Verdutztes Gesicht: Louis C. K., der sich zu seinen sexuellen Übergriffen bekannte, spielt in "I Love You, Daddy" einen TV-Produzenten, dem ein anderer Täter zusetzt.

Foto: TIFF

Wien – Ein Ehemann entpuppt sich in der Hochzeitsnacht als gewalttätiger Choleriker und prügelt auf seine Frau ein. Wenige Wochen später erschießt er sich dann vor einem Spiegel. Die Gerüchteküche brodelt, sogar von Mord ist die Rede. Die Geschichte war der große Skandal im Hollywood von 1932. Das Ehepaar: MGM-Produzent Paul Bern und Jean Harlow, der glamouröse Star dieser Ära.

Kenneth Anger, der bedeutende Filmavantgardist, erzählt diese Episode in seinem 1960 erschienenen Buch Hollywood Babylon – neben einer Unmenge anderer verrufener Storys. Hollywood, ein einziger Sündenmoloch, das Negativbild zum schönen Schein, das den Hunger auf Teilhabe am Leben der Celebrities sogar noch etwas effektiver stillt.

Daran sollte man vielleicht erinnern, wenn nun als Reaktion auf die Enthüllungen rund um Harvey Weinstein, Kevin Spacey und jüngst Sylvester Stallone – 1986 soll er eine 16-Jährige zum Sex gezwungen habe – wieder viel die Rede von vorbildhaftem Verhalten ist. Als wollte man die Verfehlungen der Vergangenheit und jene der Gegenwart sühnen und gleich symbolisch tilgen, werden ganze Filmbiografien mit dem Makel der Täterschaft versehen.

Ridley Scotts Entscheidung, Kevin Spacey aus seinem Film All the Money in the World zu entfernen, ist nur das bildstärkste Beispiel: Ein besetztes Gesicht wird durch ein unschuldiges ersetzt. Der Akt scheint so aufgeladen, dass die kleingeistige Doppelmoral dahinter kaum mehr Erwähnung findet. Kann man eine Filmfigur nicht von der Person des Schauspielers trennen? Diese Frage wird gerade nicht oft genug gestellt.

Lachen über einen Täter

Ein besonders aufschlussreicher "Fall" ist jener des Komikers Louis C. K., dessen Film I Love You, Daddy diese Woche in US-Kinos hätte starten sollen. Nach seinem Eingeständnis, fünf Frauen sexuell belästigt zu haben, indem er vor ihnen masturbierte, wurde die Komödie vom Verleiher wie eine heiße Kartoffel fallengelassen. Den moralischen Eifer spiegelt ein Kommentar im Guardian besonders gut wider: "Wenn Sie jetzt über Louis C. K. lachen, akzeptieren Sie seine Weltsicht."

Movieclips Film Festivals & Indie Films

Aber verläuft diese Identifikation der Zuschauer so einseitig? Nur weil sich Louis C. K. in seinen Sitcoms des rhetorischen Tricks bedient, das Selbst mit einem täuschend ähnlichen Alter Ego zu verschmelzen? Ein Blick auf den Film, der mit Erfolg auf dem Filmfestival Toronto lief, demonstriert jedenfalls, dass dieser das Spiel mit männlichen Fantasien, Macht und der Frage, wie weit man gehen kann, ganz offen betreibt.

Doch nicht Louis C. K. verkörpert das sexuelle Raubtier, sondern der von John Malkovich großartig abstoßend gespielte Leslie – ein Filmemacher, der dafür berüchtigt ist, junge, ja minderjährige Frauen zu verführen. Als mäßig erfolgreicher TV-Kollege blickt Glen (Louis C. K.) so lange bewundernd zu ihm auf, bis er sich in einem ärgerlichen Konkurrenzverhältnis zu seiner 17-jährigen Tochter China (Chloë Grace Moretz) befindet, an der dieser Leslie Gefallen findet – und zu des Vaters Leidwesen auch sie an ihm.

Manche Kritiker sehen darin nun eine vorausahnende Rechtfertigung der eigenen Verfehlungen Louis C. K.s. Manohla Dargis, Filmkritikerin der NYT, legt ihre Interpretation jedoch vielschichtiger an: Auch wenn ihr die Gags nach zweiter Sichtung gröber erscheinen, entdeckt sie in I Love You, Daddy einen symbolischen Vatermord von Louis C. K. an seinem Vorbild Woody Allen. Tatsächlich ist der Film nicht nur aufgrund der Schwarz-Weiß-Bilder eine bissige Hommage an Manhattan (1979). Zur Erinnerung: Allen spielt darin einen Komödienautor, der in Liebe zu einer 17-Jährigen (Mariel Hemingway) entbrennt.

Seitdem hat auch dessen Reputation rund um die Aussagen seiner Tochter Dylan gelitten. Sollte man nun auch gleich Manhattan aus dem Verkehr ziehen? Schon daran mag man sehen, dass das Verhältnis zwischen Autor und Werk viel weiter reicht. Mit einer Löschung solcher Zeugnisse ist in Wahrheit nichts erreicht. Louis C. K. hat angekündigt, zurückzutreten und zuzuhören. Nun sollten andere sprechen, und man sollte auch weiter über diese Filme reden. Denn wenn man sie in Tresors sperrt, werden daraus nur Gespenster. (Dominik Kamalzadeh, 18.11.2017)