In der Türkei spricht man besser nicht über die verheerende wirtschaftliche Lage. Das neoliberale Wirtschaftsmodell, das in den 1990er-Jahren populär wurde und die weltweite Durchsetzung von Demokratie versprach, hat sich weitgehend als Reinfall erwiesen. Das zeigt zumindest der derzeitige Anstieg der "illiberalen Demokratien" in nichtwestlichen Gesellschaften.

Die Türkei ist unter der amtierende Partei AKP, die seit 2002 die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich hat, eine dieser illiberalen Demokratien. In Ermangelung starker Institutionen und schwächelnder Mechanismen der Gewaltenteilung hat die Regierungspartei ein mehrheitlich populistisches System etabliert, in dem wirtschaftliche Zugeständnisse als Mittel für politische Manipulation missbraucht werden. Natürlich sind nicht nur in autoritären Systemen diese Gefälligkeiten im Austausch für politische Unterstützung gang und gäbe: Man sucht die Unterstützung der Mittelklasse, die dann ohne zu zögern politische Freiheiten für materielle Vorteile eintauscht.

Abhängigkeitsverhältnis zur Regierungspartei

Diese Art der Manipulation spiegelt sich auch in der Mediensituation wider. In der Türkei sind die Mainstreammedien in der Hand von großen Konzernen, die wiederum in einem starken Abhängigkeitsverhältnis zur Regierungspartei stehen. Der Niedergang der Leistungsgesellschaft, das Boomen von Vetternwirtschaft, politische Einflussnahme in der Privatwirtschaft und politisch motivierte Beschlagnahmungen und Festnahmen sind die typischen Folgen eines solchen Systems – mit verheerenden Folgen für die Wirtschaft.

Die türkische Wirtschaft leidet zudem unter dem außenpolitischen Kurs der Regierung. Das Scheitern, eine ausgeglichene, diplomatische Regionalpolitik zustande zu bringen, hat schwerwiegende ökonomische Folgen. Die schrittweise Distanzierung der Türkei von ihren westlichen Verbündeten hat zu großen wirtschaftlichen Einbußen geführt.

Wirklich schlimm ist aber, dass die AKP-Partei mitnichten einsieht, dass der Niedergang der türkischen Wirtschaft selbstverschuldet ist. Stattdessen sucht man im In- und Ausland nach Feinden der Türkei. Überall werden vor allem Regierungen für einen wirtschaftlichen Niedergang verantwortlich gemacht. Im Fall der Türkei wäre das besonders angebracht.

Schlechte Schlagzeilen

Das ganze Land wartet derzeit auf den Beginn des pikanten Gerichtsverfahrens gegen den türkisch-iranischen Geschäftsmann Reza Zarrab, der in den USA in Untersuchungshaft sitzt. Zarrab wird vorgeworfen, das US-Wirtschaftsembargo gegen den Iran gebrochen sowie Geldwäsche und Bankbetrug begangen zu haben. Zum großen Ärger von Präsident Tayyip Erdogan scheinen in die Affäre auch einige Regierungsmitglieder und Beamte involviert zu sein. Solche Schlagzeilen können die türkische Wirtschaft weiter destabilisieren.

Und doch herrscht weitgehend Schweigen, wenn es um die Wirtschaft geht. Über die große öko nomische Krise zu sprechen, ist quasi verboten. Und wer es dennoch wagt, steht im Verdacht, einer dieser Agenten zu sein, die ein "Komplott gegen die Türkei" aushecken und nach deren Niedergang trachten. (Nuray Mert, 20.11.2017)