetischen Überbau sorgen. Man gibt sich intellektuell, die balladenartigen, oft rezitativen oder hymnischen Gesänge haben mit dem primitiven Brutalo-Rechtsrock zumindest äußerlich nichts zu tun.

"Der Rechtsextremismus geht mit dem Zeitgeist, ohne dass sein ideologischer Kern aufgeweicht wurde", verwies Andreas Peham vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands auf die unveränderte Ideologie hinter den oft coolen oder romantischen Fassaden. Neu ist hier allenfalls die Form der "ästhetischen Mobilmachung", über die rechtsextreme Werte an Jugend gebracht werden sollen.

Und was sagen die Musiker dazu? Das weitverbreitete Motto in der Szene laute "Never explain, never complain", beschrieb es Florian Wimmer. Damit ebne man den "neuen" Rechten zwar den Weg, dennoch könne man die Neofolkszene "nicht als rechtsextreme Subkultur bezeichnen – wohl aber als eine nach rechts offene".

Verbotene türkische Nationalhymne

Ein anderes Beispiel für politische Instrumentalisierung von Volksmusik ist die türkische Nationalhymne. "Als Volksmusik kann man Hymnen betrachten, wenn sie für bestimmte Volksgruppen als Teil des kollektiven Gedächtnisses gelten", erklärte die türkische Volksmusikforscherin Hande Saglam. Die 1933 komponierte "Hymne für das 10. Jahr der türkischen Republik" habe vor allem für die nationalistische und laizistische kemalistische Elite des Landes identitätsstiftend gewirkt.

"Seit zwei Jahren werten religiös-fundamentalistische Schichten des Landes dieselbe Hymne aber als Symbol des Laizismus und damit als gegen die Regierung der AKP gerichtet", berichtete Saglam. "Von der jetzigen Regierung wurde sie deshalb verboten." In der "Neuen Türkei-Hymne" wird Erdogan als "unser Anführer" gepriesen. Das Verbot der alten Hymne habe in der Folge bewirkt, dass sie bei Regierungsgegnern unterschiedlicher ethnischer und religiöser Zugehörigkeit nun zum musikalischen Symbol ihrer Kritik an Fundamentalismus und AKP wurde.

Jung, wild und besoffen

Dass viele Länder mit ihrer Volksmusiktradition aufgrund anderer historischer Gegebenheiten auch recht entspannt umgehen können, zeigte etwa der Vortrag des Schweizer Musikwissenschafters Dieter Ringli von der Hochschule Luzern. Er berichtete über den Schweizer Ländler-Boom in den 1920er-Jahren und den "Aufstieg" dieser "jungen, schnellen, wilden und besoffenen" Volksmusik zur Nationalmusik mit der Funktion der "geistigen Landesverteidigung" während des Zweiten Weltkriegs.

Nach 1945 habe der Ländler durch diese Vereinnahmung jedoch seine Popularität und Lebendigkeit eingebüßt. Erst mit den Erfolgen der rechtsnationalen SVP Anfang der 90er-Jahre sollte der Ländler wieder vor einen politischen Karren gespannt werden: War er doch – wie auch der Großteil der SVP-Anhänger – vor allem in der ländlichen Schweiz zu Hause. Für die urbane linke Szene wurde die Volksmusik damit – wie auch in anderen Ländern – zum absoluten Tabu.

"Erstaunlicherweise hat sie sich im neuen Jahrtausend, als der Nationalismus zu erstarken begann, aus diesem Kontext lösen können und gilt heute auch in alternativen und linken Kreisen als frisch und spannend." Möglich wurde das durch junge Musiker, die traditionelle Volksmusik mit Jazz, Klezmer, Rock und anderen Musikstilen verwoben und weiterentwickelt haben. Eine Frischzellenkur, die auch in "historisch belasteten" Ländern auf der Basis der Volks- eine neue, jugendliche "Volx"-Musik hervorbrachte. Und die kann sich falsche Verehrer recht gut vom Leib halten. (Doris Griesser, 18.11.2017)