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Dunkle Wolken über dem Schloss Bellevue, Amtssitz des deutschen Bundespräsidenten.

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Merkel und Steinmeier haben nun ein ernstes Wort miteinander zu reden.

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FDP-Chef Christian Lindner am Tag nach dem Abbruch der Koalitionsgespräche.

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"Was wir erlebt haben, war eine wochenlange Wählertäuschung, fünf Wochen Verhandlungen auf Steuerzahlerkosten." Die Genugtuung war AfD-Fraktionschefin Alice Weidel am Montagmorgen deutlich anzusehen, als sie gemeinsam mit Co-Fraktionschef Alexander Gauland das Scheitern der Jamaika-Sondierungen kommentierte.

Zurzeit ist in Berlin noch vieles unklar, eines aber schwant allen: Von Neuwahlen würde wohl die rechte Alternative für Deutschland profitieren. Doch so weit ist es noch nicht.

  • Die Stunde des Bundespräsidenten

Jetzt kommt zunächst die Stunde des Bundespräsidenten. Frank-Walter Steinmeier, früher Spitzenpolitiker der SPD (Kanzlerkandidat 2009, Fraktionschef, Außenminister), ist seit 19. März im Amt und als Staatsoberhaupt noch nicht besonders aufgefallen. Er hat eine vielbeachtete Rede zum Tag der Deutschen Einheit (3. Oktober) gehalten, aber ansonsten war noch nicht so viel von ihm zu hören. Allerdings mahnte er während der Schlussrunde der Jamaika-Sondierungen mit ungewöhnlich deutlichen Worten, man möge sich doch bitte zusammenreißen und zu einer Lösung finden. "Es besteht kein Anlass zu panischen Neuwahldebatten", sagte er. Jetzt muss er historisches Neuland betreten. Denn der Weg zu Neuwahlen ist eng an die Person des Bundespräsidenten gekoppelt. Er wird sich noch am Montag mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) beraten, eine Reise nach Nordrhein-Westfalen hat er vorsorglich abgesagt.

  • Kann sich der Bundestag selbst auflösen?

Eine Selbstauflösung des Bundestags ist in Deutschland laut Grundgesetz nicht vorgesehen – und die Vertrauensfrage, die Gerhard Schröder (SPD) 2005 stellte, weil er Neuwahlen provozieren wollte (was auch gelang), ist Kanzlerin Angela Merkel verwehrt, weil sie nur noch geschäftsführend im Amt ist. Der neue Bundestag, der sich am 24. Oktober konstituierte, hat Merkel noch nicht gewählt. Daher kann sie ihn auch nicht fragen, ob er ihr noch vertraut.

  • Szenario: Minderheitsregierung – Kanzlerin ohne Koalition?

Doch Artikel 63 des Grundgesetzes sieht vor, dass der Bundespräsident dem Bundestag eine Person zur Wahl vorschlagen kann, auch wenn die- oder derjenige keine Koalition hinter sich weiß. Das wäre wohl Merkel, sie ist ja die Chefin jener Partei, die im Bundestag die stärkste Fraktion stellt. Merkel müsste wohl in drei Wahlgänge gehen. Denn in den ersten beiden Wahlgängen bräuchte sie die absolute Mehrheit, erst in der dritten Runde reichte die einfache Mehrheit. Diese würde sie vermutlich bekommen. Danach hat Steinmeier die Möglichkeit, Merkel zur Kanzlerin zu ernennen – sie müsste sich dann mit ihrer Minderheitsregierung wechselnde Partner für die jeweils nötige Mehrheit suchen.

  • Szenario: Neuwahlen

Merkel müsste auf alle Fälle den Prozess der Kanzlerwahl im Bundestag durchlaufen. Steinmeier kann frühestens dann den Bundestag auflösen. Für diese schwierige Entscheidung hat er sieben Tage Zeit, und diese muss er nutzen. Das Staatsoberhaupt muss nämlich ausloten, ob man nicht doch eine stabile Regierung zustande bringen könnte. Steinmeier müsste also stark auf seine sozialdemokratischen Freunde einwirken und würde das wohl – angesichts seiner Aversion gegen Neuwahlen – auch tun.

  • Szenario: Neuauflage der großen Koalition

Die SPD steht nun ziemlich unter Druck. Parteichef Martin Schulz will Merkel nicht aus der Verlegenheit helfen. Damit pokert er hoch: Es werden sich wohl die Stimmen mehren, die eine staatspolitische Verantwortung der SPD in dieser verfahrenen Lage einfordern. Zudem sind die Umfragewerte der SPD, seit sie sich in Opposition zurückgezogen hat, nicht signifikant gestiegen.

  • Der Anfang vom Ende Merkels?

Äußerst schwierig ist die Lage natürlich für Angela Merkel. Sie ist eine international erfahrene Verhandlerin, aber nun steht Merkel mit leeren Händen da. Es ist von Merkel-Dämmerung die Rede, und natürlich fragt man sich in Berlin, ob die CDU überhaupt mit ihr als Spitzenkandidatin noch in eine Neuwahl gehen könnte. Andererseits: Einen eindeutigen Kronprinzen oder eine eindeutige Kronprinzessin gibt es nicht, das hat Merkel immer verhindert.

  • Wer würde von Neuwahlen profitieren?

Die CDU dürfte wohl bei Neuwahlen abgestraft werden, nach dem Motto: Warum sollte ich sie nochmals wählen, sie hat ja schon einmal keine Regierung zustande gebracht. Natürlich bedauert die CSU, dass es nichts wird mit Jamaika. Aber dem einen oder anderen dürfte es auch nicht unrecht sein. Bayern wählt im Herbst 2018 einen neuen Landtag. Es wäre für die CSU im Landtagswahlkampf äußerst schwierig, sich dauernd für Kompromisse zu rechtfertigen, die sie im Bund mit den Grünen vereinbart. Die CSU wird jetzt ohnehin einmal sehr mit sich beschäftigt sein. Seehofer ist angezählt, seine Nachfolge muss geregelt werden.

Noch nicht absehbar ist, wie sich Neuwahlen auf die FDP auswirken würden. Sie war es, die bei Jamaika letztendlich "rausgegangen" ist. Es wird nun darauf ankommen, ob sie es schafft, ihren Wählerinnen und Wählern klarzumachen, warum dies aus ihrer Sicht eine vernünftige Entscheidung war.

Von den Grünen bleibt zunächst in Erinnerung: Sie waren jetzt schon zweimal nah dran. Doch dann scheiterten die Sondierungen 2013 und 2017 doch noch auf den letzten Metern, die regierungswillige Parteispitze steht wieder mit leeren Händen da. Von Neuwahlen würde wohl die Alternative für Deutschland profitieren. (Birgit Baumann aus Berlin, 20.11.2017)