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In ihrem neuen Strategiepapier hat das American Press Institute eine Aufwertung von Social Media-Redakteuren sowie eine stärkere Fokussierung auf Audience Engagement – also einen direkten Austausch von Medien mit ihren Usern – empfohlen. Audience Engagement sei vor allem notwendig "um das Vertrauen in die Profession des Journalismus zu stärken."

Dieses Umdenken hat hierzulande noch kaum stattgefunden: Nur wenige Medienhäuser haben bislang eigene Audience Engagement-Redakteure angestellt. Das werde sich allerdings bald ändern, prophezeit Ryan Kellett, Audience Engagement Director der US-Zeitung "Washington Post".

Schlechte Stellung, hoch qualifiziert

"Audience Engagement-Teams haben in den Redaktionen oft noch immer eine schlechte Stellung", sagt Kellett. "Dabei sind gerade Mitarbeiter, die sich mit Audience Engagement beschäftigen, hoch qualifiziert. Sie haben im Regelfall einen journalistischen Hintergrund, verstehen also das Kerngeschäft. Gleichzeitig sind sie mit aktuellen Marketing-Tools auf allen Social Media-Kanälen bestens vertraut. Und sie wissen mehr als jeder andere in der Redaktion, wer ihr Publikum ist, was sich dieses Publikum erwartet." Audience Engagement-Mitarbeiter, so Kellett, seien die "Joker von morgen".

In der "Washington Post" hat die Aufwertung von Audience Engagement-Redakteuren bereits vor einigen Jahren stattgefunden. "Wir haben zu fünft begonnen und sind heute über 30 Mitarbeiter, die mit knapp 700 Redakteuren und etwa 250 Technikern zusammenarbeiten", erklärt Kellett bei seinem Wien-Besuch anlässlich des fjum-Lehrgangs "Lernlabor Audience Engagement".

Anfangs bezog sich Audience Engagement in der "Washington Post" vor allem auf das Bedienen der Social Media-Kanäle. Mittlerweile ist das Team integrierter Bestandteil der Redaktion.

Vier Untergruppen

Das Audience Engagement-Team der "Washington Post" ist in vier Untergruppen unterteilt, wobei alle Team-Mitglieder zu 100 Prozent als Journalisten sind und nach ihrer journalistischen Erfahrung und ihren Skills ausgewählt wurden.

Die Mitarbeiter des Bereichs "Branded Social" sind einzig und allein die Markenbildung der Zeitung auf diversen Kanälen verantwortlich. Das heißt, sie passen Geschichten, die Redakteure ins Content-Management-System mit Titel und Bildern einpflegen, für den jeweiligen Kanal und die jeweilige Zielgruppe an, beobachten die Entwicklung der Geschichten, schärfen gegebenenfalls nach und interagieren direkt mit dem Publikum.

Eine weitere Gruppe nennt sich "Embedded Social". Diese Audience Engagement-Redakteure sind Teil der jeweiligen Ressorts. Dort beraten, unterstützen und ermutigen sie die Kollegen, ihre Geschichten für die unterschiedlichen Kanäle optimal aufzubereiten, beziehungsweise Strategien zu entwickeln, wie sie das Publikum für ihre Geschichten gewinnen können.

Eine dritte Gruppe ist für die "Breaking News" verantwortlich. Dieses Team berichtet über brandaktuelle Ereignisse und nimmt diese Arbeit zunächst den Redaktionen ab. So haben die Ressortleiter genügend Zeit, sich auf die Ereignisse einzustellen, Mitarbeiter zum Ort des Geschehens zu entsenden, um selbst zu recherchieren und schließlich eine gut recherchierte Geschichte zu liefern, statt das Aktuelle zu covern. Der Workflow habe sich durch diese Strategie massiv verbessert, sagt Kellett.

Das vierte Team nennt sich "Specialists". Die Kollegen dieser Einheit arbeiten gezielt daran, den Austausch mit den Nutzern zu stärken und die Bindung an das Medium zu intensivieren. Sie sind unter anderem für die Erstellung der verschiedenen Newsletter zuständig oder entwickeln zum Beispiel gemeinsam mit den Entwicklern Bots oder Aufrufe und Aktionen zu besonderen Anlässen.

Herausfinden, wie der User tickt

Generell geht es für das Audience Engagement Team derzeit vor allem darum herauszufinden, wie die User zur "Washington Post" finden, warum sie der Zeitung treu bleiben oder sie sich für andere Produkte entscheiden.

"In den kommenden Jahren wird keine Redaktion mehr auf solche Audience Engagement Teams verzichten können", meint Kellett. Und noch sei es keineswegs zu spät sich darauf einzustellen und den notwendigen Austausch mit den Usern herzustellen. "Wir haben sehr früh mit Audience Engagement Arbeit begonnen. Seit Jeff Bezos die 'Washington Post' übernahm, wurde unser Team massiv aufgestockt", sagt Kellett: "Wir haben seither viele Fehler gemacht. Andere können davon lernen und das, was wir in sechs Jahren geschafft haben, in ein oder zwei Jahren umsetzen." (Gunther Müller, 16,11,2017)