Proteste gegen eine Zwangsversteigerung im Gebäude des Friedensgerichts in Athen: "Nein zum Raub des Eigentums des Volkes, streicht jetzt die Schulden des Volkes", steht auf einem der Banner.

Foto: Markus Bernath

Als keiner kommt, kein Auktionator und kein Bieter, und die Zeit dann doch ein wenig lang wird, stimmen sie ihre alten Kampfrufe an. "Hände weg vom Eigentum des Volkes!" und "Streicht alle Schulden jetzt!", tönt es durch die große Eingangshalle eines Distriktgerichts in Athen.

Mittwochs ist in Griechenland immer Zwangsversteigerung. Eine Stunde lang, von 16 Uhr bis 17 Uhr, und landesweit, in Gerichtssälen auf Rhodos ebenso wie in Athen oder in Thessaloniki. Ein fixer Termin für linke Protestgruppen. Doch die griechischen Notare, die diese Versteigerungen leiten sollen, haben keine Lust mehr auf das Spießrutenlaufen und die Störaktionen. Sie streiken jetzt wieder und angeblich bis Jahresende.

Dabei will die linksgeführte Regierung nächste Woche mit den schon mehrfach angekündigten elektronischen Auktionen an den Start gehen. Statt im Gerichtssaal sollen die Versteigerungen von Häusern und Wohnungen im Internet ablaufen. Dann müssen sich Protestgruppen wie Den Plirono – "Nicht zahlen" – oder die Minipartei Volkseinheit des früheren Syriza-Ministers Panagiotis Lafazanis etwas Neues einfallen lassen. Zwangsversteigerungen sind das große Streitthema in Griechenland. Der späte zweite Akt in dem seit sieben Jahren andauernden Finanzdrama des Landes hat nun begonnen.

Eintreibung von Schulden

Jetzt geht es nicht mehr um die Abwendung des Staatsbankrotts, sondern um die Eintreibung von Millionen und Milliarden von Euro, um die Steuerschulden der Griechen und um ihre Bankkredite, die sie schon seit Jahren nicht mehr bedienen. Es ist ein quälend langer Prozess, in dem alle um ihr Überleben kämpfen: die Banken, die Regierung von Alexis Tsipras, die verarmte Mittelschicht, die sozial Schwachen sowieso.

Vier Millionen Schuldner hat der griechische Staat, kleine und große, fast die Hälfte der Bevölkerung. Ein Heer von säumigen Zahlern haben auch die Banken gelistet. Neben Unternehmens- und Konsumkrediten werden rund 400.000 Immobilienkredite nicht mehr bedient. In jedem anderen Land wären Zwangsvollstreckung und Versteigerung die Folge. Nicht so in Griechenland.

Giorgos Rouskas wird noch grimmiger, wenn er erklären soll, warum das so ist. Die Politiker hätten das Thema Auktionen vor sich hergeschoben, so klagt der Präsident der Vereinigung der Notare von Athen und Piräus, ein 53-jähriger Jurist mit einem kantigen, kahlrasierten Schädel. Jahrelang hätten die Parteien – die abwechselnd regierende konservative Nea Dimokratia und die sozialistische Pasok – die Leute ermuntert, Kredite ohne seriöse Bedingungen aufzunehmen. "Diese Politik wurde gefördert, um den sozialen Frieden im Land zu sichern", so erklärt Rouskas. "Von 2011 an aber war alles außer Kontrolle. Jeder konnte vermeiden, seine Kredite zurückzuzahlen, und war gleichzeitig in der Lage, eine Versteigerung seiner Vermögenswerte aufzuschieben."

"Strategische Bankrotteure"

Ein Gesetz der damaligen Pasok-Wirtschaftsministerin Louka Katseli schützt seither unter bestimmten Voraussetzungen zumindest manche Schuldner vor dem Verlust ihres einzigen Hauses. Doch auch viele "strategische Bankrotteure" – Kreditnehmer, die mehrere Immobilien besitzen und sehr wohl in der Lage wären, ihren Verpflichtungen nachzukommen – nutzten das politische Klima, in dem Zwangsversteigerungen lange tabu waren. Bei der ersten Runde der E-Auktionen soll es deshalb nur um die "Großen" gehen: Unternehmen und Privatpersonen mit einer halben Million Euro oder mehr an Schulden.

"Auktionen sind der einzige Ausweg", sagt Nikolaos Georgikopoulos, ein langjähriger Regierungsberater und Gastprofessor an der NYU Stern School of Business. Ohne Zwangsversteigerung von Vermögenswerten kein Abtragen der faulen Kredite, auf denen Griechenlands Banken sitzen, so erklärt Georgikopoulos. Und ohne Lösung des Kreditproblems keine Liquidität der Geldinstitute, keine Investitionen und kein Ende der Wirtschaftskrise.

103 Milliarden Euro "faul"

Kredite, die länger als 90 Tage nicht bedient werden und solche, von denen die Bank annimmt, dass sie auch in diese Kategorie einzurechnen sind – die Non-performing Exposures (NPE) – standen bei den vier großen griechischen Geldinstituten im zweiten Quartal dieses Jahres bei 102,9 Milliarden Euro. Im ersten Quartal 2016 waren es noch 105 Mrd. Euro; die leichte Verbesserung wurde durch Abschreibungen, die Liquidation von Unternehmen und durch Wiederaufnahme von Zahlungen erreicht.

Im dritten Quartal, dessen Zahlen bis jetzt noch nicht veröffentlicht sind, dürfte es keine Veränderung geben. Erwartet werden weiter um die 103 Mrd. Euro NPE. Das entspräche 45 Prozent des gesamten Kreditgeschäfts bei der Nationalen Bank Griechenlands, Alphabank, Piräusbank und Eurobank. (Markus Bernath aus Athen, 21.11.2017)