Was eint sie, was unterscheidet sie? Außenminister Sebastian Kurz während eines Treffens mit Ungarns Premier Viktor Orbán vor Beginn des EVP-Gipfels im Juni in Brüssel.

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Wien – Es war der erste Vergleich, der zwischen Sebastian Kurz und Amtsträgern rund um den Globus gezogen wurde, und er haftet ihm bis heute an: Österreichs Außenminister, konstatieren Journalisten wie Politiker, rücke mit seinen Ansichten immer näher an Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orbán heran. So heißt es schon seit dem Spätsommer 2015, als die sogenannte Flüchtlingskrise in Europa ihren Höhepunkt erreicht hatte.

Damals machte sich Orbán mit seiner Idee der totalen Abschottung einen Namen als Hardliner der ersten Stunde. Heute, mehr als zwei Jahre später, hat Orbáns Konzept längst zahlreiche Nachahmer gefunden. Sebastian Kurz aber schwenkte als Erster auf dessen Linie um – und am deutlichsten: Es war jene Zeit, in der er sich die Rolle des Vertreters eines harten politischen Kurses verpasst hat, die er bis heute pflegt: das Image des Politikers, der seinen Worten nach Dinge ausspricht, die hässlich klingen mögen, die aber unvermeidbar seien. Sein Verhalten in der Flüchtlingskrise war zentrale Botschaft im Wahlkampf. Und wer die Parallelen zu Orbán schon damals gesehen hat, der erkennt sie auch heute noch. Dass Österreichs präsumtiv neuer Bundeskanzler nun eine Koalition mit der FPÖ eingehen dürfte, bestärkt nun all jene, die ohnehin schon überzeugt waren, Sebastian Kurz sehe seinen Platz eher bei den Visegrád-Staaten anstatt in Kerneuropa. Dabei trifft der Vergleich heute wie damals nur teilweise zu.

Obergrenze vs. Obergrenze

Das fängt schon damit an, dass die Frage der Grenzsicherung unterschiedliche Bedeutung haben kann. Sie kann das Hochziehen von Zäunen meinen, dass jegliche Einwanderung verhindert werden soll, wie es Orbán vorschwebt, der ganz Ostmitteleuropa zur "migrantenfreien Zone" erklärt hat. Oder sie kann eine Vorstellung bedeuten, die inzwischen zum Standardrepertoire der meisten Regierungen in Europa gehört, und zwar auch jener, die am freundlichsten mit Flüchtlingen umgehen: Sie sieht schon längst Grenzkontrollen vor, den Wunsch nach einem besseren Schutz der EU-Außengrenzen, um Migration zu kanalisieren und illegale Einwanderung zu reduzieren.

Während Ungarn also überhaupt niemanden, die Slowakei und Tschechien jeweils zumindest einige wenige aufnehmen möchte, hat Sebastian Kurz in seinem Wahlprogramm festgehalten: eine "Obergrenze gleich null", die allerdings nur die illegale Migration betrifft. Dass Österreich aber prinzipiell sehr wohl Flüchtlinge ins Land lassen solle, hat der ÖVP-Chef immer wieder betont.

"Bewältigbar" seien ihm zufolge 10.000 bis 15.000 Menschen pro Jahr. Auf eine Obergrenze für Flüchtlinge hat sich Österreich inzwischen ebenso verständigt wie Deutschland, wo sie in den derzeit laufenden Sondierungsgesprächen lediglich unter dem neuen Namen "Richtwert" durchgesetzt werden soll. Für die von der EU vorgegebenen Asylquoten hat sich die ÖVP ursprünglich eingesetzt und dies auch von Ungarn eingefordert. Sebastian Kurz hat von Budapest verlangt, das diesbezügliche Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu respektieren. In einem Punkt zeichnet sich sogar Streit ab: Das von Kurz immer wieder eingeforderte Ende der "Zuwanderung in das österreichische Sozialsystem" droht dem Gleichheitsgrundsatz unter EU-Bürgern zu widersprechen und stößt vor allem in Osteuropa auf Kritik.

Während der vielzitierte Klempner aus Polen in Großbritannien den Brexit-Befürwortern als Hauptargument für den Ausstieg diente, führte Sebastian Kurz meist das Beispiel der Pflegerin aus Rumänien an, deren zu Hause gebliebenen Kinder weniger Familienbeihilfe erhalten sollten. Die unterschiedlichen Sozialsysteme in der Union sind eines jener Beispiele, bei denen Kurz nicht mehr, sondern weniger Zusammenarbeit in der EU vorschwebt. Kurz sagt von sich selbst, er habe "von seinen Wählern den Auftrag erhalten, eine proeuropäische Kraft der Veränderung zu sein". Die Idee einer Sozial- und Fiskalunion widerstrebt ihm dabei, womit er sich ausgerechnet jenem Politiker entgegenstellt, zu dem ebenfalls oft Parallelen gezogen werden: Emmanuel Macron, der sich derzeit anschickt, die Union überhaupt von Grund auf neu aufzustellen.

Bewegung vs. Bewegung

Im Fall von Emmanuel Macron war es zunächst das Alter, das Kurz (31) in die Nähe des französischen Präsidenten (39) rückte. Als der ÖVP-Chef seiner Partei den Zusatz "Bewegung" verpasste, knüpfte er selbst an das Erfolgsmodell Macrons an. Abgesehen davon, dass Letzterer allerdings tatsächlich eine gänzlich neue Partei aus dem Boden stampfte, bleibt bisher in vielen Punkten noch unklar, wofür Sebastian Kurz tatsächlich steht – und welchen Einfluss die FPÖ auf seine Politik haben wird.

Dass Kurz nachgesagt wird, mehr von einem ausgeprägten Machtinstinkt als von einem ideologischen Fundament angetrieben zu sein, dürfte zuletzt den kanadischen Premier Justin Trudeau zu einem bisher ungewöhnlichen Vergleich verleitet haben: Er nannte Kurz in einem Atemzug mit US-Präsident Donald Trump. Er selbst, scherzte Trudeau (45), falle wohl nicht mehr in die Kategorie "neue junge Leader". Mit Sebastian Kurz stimme er jedenfalls "noch weniger überein als mit Präsident Trump", sagte er, ohne Details zu nennen. (Anna Giulia Fink, 15.11.2017)