Bundeskanzlerin Angela Merkel machte sich Montagvormittag auf den Weg zu Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ins Schloss Bellevue.

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Süddeutsche Zeitung, München

Die Lindner-FDP hat die Sondierungsgespräche dazu missbraucht, um sich nach Vorbild des ehemaligen FPÖ-Chefs zu "haiderisieren" – um dann gegebenenfalls bei einer Neuwahl der AfD Stimmen wegzunehmen. Parteichef Lindner wollte potenziellen AfD-Wählern zeigen, dass sie auch bei seiner FDP gut aufgehoben sind. Es war der bemerkenswerteste Satz dieser Sondierungsgespräche, dass CSU-Chef Seehofer darüber klagte, die FDP versuche in der Flüchtlingsfrage, die CSU rechts zu überholen.

Wahrscheinlich glaubt FDP-Chef Lindner jetzt, seine Partei sei nach dem Scheitern der Jamaika-Gespräche die einzige, die profiliert dasteht. Es kommt aber nicht darauf an, dass man irgendein Profil hat, sondern welches Profil man hat. Die Lindner-FDP hat nun das Odium der Verantwortungslosigkeit. Wenn man das Profil nennen will – dann bitte. Dann steht die FDP nach der gescheiterten Jamaika-Koalition als die Partei der profilierten Verantwortungslosigkeit da. Vielleicht meint Lindner, er könne auf diese Weise – à la Sebastian Kurz in Österreich – ganz nach oben kommen. Vielleicht meint er, er könne auf diese Weise das erreichen, was Westerwelle verfehlt hat. Vielleicht hält er sich jetzt für eine Lichtgestalt. Er ist eine Irrlichtgestalt.

Frankfurter Allgemeine, Frankfurt

Am Morgen danach haben vor allem die Enttäuschten und die Wütenden das Wort. Jamaika gescheitert – das kommt offenbar so an, als sei der deutschen Öffentlichkeit ihr neues und liebstes Spielzeug weggenommen worden. Dabei war von Anfang an klar, dass dieses Viererbündnis eine Verlegenheitslösung, ein Experiment, eine noch größere Koalition als die große Koalition, eine Quadratur des Kreises sein würde.

Schließlich kamen hier nicht zwei große Parteien auf Augenhöhe zusammen, die sich den Kuchen aufteilen konnten; sondern eine große, wenn auch gerupfte Partei bat drei kleine an den Tisch, die nur deshalb über die Tischkante schauen konnten, weil sie im Wahlkampf Pflöcke eingeschlagen hatten: zur Migration (CSU), zur Migration (Grüne) und zur Migration (FDP). Nimmt man anderes hinzu, etwa den Klimaschutz und den "Soli", musste der FDP recht bald klar gewesen sein, dass sie auf verlorenem Posten stand.

Ist das nun gut oder schlecht? Es ist besser, ein Regierungsbündnis scheitert, bevor es begonnen hat, als dass es sich zerstritten durch die Wahlperiode schleppt.

Der Tagesspiegel, Berlin

Das eine Ende ist da, das andere rückt nah. Die Reise nach Jamaika – vorbei, gestrandet am Riff der Eigensinnigkeit der FDP. Und das andere Ende? Ist das der Angela Merkel als Bundeskanzlerin. Sie ist nur noch geschäftsführend im Amt. Auch sie ist gescheitert – mit ihrem Politikstil.

Um im Bild zu bleiben: Als Kapitänin war sie zu lange unter Deck. Einen Kurs hat sie nicht vorgegeben. Und da haben Zweite Offiziere das Schiff übernommen. Wohin das führt? In ein Desaster. Aber nicht bloß für eine Partei oder eine Kanzlerin. Ein ganzes Land, ein vermeintliches Musterland, nimmt Schaden. Das Schiff Deutschland krängt. Es kämpft um Stabilität.

