Buchtipp

Ben Miller:
Anybody out there? Die faszinierende Suche nach außerirdischem Leben.
Penguin, München 2017
368 Seiten, 10,30 Euro

Cover: Penguin

Es ist ausgerechnet Kurt Waldheim, der im Namen der gesamten Menschheit zu den potenziellen Bewohnern fremder Welten spricht. Natürlich nur, sofern irgendeine Lebensform da draußen Ohren hat und herausfindet, wie man eine Hi-Fi-Anlage baut, auf der man eine Schallplatte mit 16 2/3 Umdrehungen pro Minute abspielen kann. Genau das ist nämlich die erforderliche Geschwindigkeit, um den Inhalt der Golden Records zu entziffern, die 1977, vor genau 40 Jahren, an Bord der interstellaren Voyager-Raumsonden ins All katapultiert wurden.

Waldheims Wehrmachtsvergangenheit hatte noch nicht die Welt aufgerüttelt, und so sprach der spätere österreichische Bundespräsident in seiner damaligen Funktion als UN-Generalsekretär die ersten Grußworte, die in die vergoldeten Scheiben eingraviert wurden – mit einem unüberhörbaren österreichischen Akzent.

Botschaft ins All: Das Cover der Golden Record, die vor 40 Jahren an Bord der Voyager ins All geschickt wurde, enthält die Gebrauchsanleitung für das Abspielen der Datenplatte. Hier spricht Kurt Waldheim die ersten Worte.
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Verfälschter Eindruck

Es passt ganz gut, dass diese erste mündliche Botschaft an Außerirdische von einem Mann verlesen wurde, dessen Leben zum Teil auf einer Lüge aufbaute. Denn auch der Rest dieses Zeugnisses der Menschheit, das immerhin eine geschätzte Lebensdauer von 500 Millionen Jahren hat, gibt ein recht verfälschtes Bild des Planeten ab. In den 55 Grüßen, 115 Bildern, den Musikstücken und Erdgeräuschen werden weniger glorreiche irdische Eigenheiten wie Kriege, Hunger oder sterbende Wale nicht dokumentiert.

So klingt die Erde: Playlist mit den Songs, die per Golden Record ins All geschickt wurden.

Einmal abgesehen davon, dass die Wahrscheinlichkeit äußerst gering ist, dass irgendjemand dereinst etwas mit dieser Nachricht anfangen kann – ist es vielleicht etwas zutiefst Menschliches, sich sogar jenseits des Sonnensystems besser darzustellen, als man ist? Oder streben wir vielleicht gerade deswegen hinaus in den Kosmos, um uns zu einer besseren Spezies zu entwickeln?

Platzverschwendung

Kaum eine Frage löst zugleich so viel Faszination und Ehrfurcht aus wie jene, ob wir alleine sind in diesem unfassbar großen Universum. Auf kaum einem Gebiet sind Fakten und Fantasie so eng miteinander verwoben. "Wenn es nur uns gibt, wäre das eine fürchterliche Platzverschwendung", brachte es der Astronom Carl Sagan auf den Punkt. Sagan war Pionier der Astrobiologie, die sich mit möglichem Leben abseits der Erde beschäftigt. Er war Wegbereiter der modernen Suche nach extraterrestrischer Intelligenz (Seti) – und Mastermind hinter dem Golden-Record-Projekt. Die Datenplatte, die auf Voyager 1 montiert ist, hat 2012 als erstes menschengemachtes Objekt unser Sonnensystem verlassen und wird in etwa 40.000 Jahren den rund 17 Lichtjahre von der Sonne entfernten Stern Gliese 445 passieren.

