Joachim Meyerhoff als Tomas Stockmann.

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Wien – Dr. Stockmann (Joachim Meyerhoff), als Badearzt ein wahrer Titan der Nachhaltigkeit, ist mit der Zwergenstatur seiner Mitmenschen geschlagen. Sich selbst verordnet der Allgemeinmediziner kräftigende Bäder. Im Wiener Burgtheater, wo ewige Winternacht herrscht, schießt Stockmann aus der Tiefe des Quellbades herauf. Erst allmählich macht dieser ökologisch bewegte Widerspruchsgeist aus sich einen freundlichen, warm gekleideten Teilnehmer am Gesellschaftsleben.

Abhärtung und Selbstkasteiung stehen dem Titelhelden von Ibsens "Ein Volksfeind" wohl an. Tomas Stockmann entlarvt die Vergiftung des lokalen Thermalbades mit "hexavalentem Chrom". Ausgerechnet die Gerberei des dämonischen Schwiegervaters (Ignaz Kirchner) pumpt Metalle ins Wasser. Tomas schaltet halbherzig die Presse ein. Er begibt sich in den Clinch mit dem Bürgermeister, ausgerechnet sein leiblicher Bruder.

Wattiertes Öko-Gewand

Er ist bis an die Zähne mit Argumenten bewaffnet; allein, Demokratien funktionieren als schwer steuerbare Systeme, gelenkt von "Checks and Balances", von der Volksmeinung getrieben, von Einzelinteressen zermürbt. Ibsen stattete den Rechthaber Stockmann anno 1882 mit unschönen Zügen aus. An der Burg ersteht dieser Egozentriker als Grün-Apostel im gut wattierten Öko-Gewand komplett neu. Das ist liebenswürdig gedacht, zielt an der Ibsen‘schen Vorlage aber meilenweit vorbei.

Regisseurin Jette Steckel hat in der nordischen Kleinstadt eine schwarze Eishalle errichtet (Bühne: Florian Lösche). Stockmanns Gegenspieler gleiten auf Schlittschuhkufen durch die Handlung. Jedes Argument ein kleiner Rittberger. Jede lässliche Lüge ein wohlkalkulierter Sturz. Als besonders begabt beim Queren spiegelglatter Böden erweist sich Peter Stockmann (Mirco Kreibich), ein postmoderner, blitzblauer Vertreter der uns geläufigen Populismen.

Die Neuausrichtung des "Volksfeindes" als vulgär-ökologisches Kraft- und Saftstück fruchtet leider nicht. Die Fassung stammt aus der Feder Frank-Patrick Steckels, des Vaters der Regisseurin. Als Spielleiter galt Steckel Senior einst als sauertöpfischer Linker. In Bochum und anderswo brach er Stücke der Weltliteratur auf linke Klassenbegriffe herunter.

So einfach will uns Jette Steckel nicht davonkommen lassen. Eben noch hat sich Tomas (Meyerhoff) im Kreise seiner Lieben als Öko-Troubleshooter bewährt, grinsend, Süßigkeiten naschend. Ein nicht unproblematischer "Nerd" mit patenter Frau (Dorothee Hartinger) und wohlgeratenen Kindern. Die nervös-bornierten Pressevertreter fressen ihm aus der Hand, die erste Konfrontation mit dem Bruderherz scheint gewonnen.

Bekehrende Öffentlichkeit

Da sieht sich unser aller Ombudsmann mit den wahren Widersachern konfrontiert. Acht tannenhohe Gartenzwerge recken ihre Mützen in den Nachthimmel. Undurchdringlich ihre Mienen, weizengelb die Bärte. Von dieser Umdeutung des Volkes in ein Heer von Hartbrandwichteln erholt sich die Inszenierung nicht mehr. Von nun gibt es für die braven Anliegen der Stockmanns und Steckels nur noch uns, die Zuschauer, als zu bekehrende Öffentlichkeit.

Die politische Konfrontation in der Redaktion des "Volksboten" gerät ob der Stolpereien der meinungsbildenden Klasse ansprechend. Peter Knaack brilliert als Zeitungsherausgeber. Kreibich kratzt als Stadtvogt, der um Mäßigung bittet, ein rhetorisches Glanzstück ins Eis.

Doch schließlich ist es schon 22 Uhr im Burgtheater, und es muss die ganze Welt zur Nachhaltigkeit überredet werden. Der Weltgeist bezieht vorübergehend Quartier in Meyerhoff. Er trägt während der ganzen Aufführung formschöne Sandalen. Nun muss er auf dem Glatteis der Verhältnisse nur noch die Wichtel zum Umdenken bewegen. Sie sollen kaputt machen, was sie kaputt macht. Es nützt nichts. Die groben, apathischen Gesellen drängen den Debattenredner mit der betörenden Suada gnadenlos an die Rampe.

Was nun noch folgt, ist die Fortsetzung des Leitartikels mit anderen Mitteln. Meyerhoff hat sich ins Parkett gesetzt und agitiert das Publikum, indem er dessen Passivität geißelt. Irgendwann fallen sogar Begriffe wie "Arschlöcher" und "Strache". Man wünscht sich weit weg, so sehr schämt man sich für die Inszenierung, die natürlich nur hehre Absichten verfolgt.

150 Jahre politische Bildung scheinen wirkungslos verpufft. "Postpolitik" meint die Ersetzung wohl begründeter Begriffe durch die Artikulation diffusen Unbehagens. So bleiben von dieser befremdlichen Unternehmung nicht so sehr die Tsunami-Bilder des Abspanns in Erinnerung, sondern das Hohnlachen des greisen Gerbers (Kirchner), der den Schaden, den er angerichtet hat, selbst behebt. (Ronald Pohl, 19.11.2017)