Bilderbuchpalmen, türkises Nass und meilenlange Brücken: die Keys als ideales Ziel für den Ostküsten-Roadtrip.

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Gleich zwei Museen widmen sich in der Hauptstadt Key West der Geschichte des Schatztauchens.

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Naturfreunde können bei einer Paddeltour die Mangrovenwälder entdecken. Bootsverleiher und Führungen gibt es viele.

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Ernest Hemingways Wohnhaus

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Key Lime Pie: eine regionale Kuchenspezialität

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Miami

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Die Keys von oben

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Geschichten. Nichts als Geschichten. Sie können nicht anders. Die "Conchs", wie sich die Bewohner der Florida Keys nennen, lieben es, die abenteuerliche Historie ihrer Inselkette in Anekdoten wiederzugeben. Es sind Geschichten über waghalsige Entdecker und fiese Piraten, Schatztaucher, Hippies und Aussteiger, Fischer und Rumschmuggler, die zum Selbstverständnis des südlichsten Zipfels der USA zählen.

Ernest Hemingway, der berühmteste "Conch" und ein passionierter Hochseefischer, verarbeitete all das zu Weltliteratur. Im Tropenklima der Keys tut man gut daran, sich mit der kühlenden Prosa des nicht minder coolen Literaturhaudegens zu bestücken. In "To Have and Have Not" etwa beschreibt Hemingway die Inseln, auf denen er neun Jahre gelebt hat, authentisch im existenziellen Überlebenskampf während der Großen Depression der 1930er-Jahre.

Plünderung als Wirtschaftszweig

Das Wiederaufstehen nach Rückschlägen, das Sich-neu-Erfinden und Weitermachen gehört zum Gründungsmythos der Florida Keys. Denn so paradiesisch die exponierte Lage am südöstlichen Ende der USA, gerade einmal 165 Kilometer von Kuba entfernt, auch sein mag – sie gilt als Hauptdurchzugsgebiet für Hurrikans. Erst diesen Sommer verursachte der Sturm Irma – der schlimmste seit Jahren – Schäden an tausenden Häusern. Für die Bewohner, die heute zum Gutteil vom Tourismus leben, ist das kein Grund aufzugeben. Wenige Monate nach der Komplettevakuierung der Inseln geht alles wieder seinen gewohnten Gang. Man hat gelernt, mit der Gefahr zu leben. Und historisch gesehen brachten die Stürme einst sogar Reichtum.

Wie das zusammengeht, weiß zum Beispiel Captain Craig. Heute führt der Mittsechziger auf dem Citybike Touristengruppen durch die 25.000-Seelen-Hauptstadt Key West. In den 1980er-Jahren aber, als ihn die Abenteuerlust hierhertrieb, gehörte er zur letzten relevanten Generation von Schatzsuchern, die damit ihren Lebensunterhalt bestreiten konnten. Das scharfkantige Korallenriff, aus dem die rund 200 Inseln bestehen, war für Seefahrer seit dem 16. Jahrhundert der blanke Horror. Durch Stürme in Not geraten, liefen rund um die Keys hunderte Schiffe auf Grund. Auf den Inseln etablierte sich zusätzlich zur Landwirtschaft rasch der neue Wirtschaftszweig des Shipwrecking – der Plünderung verunglückter Schiffe.

Am Pool der Hemingways

Craig kennt Geschichten aus den wilden alten Zeiten, in denen durchaus auch unlautere Methoden angewandt wurden, um an die teuren Schiffsladungen zu kommen. Er selbst heuerte bei Mel Fisher, dem letzten berühmten Schatzsucher der Inseln, an. In Key West ist diesem ein Museum gewidmet. Wenn Craig von Fisher, der 1998 gestorben ist, erzählt, klingt er ehrfürchtig: "Ein Pionier, ein Verrückter!" 1985 gelang Fisher der größte Schatzfund aller Zeiten. Im Wrack der 1622 gesunkenen spanischen Galeone Atocha barg er Gold, Silber und Juwelen im Wert von 400 Millionen US-Dollar. Craig selbst zeigt bei der Gelegenheit gern seinen eigenen ersten Fund, eine spanische Real-Münze, die er als Talisman unter dem Hemd trägt.

Alle wesentlichen Sehenswürdigkeiten von Key West lassen sich locker in einer halbtägigen Radtour, wie Craig sie anbietet, abklappern: Der kleine Strand, an dem der spanische Entdecker Juan Ponce de León 1513 erstmals Land betrat, Kunst- und Geschichtsmuseen, kleine Cafés, in denen man die Regionalspezialität Key Lime Pie nicht ausschlagen sollte, und natürlich das beliebte Selfiemotiv Southernmost Point – eine bunte Boje, die den südlichsten Punkt der kontinentalen USA markieren soll, wobei man hier rein wissenschaftlich betrachtet ein Auge zudrücken muss.

