Martin Pollack, Sachensucher.

Foto: Katsey

Es hat zwei Wochen gedauert, bis ich in Bad Erlach endlich ein Geldstück gefunden habe. Nichts Aufregendes, einen Euro-Cent, eine schmutzige, angerostete und zerkratzte Münze, auf der man kaum etwas erkennen kann. Nicht einmal das Land, in dem sie geprägt wurde, wahrscheinlich ist es Österreich. Aber darum geht es gar nicht. Ich habe zwei Wochen lang darauf gewartet, endlich eine Münze zu finden, und da war sie. In einer Nebenstraße, deren Namen ich nicht kenne. Ein kleiner Triumph.

Als Pollack die Gabel im Garten wusch, entdeckte er auf der Rückseite einen Stempel.
Foto: Stifter-Haus Linz

In Bad Erlach bin ich für drei Wochen in einer onkologischen Reha-Klinik. Untertags bin ich meist beschäftigt mit allen möglichen Therapien, Gesprächen, Gymnastik, Walken und ähnlichem Kram, sodass ich wenig Gelegenheit habe hinauszugehen. Vielleicht ist das der Grund, dass es zwei Wochen gedauert hat, bis mein Suchen belohnt wurde. Endlich ein Fundstück!

Harmlose Marotte

Fundstücke sind ein wichtiger Teil meines Lebens, ich klaube sie überall zusammen, wo ich zu Fuß unterwegs bin, auf Reisen, im Dorf, wo ich wohne, in Wien oder jetzt in Bad Erlach. Steine, Knochen, alte Scherben, Holzstücke, die mir aus diesem oder jenem Grund interessant erscheinen (besonders liebe ich vom Wasser glatt geschliffenes Treibholz, davon kann ich gar nicht genug bekommen), vor allem aber Münzen.

Münzen sind die wichtigsten Fundstücke. Nicht wegen ihres Wertes, der ist in den meisten Fällen ohnehin lächerlich gering, sondern weil ihnen seit Jahren meine ganze Leidenschaft gilt. Gefundenen Münzen. Warum das so ist, kann ich nicht sagen. Kein Zweifel, es handelt sich um eine Marotte, aber in meinen Augen um eine harmlose.

Skelettierter Fuchsschädel

Übrigens habe ich in Bad Erlach vor der 1-Cent-Münze natürlich schon andere Dinge gefunden, die ich sofort meiner reichen Sammlung einverleibt habe. Zum Beispiel einen Fuchsschädel, Gott sei Dank bereits vollständig skelettiert, weshalb er nicht mehr übel riecht. Dass ihm ein Teil des Unterkiefers fehlt, ist nicht so schlimm. Der Fuchsschädel, das weiß ich jetzt schon, wird sich prächtig neben dem Marderkopf ausnehmen, der bisher ein Glanzstück meiner Sammlung darstellte. Den Marderkopf habe ich auf dem Dachboden meines Hauses in Bocksdorf gefunden; wie das arme Tier dort zu Tode gekommen ist, konnte nie geklärt werden.

Meine Frau spottet manchmal, dass ich kaum etwas von der Welt mitbekomme, weil ich ständig den Blick nach unten richte, auf den Boden, um nur ja nichts zu übersehen, was da liegt. Für Münzen habe ich einen geschulten Blick, die finde ich überall, auf der Straße, auf dem Gehsteig, in Läden und Restaurants, sogar in der freien Natur, es ist erstaunlich, wie viel Kleingeld die Menschen weltweit verlieren, das offenbar keiner aufhebt, bis ich daherkomme.

Mitgenommene zwei Filler

Zu einer Münze habe ich eine ganz besondere Beziehung, die habe ich bei der Errichtung meiner Bibliothek in Bocksdorf gefunden, im Erdreich. Eine ungarische Münze, 2 Filler, aus dem Jahr 1895. Ich musste sie erst ordentlich waschen und putzen, um das zu erkennen, so arg war die kleine Scheidemünze aus Bronze von der Zeit mitgenommen. Vermutlich stammt sie vom ersten Besitzer meines Hauses oder von einem Familienangehörigen.

