Wien – "Wir leben in einem christlichen Staat!" – Dieser Satz aus Arthur Schnitzlers Professor Bernhardi hallt bei der Premiere im Theater in der Josefstadt besonders nach. Er ist nicht aus der Mode gekommen und dient – trotz Religionsfreiheit – auch heute bei populistischen Manövern gegen scheinbare Feinde aller Art. Das 1912 in Berlin uraufgeführte Stück wägt Rivalitäten unter Ärzten ab, in denen eventuell antisemitische Motive eine Rolle spielen. Auf dem Grat dieses "eventuell" spaziert Schnitzler sicher dahin.

Hat sich Professor Bernhardi (Herbert Föttinger), Arzt und Krankenhausleiter, zu viel herausgenommen, als er dem Priester den Zutritt zu einer Sterbenden verwehrte? Oder wird die Sache von seinen Widersachern nur deshalb in die Höhe gespielt, um ihn, den Juden, aus dem Amt zu bugsieren? Regisseur Janusz Kica lässt wenig Zweifel und stattet Bernhardi als Sympathieträger aus, der stilvoll, allzu unbesorgt in eine politische Affäre hineinschlittert.

Für das Beste aber hat bereits Arthur Schnitzler selbst gesorgt: Er titulierte Professor Bernhardi als Komödie. Auch darauf hat Kica Augenmerk gelegt und setzt ein zuweilen hochkomisches Ränkespiel unter geltungsbedürftigen Männern in Gang, das im großen Rahmen eines klassischen Sprechstücks Nuancen offenbart.

Herauspoliertes Gestenvokabular

Vor allem sind es die sich erst in der Masse von 19 Herren herauskristallisierenden Differenzen von einem Anzugträger zum nächsten: Das herauspolierte Gestenvokabular verleiht den verbalen Gefechten Ausdruck und schält dabei ansehnliche Charaktere heraus – vom akkuraten Streberhektiker Filitz (Christian Nickel) über den unberechenbar lauernden Ebenwald (Florian Teichtmeister) bis zum angriffslustigen Cyprian (André Pohl).

Als zum Minister aufgestiegener Arzt gibt Bernhard Schir das Bravourstück eines Politikers, der sich die eigenen opportunen Entscheidungen mit Eifer schönredet, so schön, dass man ihn nicht weniger sympathisch findet als sein Opfer Bernhardi. Es kribbelt ständig in Schirs Zeigefingern, er reibt sich so zufrieden die Hände, dass man ihm – trotz allem! – integer zu finden gewillt ist. In Sachen Quirligkeit hat er beim Landeshauptmann a. D. Josef Pühringer Maß genommen.

Hochspannende Beziehungen

Marathonhaft werden Sakkos auf- und zugeknöpft, Bundfaltenhosen hochgezogen, Krawatten glattgestrichen und Ärmel justiert für den Blick auf die Armbanduhr (die Ausstattung siedelt den Stoff in der Gegenwart an: Karin Fritz). Sitzen, gehen, stehen und innehalten – hier werden Menschen in ihren (männlichen) Masken kenntlich, die in einer Welt von Professoren, Abteilungsleitern und Hofräten hochspannende Beziehungen zueinander unterhalten. Das "Duett" der Männerfreundschaft zwischen Bernhardi und Flint ist dabei das tollste.

Herbert Föttinger tänzelt als souveräner Chef geschmeidig durch den zu Beginn noch vom Klang der Nestroy-Namen ("Stixenstein"!) aufgehellten Raum. Er schwingt die zwei Flügel seines als Frack geschnittenen Arztkittels elegant hinter sich her und unterschätzt dabei umso mehr den Ernst der Lage. Dieses Gefälle baut Föttinger wunderbar auf und krönt es mit unbedarft-schnippischen wienerischen, guttural-schwingenden Einwürfen. Ein stattlicher Abend. (Margarete Affenzeller, 17.11.2017)