Salzwasserpool statt Boxring

Bei der Besichtigung von Ernest Hemingways Wohnhaus empfiehlt sich eine der kurzweiligen Führungen, die ganz im schnoddrigen Stil des Literaturnobelpreisträgers gehalten werden. Hemingway lebte hier mit seiner zweiten Frau Pauline und bis zu 60 Katzen. Jeden Morgen ging er vom Schlafzimmer aus über einen Steg in ein kleines Gartenhäuschen, in dem er in neun Jahren neun Bücher schrieb. Den Rest der Zeit schlug er mit Fischerei und Trinkgelagen in den vielen Bars tot, die heute allesamt seinen Namen tragen. Im Garten lieferte sich der umtriebige Schreiberling Boxkämpfe mit seinen Kumpels. Doch damit war irgendwann Schluss: Als seine Frau Wind von einer Affäre bekam, ließ sie zur Strafe anstelle des Boxrings einen teuren Salzwasserpool errichten.

Mit Salz, Wasser, Fisch, Rum und überhaupt allem, was die Keys an Abenteuern hergeben, kennt sich auch Paul Menta aus, den man in seinem Restaurant "The Stoned Crab" antreffen kann. Ledrige Haut, verblichene Tattoos, das Surferhaar leicht angegraut und mit einer Baseballkappe in Zaum gehalten. Während Paul die Ammenhaie im angrenzenden Wasserarm füttert, erzählt er vom Kampf mit weit größeren Viechern, von seinen Surfschulen, die er früher betrieb, von Weltrekorden und davon, wie er mit 16 Jahren von Philadelphia hierherkam, um seinen Weg zu machen. Noch heute seien die Keys beliebt bei Aussteigern, Studenten, Hippies und sonstigen Querköpfen.

Rumrunner mit Lizenz

Sein Restaurant betreibt Paul unter dem Three-Hands-Label, das markieren soll, dass der hier servierte Fisch von den Keys stammt und in der Lieferkette nur durch drei paar Hände ging: vom Meer ins Boot, in die Kühlkammer und in die Bratpfanne. Es werde zunehmend schwieriger für ortsansässige Fischer, klagt Paul, weswegen man versuche, Fördermaßnahmen zu setzen. Gern auch kreativ, wie bei der Kampagne "Know your Fisherman!": Regionale Fischer werden mithilfe kultiger Baseball-Sammelkarten zu Stars und Ikonen aufgebaut. Keine Frage, dass sich Paul in diese Riege einreiht. Aber auch der Rum hat es dem Tausendsassa angetan. Neun verschiedene Sorten destilliert er. Als erster amerikanischer Rumrunner mit offizieller Lizenz beliefert Paul damit sogar Kuba.

Den sozialistischen Inselstaat und die alternativbewegten Keys verbindet seit jeher eine gegenseitige Faszination. Hemingway, der viel davon schrieb, übersiedelte letztlich ganz nach Kuba. Die politische Annäherung unter Präsident Obama nährte in den vergangenen Jahren Hoffnungen auf Lockerungen der Reisebestimmungen, sodass die Keys vom Tagestourismus nach Havanna profitieren könnten. Unter Trump hat das nun einen Dämpfer bekommen. "Aber mein Gott. Das Land befindet sich eben in der Pubertät. Das geht vorbei", meint Paul mit einem breiten Sunshine-Lächeln.

Die Route 66 der Ostküste

Wassersportbegeisterte können auf den Florida Keys aus dem Vollen schöpfen. Für Paddler hält unter anderen Paul Manna allerlei Angebote bereit. Mit dem Kajak geht es etwa durch die Wasserstraßen der Mangrovenwälder, nachts lässt sich der Meeresboden stimmungsvoll mit einem Glasbodenboot erkunden. Dass man dabei auch auf verlassene kubanische Flüchtlingsboote stoßen kann, ruft die politische Situation in Erinnerung. Die Erhaltung des Korallenriffs steht seit 25 Jahren an oberster Stelle umweltpolitischer Bemühungen. Auch mit den Schatzsuchern wurde dabei mitunter hart ins Gericht gegangen. Die Liebe der "Conchs" zu PS- und emissionsstarken SUVs steht dabei auf einem anderen Blatt.

Für einen komfortablen Trip über die Keys bleibt Besuchern das Mietauto nicht erspart. 42 Brücken, von denen die längste als Seven Mile Bridge berühmt ist, verbinden die Inseln vom Ausgangspunkt Miami bis Key West. Bis zu einem verheerenden Hurrikan im Jahr 1935 verlief auch eine Eisenbahnlinie entlang des Overseas Highway, der einzigen verbindenden Hauptstraße.

Zwischenmenschlich sonnenklar

Die rostzerfressenen Ruinen der Schienentrassen sind noch heute stellenweise zu besichtigen. Den paradiesischsten Blick über Meer und Brücken erhascht man im Naturreservat Bahia Honda State Park, wo man unbedingt haltmachen sollte. Türkisblaues Wasser, Sandstrand und Bilderbuchpalmen animieren hier zum ausgiebigen Baden, was an den teils sumpfigen Ufern der Keys nicht überall uneingeschränkt zu empfehlen ist.

USA-Reisende, die ein wenig mehr Zeit einplanen, sollten die als Route 66 des Ostens bekannte Strecke ins Auge fassen. Von New York ausgehend kann man auf dem U.S. Highway 1 die gesamte Ostküste abfahren und als Abschluss die Florida Keys ansteuern. Dafür, dass dabei auch zwischenmenschlich alles sonnenklar bleibt, hält nicht zuletzt Ernest Hemingway einen Ratschlag bereit: "Reise niemals mit jemandem, den du nicht liebst!" (Stefan Weiss, RONDO, 24.11.2017)