Das Haus wurde 1910 errichtet, als das Burgenland noch zur ungarischen Reichshälfte gehörte. Zwei Filler waren auch damals kein Vermögen, aber für so arme Kleinbauern, beinahe Keuschler, wie die Leute, die das Haus errichteten, war das bestimmt ein herber Verlust. Bauern besaßen nie viel Bargeld. Sicher haben sie einige Zeit nach der Münze gesucht.

Das Fundgeld wird sorgfältig aufbewahrt, ausgeben darf ich es nicht, das habe ich mir selber irgendwann (warum, weiß ich heute nicht mehr) verboten. Daher habe ich inzwischen einen riesigen Fundus angesammelt, einen wahren Münzenberg, einen regelrechten Schatz, den ich an zwei verschiedenen Orten aufbewahre, denn es handelt sich eigentlich um zwei Schätze.

Eine kleine Katastrophe

Die Münzen (und Geldscheine, denn auch die werden gesammelt, wenn es sich um Funde handelt) vor der Einführung des Euro und die aus der Zeit danach. Die einen bewahre ich in meiner Bibliothek auf, in einer großen Schüssel, die anderen im Schlafzimmer. Dort landet jetzt alles gefundene Geld, während andere Fundstücke, Knochen und ähnliche Kostbarkeiten, auf die dafür bestimmten Regale in der Bibliothek wandern.

Ein paar Münzen trage ich ständig bei mir, von denen trenne ich mich nie, oder sagen wir lieber, fast nie, weil es passiert, dass ich sie durch eine Unachtsamkeit verliere. Das ist zuletzt in der Ukraine geschehen. Eine kleine Katastrophe. Dann müssen die Münzen ersetzt werden, was gar nicht so leicht ist. Die drei Münzen, die ich in der Ukraine ausgestreut habe, waren: One Cent aus den USA, 1 Santims aus Lettland und eine slowakische Münze, so zerbeult und zerschabt, dass man den Nennwert kaum mehr erkennen konnte (natürlich wusste ich, dass es sich um 10 Heller handelte, schließlich besitze ich genügend gut erhaltene Vergleichsstücke!).

Diese drei Münzen standen für drei in den letzten Jahren geschriebene Bücher. Während der Arbeit an Anklage Vatermord. Der Fall Philipp Halsmann fand ich in Wien, vor der Albertina, die winzige lettische Münze.

Ein Glücksfall

Das war im Mai 2001. Ein Glücksfall. Damals gab es nicht viele lettische Touristen in Wien, die Chance, eine achtlos verlorene lettische Münze zu finden, war minimal. Ich betrachtete den Fund als glückliches Vorzeichen, stammte doch der Held meines Buches, Philipp Halsmann, aus Lettland. Die 10 Heller fand ich während der Recherche zum Buch über meinen Vater in der ostslowakischen Stadt Ruzomberok, wo er für einige Zeit mit seinem Sonderkommando einer Einsatzgruppe stationiert war.

Und das amerikanische Cent-Stück stammt von einer Reise in die USA, die ich zur Recherche für Kaiser von Amerika unternahm. Jede der drei Münzen stand also für ein Buch. Dass ich sie verloren habe, konnte ich mir lange nicht verzeihen. Aber jetzt bin ich irgendwie über den Verlust hinweggekommen. Meine Sammelleidenschaft wurde dadurch jedenfalls nicht gedämpft.

Ein ganz besonderes Fundstück ist eine Gabel. Auf den ersten Blick eine ganz gewöhnliche Gabel, Teil eines Essbestecks. Ich fand sie in meinem vorderen Gemüsegarten oder Küchengarten, wie man das bei uns im Burgenland nennt – ich besitze deren zwei. Der vor dem Haus war schon da, als ich das Anwesen kaufte, den anderen, der hinter dem Haus liegt, habe ich selber angelegt, weil mir der erste zu klein wurde.