Dreisonnenuntergang: So könnte der Himmel des Exoplaneten Gliese 667Cd in Richtung seines Muttersterns Gliese 667C aussehen. Im Hintergrund sind die weiteren Sterne des Dreifachsystems zu sehen. Das 22 Lichtjahre entfernte System enthält mindestens einen erdähnlichen Planeten in der habitablen Zone.
Illustration: ESO/M. Kornmesser

Seit den ersten Versuchen einer Kontaktaufnahme hat sich unsere Perspektive auf das Universum gewaltig verändert. Nach einer anfänglichen Euphorie mussten Forscher, die sich mit außerirdischem Leben beschäftigten, im besten Fall damit rechnen, schief angeschaut zu werden. Im schlechteren Fall wurden ihnen sämtliche Fördergelder gestrichen. Zu sehr hatten angebliche Ufo-Sichtungen und andere esoterische Phänomene wie Kornkreise die Suche nach außerirdischem Leben in eine pseudowissenschaftliche Schmuddelecke gedrängt.

Wissensexplosion

Mit den Erfolgen von Sonden, bemannten Raummissionen und Hightech-Observatorien hat sich dieses Bild allmählich gewandelt. Spätestens mit der 2009 gestarteten Kepler-Mission erweiterte sich das Wissen um den extrasolaren Raum explosionsartig. Seither ist klar: Ein Sternensystem mit Planeten wie das unsere ist keineswegs eine Seltenheit, sondern der Normalfall. Nahezu 3700 Exoplaneten, die ferne Sterne umkreisen, wurden bereits identifiziert, tausende Kandidaten müssen noch genauer überprüft werden. Etwa drei Dutzend der bereits entdeckten Planeten dürften in der habitablen Zone ihres Sterns liegen, das heißt, dass Bedingungen vorliegen, die erdähnliches Leben theoretisch möglich machen.

Bild nicht mehr verfügbar.

Künstlerische Darstellung des Kepler-Weltraumteleskops.
Illustration: APA/EPA/NASA/Ames/JPL-Caltech

Die Verarbeitung der Kepler-Daten ist noch lange nicht abgeschlossen und bringt ständig neue Erkenntnisse ans Licht. Dabei nimmt Kepler, dessen Treibstoff gerade noch ein Jahr reichen dürfte, nur ein Vierhundertstel des Sternenhimmels unter die Lupe. Und selbst vor unserer eigenen Haustür steht die Suche noch am Anfang. Auf dem Mars könnte es vor langer Zeit Leben gegeben haben. Unter der Eisschicht des Saturnmonds Enceladus hat die Raumsonde Cassini einen riesigen Ozean entdeckt, und auch der Saturnmond Titan und der Jupitermond Europa dürften jede Menge Eiswasser und Kohlenwasserstoffe beherbergen – eine Umgebung, in der Mikroorganismen gedeihen könnten. Der jüngste Forschungszweig beschäftigt sich nun mit der Suche nach lebensfreundlichen Exomonden.

Doch auch wenn die heutigen Versuche, lebensfreundliche oder gar belebte Planeten zu finden, nicht mehr so unbeholfen sind wie früher, bleibt doch die Frage: Was treibt die Menschen an, in fremde Sphären zu streben, mehr oder weniger auf gut Glück ins Universum zu spähen, das schätzungsweise mehr als eine Billion Galaxien umfasst? Ist es eine Art Kolonisierungsdrang, auch unter dem Aspekt, einen Ersatzplaneten für die selbstzerstörerische Menschheit zu finden? Oder geht es doch eher um die Suche nach einem Ebenbild, das ermöglicht, mehr über uns selbst und das Leben auf der Erde zu erfahren?

Begegnungssehnsucht

"Der Mensch ist ein ultrasoziales Wesen", sagt Joachim Fischer von der Philosophischen Fakultät der TU Dresden. "Es ist eine urmenschliche Eigenschaft, sich in andere hineinzuversetzen und sie verstehen zu wollen." Der Mensch habe eine Sehnsucht nach Begegnung und danach, sich selbst in fremder Gestalt zu spiegeln, erläuterte Fischer, Co-Autor des Buches Soziologie der Weltraumfahrt (Transcript 2014), im Oktober in der 3-sat-Wissenschaftssendung Scobel. Die gesamte Kosmologie könne auch als Weltflucht gedeutet werden, die dazu dient, einem "Weltgrund" näherzukommen, einem tieferen Sinn für unser Leben auf der Erde.

