Country-Star Willie Nelson veröffentlichte 1996 eines seiner Meisterwerke, das Album "Spirit".

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Willie Nelson gilt als fast shooter. Begründet ist dieser Ruf in seinem Songwriting. In seiner Autobiografie "It's a long Story – My Life" schreibt er, dass ihm Songwriting immer schnell von der Hand ging. Anders wäre sein immenser Output auch schwer zu erklären.

Heuer ist das 72. Studioalbum des 84-Jährigen Country-Titanen erschienen. Wenige davon sind ganz große Kunst, viele gepflegtes Mittelmaß, einige schlicht verzichtbar, über hunderte Kollaborationen und Duette schweigen wir lieber.

Erstmals auf Vinyl erhältlich

1996 schoss der Farm-Aid-Initiator aber eines seiner Meisterwerke aus der Hüfte: "Spirit", sein 49. Studioalbum. Im Rahmen des "Black Friday Record Store Day" wird es diese Woche erstmals auf Vinyl erhältlich sein. Denselben späten Segen empfing vor zwei, drei Jahren das Folgewerk "Teatro" (1998), das seinerzeit ebenfalls nur als popeliger Silberling erschienen war.

"Spirit" ist ein spartanisches Album. Ein Grenzgang des Texaners Nelson, der Mechiko beständig im Ohr hat, was sich in seinem Gitarrenspiel deutlich niederschlägt. Die Stimmung des Albums ist warm und melancholisch. Nelson fühlte sich merklich wohl, seine geliebte Schwester Bobbie saß ihm am Klavier gegenüber.

Reduziertes Setting

Das Setting erinnerte ihn an früher, an die Geborgenheit seiner Familie. Einen Zustand, den Nelson im Laufe seines Lebens öfter als einmal herzustellen versuchte – diverse Exfrauen legen davon Zeugnis ab.

Im Zusammenspiel mit Bobbie Nelson wurde "Spirit" ein inspiriertes Album. Die Reduktion auf Akustische und Piano mit wenig zusätzlicher Unterstützung wie etwas Gefiedel fiel nicht ganz zufällig in die Zeit der großen Erfolge, die Johnny Cash damals mit seinen American Recordings genoss.

Anekdotenstadl mit Johnny Cash

Cash und Willie fanden dann auch 1998 im Rahmen der Serie "Storytellers" zueinander. Das dabei entstandene Tondokument zeigt eine sympathische Altherrenrunde, bei der die beiden Anekdoten erzählen und im Pingpongsystem Songs auf der Akustischen zupfen.

Das Thema von "Spirit" sind Abschiede. Nachdem Nelson ein "Matador" genanntes Intro hinter sich gebracht hat, hebt er für "She Is Gone" an. "She is gone, but she was here, and her presence is still heavy in the air", singt er, und es ist so wunderschön und traurig, dass es all den düsteren Cash-Gstanzln von damals das Wasser reichen kann.

WillieNelsonVEVO

Das elegische "Your Memory Won't Die In My Grave" schlägt in eine ähnliche Kerbe. Abschied, Trennung, Löcher im Herzen und der Seele. Nur der helle Gesang des Nasenbären Nelson verströmt unbeirrbar Hoffnung.

JasonKT

Mit dem resignativen "I'm Not Trying To Forget You Anymore" schließt er diese kleine Trilogie ab. Mehr emotionale Entblößung geht nicht. Das Cover des Albums zeigt einen alten Mann, das Gesicht faltig, Traurigkeit im Blick. Was menschenmöglich zur Bewältigung des Schmerzes war, ist getan.

DrSotosOctopus

Mit "Too Sick To Pray" legt er sein weiteres Schicksal in die Hände des Herren. Muss ja. Auch wenn der Allmächtige mit Nelsons Lotterleben vielleicht nicht ganz glücklich ist, Country ohne Gott geht in dieser Liga nicht. Dennoch driftet das Album nicht ab. Nelson gelingt es, die mit den ersten Nummern erzielte Erhabenheit über die Distanz zu bringen.

Kommerziell? Egal

Kommerziell war "Spirit" ein bescheidener Erfolg, doch das war Nelson damals schon lange egal. Er tat, was er tun wollte. So gelangen ihm früh schon seine größten Erfolge, und je stärker Musikbusiness-Verantwortliche versucht hatten, seine Alben zu verhindern, desto erfolgreicher waren sie. Zumindest war das eine Zeitlang so. Lange genug, um Nelson nachhaltig davon abzubringen, auf diese Gestalten zu hören.

Bald nach dem Erscheinen von "Spirit" trat Willie Nelson in Wien auf, Kurhalle Oberlaa. Gemeinsam mit Bobbie am Klavier spielte er damals einige Songs von "Spirit". Vom allgegenwärtigen Chlorgeruch in der Halle abgesehen, waren das die erhabensten Momente der Show. (Karl Fluch, 21.11.2017)