Blätter sind Biodiversitätshotspots, sagt Biologin Gabriele Berg.

Foto: APA/PFarrhofer

Bild nicht mehr verfügbar.

Grünlilien und andere populäre Topfpflanzen haben einen positiven Einfluss auf die Luftqualität von Innenräumen – sie nehmen flüchtige Schadstoffe wie Toluen und Ethylbenzen auf.

Foto: Picturedesk / Picture Alliance

Graz – Heizungsluft, Trockenheit, Lichtmangel: Zimmerpflanzen müssen so einiges aushalten. Doch Gewächse wie die nicht unbedingt als hip geltende Grünlilie, botanisch Chlorophytum comosum, haben erstaunliche Eigenschaften: Grünlilien, Sansevieria und andere Topfpflanzen nehmen flüchtige Schadstoffe wie Toluen und Ethylbenzen auf (vgl. u. a. Ecotoxicology and Environmental Safety, Bd. 102, S. 147). Ein echtes Plus für Wohnqualität und Gesundheit.

Pflanzen sind allerdings keine singulären Geschöpfe. Ähnlich den Tieren, Homo sapiens inklusive, lebt jedes Gewächs mit ganzen Heerscharen von Mikroorganismen zusammen. Bakterien und Pilze siedeln überall, von den Wurzelhärchen bis zu den Blattspitzen. Der unterirdische Teil dieser Vielfalt wird seit langem intensiv erforscht, die Blattoberflächen dagegen sind noch weitgehend Terra incognita. Nur wenige Wissenschafter interessierten sich bisher für diese sogenannte Phyllosphäre. Neue Einblicke weisen jedoch auf einen fast unglaublichen Artenreichtum hin.

Molekularbiologische Untersuchung der Phyllosphäre

Blätter, betont die Biologin Gabriele Berg von der Technischen Universität Graz, "sind schon Biodiversitätshotspots." Ganz verwunderlich ist das gleichwohl nicht. Laut Expertenschätzungen dürfte sämtliches Laub auf der Erde eine gemeinsame Fläche von circa einer Milliarde Quadratkilometern haben – etwa doppelt so viel wie die Gesamtoberfläche unseres Planeten. Viel Platz für die Entstehung ebenfalls vieler Lebensgemeinschaften.

Trotz ihrer Allgegenwärtigkeit ist die Untersuchung der Phyllosphäre eine äußerst komplexe Aufgabe. Viele der winzigen Bewohner lassen sich nur schwerlich in Petrischalen kultivieren und sind unter dem Mikroskop nicht als eigenständige Spezies zu erkennen. Erst die Molekularbiologie schafft hier Abhilfe. Dank moderner Sequenziertechnik ist es heute möglich, das Erbgut ganzer Bakterienpopulationen zu erfassen und darin einzelne Arten oder Stämme aufzuspüren.

Überraschende Artenvielfalt

Berg und ihre Kollegen haben eine solche Volkszählung bei 14 verschiedenen Pflanzenspezies durchgeführt, die unter unterschiedlichen Bedingungen in den Gewächshäusern des Botanischen Gartens in Graz gedeihen. Das Ergebnis war eine absolute Überraschung: Das Team zählte nicht weniger als 12.704 verschiedene OTUs, sprich eigenständige bakterielle Lebensformen. Arten also oder zumindest Stämme (vgl. FEMS Microbiology Ecology, Bd. 92, fiw173). Sie konnte es selbst kaum glauben, sagt Berg. Auch die Besiedlungsdichte war bemerkenswert. Auf den Blattoberflächen lebten bis zu eine Million Zellen pro Quadratzentimeter.

Die Liste der verzeichneten Bakterienspezies enthält einige alte Bekannte. Bacillus cereus zum Beispiel und sechs weitere Arten aus derselben Gattung sind Fachleuten wegen einer besonderen Fähigkeit aufgefallen: Die Mikroben setzen flüchtige organische Substanzen, englisch abgekürzt VOCs, frei. Solche Stoffe können das Wachstum anderer Mikroorganismen unterdrücken. Die Grazer Forscher testeten den Einfluss der blattbewohnenden Bazillen auf dem Schimmelpilz Botrytis cinerea. Dessen Myzelwuchs wurde von den VOC-Produzenten stark eingeschränkt, die Sporen am Keimen gehindert.

Krankmachende Gebäude

Im Falle von Zimmerpflanzen entfaltet sich die Wirkung der flüchtigen Stoffe wahrscheinlich im ganzen Raum, sagt Gabriele Berg. VOCs seien schließlich hochmobil. "Wir arbeiten auch mit den Reinsubstanzen, und die Gerüche breiten sich im gesamten Institut aus." Gesundheitstechnisch gesehen sind solche Beobachtungen überaus interessant, denn schon seit Jahren steht das sogenannte Sick Building Syndrome zunehmend im Fokus von Medizin und Vorsorge. Das Problem: Manche Gebäude machen schlicht krank. Die Bewohner leiden unter chronischer Reizung von Augen und Atemwegen, Überempfindlichkeitsreaktionen oder neurologischen Störungen. Schimmelpilze gelten als Hauptverursacher. Das Syndrom tritt vor allem in modernen Bauten wie Energiesparhäusern auf, sagt Berg. Airconditioning verschlimmert oft die Lage. Wenn sich keine Fenster mehr öffnen lassen, droht echtes Ungemach.

Potenzial zur Schimmelbekämpfung

Möglicherweise können Chlorophytum und Co Abhilfe schaffen. Ihre blattbewohnenden Menagerien haben durchaus das Potenzial zur Schimmelbekämpfung, glaubt Berg. Sie und ihre Kollegen fanden bis zu elf verschiedene VOC-freisetzende Bakterienstämme pro untersuchtem Zimmergewächs. Jede Pflanzenart scheint zudem über ihre eigene spezifische Mikrobengemeinschaft zu verfügen. Pantoea vagans zum Beispiel wurde nur auf Grünlilien angetroffen, in Kombination mit Stenotrophomonas rhizophila und Bacillus cereus. Letztere wiederum siedelt zusammen mit dem eher seltenen Bacillus licheniformis auch auf dem Duftenden Drachenbaum (Draceana fragans). Je mehr Artenvielfalt im Zimmergrün, desto höher ist somit die Biodiversität unter den VOC-Produzenten. Zum mutmaßlichen Nachteil der Schimmelpilze.

Die Grazer Forscher arbeiten intensiv an der weiteren Erkundung der Phyllosphäre, der Wissenschaftsfonds FWF leistet finanzielle Unterstützung. Die Pflanzenbewohner lassen sich vielleicht nicht nur gegen Schimmel ins Feld führen, sagt Berg. "Als Nächstes wollen wir antibiotika-resistente Bakterien angehen." Solche Keime treten gehäuft in Spitälern auf und verursachen alljährlich tausende gefährlicher Infektionen. Berg hofft, die Krankheitserreger durch Erhöhung mikrobieller Vielfalt einzudämmen. Konkurrenz soll den Resistenten das Leben erschweren. (Kurt de Swaaf, 26.11.2017)