Neue Züricher Zeitung, Zürich

Deutschland sind die Optionen zur Bildung einer Mehrheitsregierung ausgegangen. Das hat es noch nie gegeben. Allerdings, und das ist die Kehrseite des Scheiterns, kann sich das Land eine längere Phase der politischen Unsicherheit, des Explorierens und Experimentierens durchaus leisten. Deutschland ist überaus stark und stabil, in wirtschaftlicher, sozialer und institutioneller Hinsicht.

Würde die nun misslungene Regierungsbildung das Land tatsächlich in eine Krise stürzen, dann hätten sich die Parteiführer wohl zusammengerauft. Jetzt besteht kein Grund zu Panik. Sowohl Deutschland wie auch die auf Reformen hoffende EU und die Wirtschaft können sich eine längere Phase der Lösungssuche leisten. Das Grundgesetz weist dafür den Weg. Diesem darf man nun getrost folgen.

de Volkskrant, Amsterdam

Dass es die Liberalen sind, die sich zurückziehen, ist überraschend. Aber es ist durchaus erklärlich. Überraschend ist es, weil gerade Christian Lindner lange Zeit optimistisch und pragmatisch zu sein schien. Wo ein Wille sei, da sei auch ein Weg, hatte er früher gesagt. Aber er ließ auch öfter durchblicken, dass seine Partei in einer solchen Koalition am wenigsten zu gewinnen hätte. Nach vier Jahren Abwesenheit vom Bundestag wollte die FDP in der kommenden Legislaturperiode eigentlich am liebsten in die Opposition. Innerhalb der Partei ist die Angst groß, dass sie für die Teilnahme an einer Kompromissregierung bei der nächsten Wahl von den Wählern mindestens so schwer abgestraft werden würde wie 2013. Wie soll es nun weitergehen? Der SPD-Vorsitzende Martin Schulz ließ noch Sonntagmittag erneut wissen, nicht für eine Regierung mit Angela Merkel zur Verfügung zu stehen. Ob die Sozialdemokraten doch mit der CDU verhandeln wollen, falls Merkel sich zum Rücktritt entschließt, ist unklar. Doch wer soll ihr Nachfolger werden? Für die CDU brechen schwierige Tage an.

La Stampa, Rom

Wie lange dauert es noch, bis es eine Regierung in voller Machtfülle gibt? Während sich Enttäuschung bei denen, die gewählt haben, bemerkbar macht, weil sie erwarten, dass die Politik dem Land ohne weiteres Herumreden eine Regierung gibt, wackelt der Verhandlungstisch, weil er auf vier schwachen Beinen steht.

Vor allem die CSU ist schwach (...). Aber auch die FDP, die ihre Entscheidungen an die zahlreichen, nicht immer realistischen Wahlkampfversprechen anpassen muss. Das Gleiche gilt auf der Seite der Grünen, die bedrängt werden vom schwierigen Gleichgewicht zwischen den zwei historischen Seelen ihrer Basis und ihren pragmatischen und fundamentalistischen Anführern. Und schließlich ist die CDU schwach mit einer nach der Wahl geschrumpften Angela Merkel.

Les Echos, Paris

Dieses Scheitern droht das seit den deutschen Wahlen vom 24. September bereits gelähmte Europa in eine nie da gewesene Krise zu stürzen. In den vergangenen Jahren war die Europäische Union von der Führung Angela Merkels geprägt, die gleichzeitig vom wirtschaftlichen Erfolg ihres Landes und dem Mangel an politischen Figuren auf ihrem Level profitierte. Emmanuel Macron, der Europa mit Angela Merkel neu ankurbeln wollte, findet sich so in der ersten Linie wieder, aber ihm droht ein Schlüsselpartner für seine Projekte zu fehlen. Europa, das aus einem Jahrzehnt Finanz- und Wirtschaftskrise kommt und gerade den Weg des Wachstums wiedergefunden hat, muss nun Monate der Unsicherheit durchqueren. (red, 20.11.2017)