Stockholm – Schweden fällt in Zusammenhang mit Gleichstellungsfragen vorwiegend positiv auf. Im "Gender Gap Report", der die Teilhabe von Frauen am Wirtschaftsleben, an Bildung oder Politik misst, liegt Schweden regelmäßig unter den besten fünf Ländern Europas. Doch dieser Rang schützt offenbar nicht vor sexuellen Übergriffen, zumindest nicht in der Theaterwelt, beim Film oder in der Musikbranche, wie sich nun im Zuge der weltweiten Enthüllungen über sexuelle Belästigung und Gewalt unter dem Stichwort #MeToo zeigte.

Die schwedische Tageszeitung "Svenska Dagbladet" berichtet seit letzter Woche von zahllosen Übergriffen in der Unterhaltungsindustrie. Auf Initiative einiger schwedischer Schauspielerinnen meldeten sich 1.100 Menschen mit Berichten von sexueller Belästigung und sexueller Gewalt. Das "Svenska Dagbladet" hat letzte Woche einen Teil dieser Schilderungen veröffentlicht, 600 Schauspielerinnen haben ihren Namen daruntergesetzt, wie auch die "Süddeutsche Zeitung" berichtete.

"Kultur des Schweigens"

Die Schilderungen reichen von Bedrängungen über massive verbale Belästigungen bis hin zu Vergewaltigung. Bei den Beschuldigten handelt es sich teilweise um bekannte Personen aus dem Kulturbereich. Ein Theaterdirektor hätte etwa, so eine der Schilderungen, mit Witzen auf die Meldung einer Schauspielerin reagiert, dass ein Kollege sie vergewaltigt habe.

Schwedens Kulturministerin Alice Bah Kuhnke zeigte sich angesichts der massenhaften Berichte schockiert, die Regierung müsse sich sehr ernsthaft damit auseinandersetzen. "Es ist eine Kultur des Schweigens, die sexuelle Übergriffe begünstigt", so die Ministerin. Sie rief die Direktoren dreier Stockholmer Theater zu einer Krisensitzung zusammen.

Die schwedischen Schauspielerinnen hatten unter dem Hashtag #tystnadtagning, der so viel wie "Das Schweigen sprengen" bedeutet, zu Veröffentlichungen von sexuellen Übergriffen aufgerufen. (red, 15.11.2017)