Yosi Wanunu (Mitte) und Kornelia Kilga (re. außen) haben vor 20 Jahren Toxic Dreams gegründet. Mit dabei sind auch (v. li.): Michael Strohmann, Susanne Gschwendtner, Anna Mendelssohn, Markus Zett.


Foto: Toxic Dreams

Wien – Man muss es gesehen haben, um es zu glauben: Eine Hollywoodstudio-große Affenhand lag 2007 auf der Bühne des Brut und bewegte die Finger; sie diente dazu, im Stück Kongs, Blondes, Tall Buildings das kulturgeschichtlich relevante Tier namens King Kong zu dekonstruieren. Auch meterhohe Obstpyramiden haben schon auf den Häuptern der Darsteller Platz gefunden (De Lady in de Tutti Frutti Hat), und ein andermal zog sich der Direktor himself splitterfasernackt aus und "spielte" die Oxford-Theater-Enzyklopädie als Lecture-Performance. Ging gut!

Toxic Dreams arbeiten immer wieder neu an der Rückeroberung von Theatralität. Dabei ist die von Yosi Wanunu (Regie) und Kornelia Kilga (Produktion) 1997 in Wien gegründete Theatergruppe immer beweglich geblieben. In ihren bisher 66 Produktionen haben sie zig Formate ausprobiert.

Es gab Sitcoms (The Milosevics) und Kochshows (Titus Andronicus 2), Filmdokumentationen (Vanya) und eine Untersuchungskommission (The Big Event), im Vorjahr überzeugte die gewiefte Screwballkomödie Thomas B or Not, in der Off- und Staatstheater eine personifizierte Liebesbeziehung eingingen.

Verschlossene Türen

Zum 20. Geburtstag sticht das Ensemble jetzt in See. Am Samstag verlassen Toxic Dreams und das Publikum auf der MS Stadt Wien die Anlegestelle Reichsbrücke und ziehen hinaus auf die nächtliche Donau. Do whales dream of tasty sharks? heißt der Abend, der das Endprodukt einer Reise durch die Bundesländer ist; man war auf der Suche nach dem österreichischen Wal (siehe Blog auf derStandard.at), verknüpft mit Herman Melvilles Moby Dick.

Das Schiff als Spielstätte ist auch ein Symbol. Ein Symbol für Ortlosigkeit, also dafür, dass es derzeit keinen Theaterraum gibt, in dem die toxischen Arbeiten adäquat gezeigt werden könnten. Es ist verrückt: Die Stadt Wien hat so viele Theaterbühnen – doch die Türen stehen nicht weit genug offen. So ist das Jubiläum einer der profiliertesten Gruppen der Stadt überschattet von struktureller Ausbremsung. Dabei sollte die berühmt-berüchtigte Theaterreform aus 2003ff. dazu dienen, bessere Arbeitsbedingungen für (unterm Strich weniger) Gruppen zu gewährleisten.

"Für die Gruppen war die Reform gut. Was die Häuser betrifft, hat die Stadt aber jeden erdenklichen Fehler gemacht", sagt Kilga. Die Stadt müsse dafür sorgen, dass freie Theaterschaffende, die gefördert werden, auch Zugang zu Häusern erhalten. Doch derzeit, so ergänzt Wanunu, bestünden eher kleine Königreiche, die Türen blieben zu, im Odeon, Hamakom, Kosmostheater, Werk X. Die Öffnung sollte Teil des Leitungsmandats sein.

Grundsätzlich habe in den letzten Jahren eine Bedeutungsverschiebung vom Künstler hin zum Kurator stattgefunden, so Wanunu, eine Entwicklung, die auch mit dem neoliberalen Turn einhergehe. Der Wert liegt heute bei junger, neuer, produktorientierter, gemanagter und systemkonformer Kunst. Gefragt sind also leicht handhabbare Produkte, die nach zwei, drei Tagen auf dem Spielplan von den nächsten gut handhabbaren Produkten abgelöst werden. "Der Künstler ist heute zum Content-Provider geworden", sagt Wanunu. Eine Gruppe wie Toxic Dreams, deren Theaterkunst auf prozessorientiertem Arbeiten beruht und die mit großen Produktionen antritt, sitzt derzeit zwischen den Stühlen.

Längere Spielserien werden von den Theaterleitern abgelehnt, so Kilga, weil es, so argumentieren diese, "zu wenig Publikum" gäbe. "Wir als Künstler aber sagen: Es braucht längere Spielserien, um mehr Publikum zu gewinnen." Kira Kirsch, Leiterin des Brut, wo im Vorjahr zwei Stücke von Toxic Dreams gezeigt wurden, betont indes, dass stets nach einem Mittelweg gesucht wird, was die Länge der Spielserien betrifft.

Dass sich am Trend absehbar aber nichts ändern wird, zeigt die jüngste politische Entscheidung, das Theater am Petersplatz künftig als Kooperationshaus mit eigener kuratorischer Leitung auszuschreiben. Wanunu: "Noch ein künstlerischer Leiter und sein Gehalt – wozu? Der Betrieb kostet viel, doch für Koproduktionen fehlt das Geld, die Künstler arbeiten fast umsonst. Warum einen Ort halten, an dem de facto nicht produziert werden kann? Schließt das Haus und gebt das Geld den Künstlern!" Aus denselben Bedenken hat am Dienstag die IG Freie Theaterarbeit ihren Juryplatz in der Findungskommission für den Petersplatz zurückgelegt.

Theaterkompetenzen

Toxic Dreams, aufgrund von Wanunus Sozialisation in New York eine englischsprache Truppe, hält auf die regionale Verbundenheit ihrer Arbeit große Stücke. Aus der Flut an international zugeschnittenen, gut verpackten Produktionen stechen die Arbeiten jedenfalls als sehr eigenständig heraus.

Der Aufschwung performativer Bühnenarbeiten hat das freie Sprechtheater in den letzten Jahren zurückgedrängt, so ging etwa das Brut als Knotenpunkt vieler Theatergruppen für Sprechtheater weitgehend verloren. "Damit verschwinden auch Theaterkompetenzen", so Kilga. Wo Toxic Dreams ihr nächstes Projekt zeigen werden – es wird sich The Bruno Kreisky Look Alike nennen -, ist noch nicht abzusehen. Dabei geht es um die verblüffende These, dass der gleichnamige SPÖ-Kanzler ein vertrauenerweckendes Werbesujet abgibt. (Margarete Affenzeller, 15.11.2017)