Es ist erstaunlich, wie schnell der Zeitgeist manchmal Tritt fasst. Kaum wird das Klima eisiger, sind die schweren Schnürer zurück. Sie reichen weit über den Knöchel, werden fest geschnürt, sehen klobig aus und senden eindeutige Signale: Diese Schuhe tragen Frauen, die wissen, wie der Hase läuft. Doch nicht nur das. In Zeiten aufgeregter Twitter-Debatten strahlen jene schweren Schnürstiefel eine Behäbigkeit aus, wie sie aus der Mode gekommen ist. Die flachen Schnürstiefel kommen jetzt einer Selbstvergewisserung gleich: Mich haut nichts und niemand aus den Socken. Mit einem solchen Schuh kann man kaum etwas falsch machen, selbst einem wankelmütigen Charakter verleiht er Statur: Man erscheint auf stabilen Sohlen gleichermaßen stark wie erdverbunden.

Mit der Rückkehr des Soliden ist nun auch wieder der Rebell unter den Schnürstiefeln zurück: Den Dr. Martens hatten seit den 1960ern all jene Subkulturen auf dem Radar, die sich distanzieren wollten – vom weichgespülten Mainstream, den Spießern, den Angepassten. Einer seiner ersten prominenten Träger war dann auch Pete Townsend von The Who.

Aus dem Proberaum auf die Straße: Um schwere Stiefel (wie die von Dr. Martens) kommt in diesem Herbst niemand umhin.
Foto: Dr Martens

Die Attitüde der bewegten 1960er mögen sich heute nur noch wenige ans Bein binden, doch verzichten mag auf den Schnürstiefel auch niemand so recht. Das mag nicht für alle eine Neuigkeit sein. Denn in so manchem Biotop war er nie weg. Jetzt aber entdecken ihn jene wieder, die einem Flirt mit dem lässigen Image des schweren Schnürers nicht abgeneigt sind – auf den Bund fürs Leben aber gut und gern verzichten können.

Deshalb wird gerade besonders gern zu Schuhen gegriffen, auf deren Rücken Blumenmotive ranken: Der geblümte Schnürer zum Beispiel, der innerhalb der letzten H&M-Kooperation mit dem Designer Erdem herausgebracht wurde, war ziemlich bald ausverkauft. Das verwundert kaum: Das Blumenmuster wird normalerweise über mädchenhafte Kleider gelegt, die Kombination mit derbem Leder erscheint allerdings unschlagbar – weil sie auf den ersten Blick so furchtbar adrett aussieht, sich im Zweifelsfall aber als süße Mogelpackung entpuppt. (Anne Feldkamp, 16.11.2017)


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