Große Enttäuschung

Die Gabel, von der hier die Rede ist, steckte mit den Zinken voran im Boden, ziemlich tief, sie ragte vielleicht ein, zwei Zentimeter heraus. Warum ich sie nicht schon viel früher beim Umstechen oder Jäten gefunden habe, kann ich nicht sagen, das war vermutlich reiner Zufall. Jedenfalls steckte sie in einem Beet, in dem ich Salat pflanzen wollte, es war Frühjahr, März oder April, eigentlich noch zu früh, um Salat ins Freie zu setzen, aber ich mache das immer so früh, zum Spott meiner Nachbarn, doch meistens habe ich Glück – und sie haben das Nachsehen.

Als ich diesmal die Erde mit dem Heindl zwischen den neu gepflanzten Salatpflanzen – Grazer Krauthäuptel – auflockern und das Unkraut entwurzeln wollte, fiel mein Blick auf einen metallenen Fremdkörper, der da im Erdreich steckte. Ich bückte mich und zog ihn heraus. Als ich das Fundstück mit der Hand abwischte, sah ich sofort, dass es sich um eine Gabel handelte. Große Enttäuschung. Doch ich war erstaunt, dass sie, obwohl sie Gott weiß wie lange in der Erde gesteckt hatte, keinerlei Rostspuren aufwies. Sie war ganz blank. Bester Stahl offensichtlich. Als ich sie unter dem Wasserstrahl des Gartenschlauches wusch, entdeckte ich auf der Rückseite einen Stempel: Waffen-SS.

Eine Gabel der Waffen-SS. Ein zweiter, kleinerer Stempel gab Auskunft über den Hersteller: Neoveda-Rostfrei.

Gute Geschäfte

Zuerst dachte ich, Neoveda beziehe sich auf die Art des Stahls, doch aus dem Internet erfuhr ich, dass es sich um einen Erzeuger handelt, um die Neuwieder Besteckfabrik W. Fischer G. m. b. H. in Neuwied am Rhein. Die Fabrik stellte in den Jahren des Dritten Reiches Besteck für die SS und die Waffen-SS her und machte damit wahrscheinlich gute Geschäfte.

Dass ich ausgerechnet in meinem Garten eine SS-Gabel finden musste, empfand ich als Bosheit des Schicksals. Dabei haben das Haus und der dazugehörige Garten nichts mit meinem Vater zu tun, der bei der SS war. Und der Vorbesitzer, das habe ich recherchiert, war kein Angehöriger der SS oder Waffen-SS gewesen. Wie die Gabel in seinen und später meinen Garten kam, ist also ein Rätsel.

Kein Erbarmen

Rätsel sind mit so manchem Fundstück verbunden. Das macht die Sache ja so spannend. Manchmal stelle ich mir natürlich die Frage, wie das alles enden soll. Wohin mit all den Fundstücken? Einstweilen habe ich noch Platz genug dafür. Nicht nur für Münzen. Auch für Knochen, Federn und andere Dinge, die mir aus irgendeinem Grund wert erscheinen, aufgehoben zu werden. Mit besonderem Eifer sammle ich Schädel von kleinen Tieren, Mäusen, Wieseln, Schlangen, Vögeln usw. Was die Natur halt so hergibt.

In der Hinsicht stellt der Fuchsschädel von Bad Erlach einen seltenen Glücksfall dar. Meine Frau steht meiner Leidenschaft allerdings kritisch gegenüber. Die Münzen toleriert sie noch, die dürfen im Schlafzimmer sein, aber bei den Knochen kennt sie kein Erbarmen. Die müssen ausnahmslos in der Bibliothek verwahrt werden, in den Wohnräumen, gar in der Küche, haben die nichts verloren. (Martin Pollack, Album, 19.11.2017)