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Der 51-jährige Christophe Castaner wurde einstimmig zum Parteichef gewählt.

Foto: REUTERS/Philippe Wojazer

Wo ist die Euphorie geblieben? Und wo Emmanuel Macron? Noch anfangs des Jahres hatte der Präsidentschaftskandidat der Eigenbau-Bewegung "En Marche" in Lyon tausende von Anhängern mitgerissen und ihnen zugerufen: "Ich liebe euch wahnsinnig."

Jetzt, an diesem kalten Novembertag, sind die "marcheurs" (Marschierer) erneut in der Rhonestadt zusammen gekommen, um über die Zukunft ihrer neuen Partei "La République en Marche" zu diskutieren. Der Präsident ist in Paris geblieben, um sich um das libanesische Politchaos zu kümmern. Als Staatschef kann er auch nicht gut in die Parteiniederungen steigen. Aber er hat vorgesorgt. Schließlich ist "En Marche" seine Schöpfung – sie trägt ja auch seine persönlichen Initialen.

Castaner war einziger Kandidat

Die neue Parteiführung hat der Staatschef selber ausgewählt. Die 750 Delegierten müssen sie in der völlig schmucklosen Messehalle am Rande von Lyon nur noch abwinken, und zur Sicherheit unter Ausschluss der Presse. Sie wird erst zu den abschließenden Debatten zugelassen. Auch der neue Parteichef Christophe Castaner stand vor Kongressbeginn fest: Er ist der einzige Kandidat und wird per Handheben bestätigt, was den Gruppendruck erhöht. Offiziell hat es nur zwei "Stimmenthaltungen" gegeben. Eine "marcheuse" meint nachher verwundert, sie habe gegen Castaner gestimmt. Aber das fällt nun wirklich nicht ins Gewicht.

In seiner Antrittsrede erklärt der enge Macron-Vertraue, er sei nur ein "Animator" und "kein Chef". Der Chef, der sitzt im Elysée. Sehr politisch wird der für drei Jahre gewählte "Generaldelegierte", wie sich Castaner nun nennen darf, mitnichten: Der Einsatz "für die Kaufkraft der Bürger" und "gegen den Front National" steht im Programm jeder besseren Landespartei.

Kritik nur von Außen

Kritische Worte gibt es nur außerhalb der Messehalle. Ein schlotternder "marcheur" beklagt das "undemokratische Prozedere", ohne seinen Namen nennen zu wollen. Die meisten Delegierten finden es hingegen "selbstverständlich", dass sich die Spontibewegung von einst in eine wahlpolitisch aufgestellte Heerschar des Präsidenten verwandle. (Eine junge Pariserin meint, die Verfassung der Fünften Republik sei nun einmal auf den Präsidenten zugeschnitten; von seiner eigenen Partei dürfe man deshalb nichts anderes erwarten.

Nichts zu sehen ist in Lyon von den hundert Ex-Macron-Wählern, die letzte Woche lauthals aus der Partei ausgetreten waren. Sie prangerten die internen "Wahlpraktiken aus dem Ancien Régime" an und verweigerten den – von jungen Parteimanagern in Paris – verlangten "Kadavergehorsam".

Franzosen "schockiert"

Die Gesamtheit der Franzosen erklärt sich in einer landesweiten Umfrage zu 52 Prozent als "schockiert" über die wahllose Wahl Castaners. Die Landesmedien wundern sich, wie schnell "En Marche" zu der in Frankreich üblichen Parteipraxis finde, die Posten unter der Pariser Elite auszumachen und die Masse der 386.000 (per Gratisklick eingeschriebenen) Mitglieder gar nicht erst um ihre Meinung zu fragen.

Die Macron-Boys versuchten dieser Kritik den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem sie am Donnerstagabend hastig eine parteiinterne Facebook-Debatte organisierten. Die wurde ein totaler Reinfall: Nicht einmal tausend Zuschauer verfolgten sie per Internet. Auch darin zeigt sich der allgemeine Frust der "marcheurs" über die Einheitsmeinung in der Partei, das heißt die bedingungslose Einschwörung auf den präsidialen Kurs. Die Ernüchterung ist umso grösser, als "En Marche" mit dem Anspruch einer jungen, dynamischen und vernetzten Bürgerbewegung angetreten war.

Keine Wahl in Sicht

Für Macron ist die schlechte Stimmung in seiner Partei vorerst nicht alarmierend. Bis 2019 stehen in Frankreich keine Wahlen an, und eine schlagkräftige Opposition ist weder links noch rechts in Sicht. Am Donnerstag brachten die Gewerkschaften in Paris klägliche 8000 Demonstranten gegen Macrons "neoliberale" Wirtschaftspolitik auf die Straße. Der konservative Gegenpart zu Macron, Laurent Wauquiez, überzeugt auch nur die Hälfte der Republikaner. Ex-Präsidentschaftskandidat Alain Juppé ließ vergangene Woche durchblicken, er stehe Macron näher als seinem Parteifreund Wauquiez. Wird dieser im Dezember neuer Republikanerchef, könnte der gemäßigte Flügel der Partei noch ganz zu Macron überlaufen.

Der Staatschef wäre damit seiner Strategie, die gaullistische Sammelbewegung und die Sozialistische Partei systematisch zu spalten und zu zerschlagen, einen Schritt näher gekommen. Erst 39-jährig, aber wie ein Politfuchs taktierend, beherrscht er derzeit nicht nur seine neue Partei nach Belieben, sondern die ganze französische Politik. (Stefan Brändle aus Lyon, 18.11.2017)