Ganz anders sah das der deutsche Physiknobelpreisträger und Fortschrittskritiker Max Born. Die Raumfahrt sei ein "extravaganter Luxus", der weder zum Wohlstand der Menschheit noch zu Glück und Zufriedenheit beitragen würde. Die Raumfahrt sei "ein Triumph des Verstandes, aber ein tragisches Versagen der Vernunft", lautete 1958 sein Urteil.

Fermi-Paradoxon

Andere Forscher, wie etwa der italienische Physiker Enrico Fermi, ebenfalls Nobelpreisträger, stellten weniger die Frage nach dem Sinn der Raumfahrt, sondern danach, warum uns die Außerirdischen noch immer keinen Besuch abgestattet hatten, wenn doch in den immensen Weiten des Universums die Wahrscheinlichkeit dafür ziemlich hoch sein müsste. Die unter dem Namen Fermi-Paradoxon in die Geschichte eingegangene Gedankenspielerei mündete 1961 in die Drake-Gleichung. Der amerikanische Astrophysiker Frank Drake war der Erste, der einen Lauschangriff auf das Universum startete: Er fahndete systematisch mithilfe von Radioteleskopen nach Signalen außerirdischer Intelligenz und organisierte in der Folge die erste Seti-Konferenz.

Künstlerische Darstellung einiger Welten, die Kepler erspähte.
Illustration: NASA/JPL-Caltech

Die Drake-Gleichung dient zur Abschätzung der Anzahl der Zivilisationen in unserer Galaxie. Es ist eine Gleichung mit lauter Unbekannten. Sie basiert auf verschiedenen Annahmen, etwa über die Zahl der Sterne, die pro Jahr entstehen, über die Zahl der lebensfreundlichen Planeten in ihren Systemen, Annahmen zu den Wahrscheinlichkeiten für die Entstehung primitiven und komplexen Lebens auf diesen Planeten und letztlich zur Frage, wie lange eine technologische Zivilisation in der Lage wäre, Funkwellen zu übertragen.

Superteleskope und Miniraumschiffe

Nimmt man bei allen Annahmen den niedrigsten und den höchsten Wert, kommt man auf eine Bandbreite von mindestens 20 bis maximal 50 Millionen Sternen, von denen wir ein Signal empfangen könnten, rechnet Ben Miller in seinem kürzlich im Penguin-Verlag auf Deutsch erschienenen Buch Anybody Out There? vor. Natürlich lässt auch die Drake-Gleichung offen, ob es tatsächlich so etwas wie eine zweite Erde gibt, auf der sich ähnliche Prozesse abgespielt haben wie auf unserem Planeten, und die über Millionen von Jahren dazu geführt haben, dass ähnlich intelligentes Leben entstanden ist. Nach wie vor ist außerdem unklar, ob außerirdisches Leben überhaupt auf den gesuchten Elementen Kohlenstoff, Wasser-, Sauer- und Stickstoff basieren muss und nicht etwa in Form irgendeiner selbstorganisierten Staubwolke in den Tiefen des Alls existiert.

Mit dem James Webb Space Telescope soll 2019 das bisher leistungsstärkste Weltraumteleskop starten.
Illustration: Northrop Grumman/NASA

Gelegenheiten, um Antworten auf diese Fragen zu finden, wird es viele geben. Einige neue Superweltraumteleskope werden schon bald an die Kepler-Mission anknüpfen – allen voran das James-Webb-Teleskop, das per Infrarot die Atmosphäre von Planeten da draußen analysieren wird. Und es gibt auch eine Art Nachfolgeprojekt für die Golden Records: Die Breakthrough-Initiative des russischen Millionärs Yuri Milner plant nicht nur, per Laser eine Flotte von Miniraumschiffen zu unseren Nachbarn im Doppelsternsystem Alpha Centauri zu schleudern, sondern hat mit Breakthrough Message einen Wettbewerb angekündigt, mit dem eine mögliche intergalaktische Nachricht vorbereitet werden soll – hoffentlich eine, die die Menschheit zumindest ehrlich beschreibt. (Karin Krichmayr, 20.11.2017)