"In jedem Gegenstand steckt eine eigene Geschichte", sagt Martina Hoffinger in ihrer Vergolderwerkstatt in Wien-Wieden.

Foto: Regine Hendrich

Vorsichtig pustet Martina Hoffinger in die Goldblätter, die zwischen den Folien liegen. Wie Seidentücher heben sie sich in die Luft und fallen in ihre Handfläche. Sie sind so dünn, dass man fünftausend von ihnen für einen Millimeter Höhe übereinanderstapeln müsste. Schon bei leichtem Druck mit den Fingern zerfällt das Gold zu Staub. Hoffinger legt die Blätter mit einem Pinsel auf den hölzernen Bilderrahmen, fein säuberlich reiht sie sie nebeneinander.

"Anschießen" nennt Hoffinger den Vorgang, bei dem sie die Oberfläche von Gegenständen mit Blattgold überzieht. In ihrer Werkstatt Arte Aurelia in Wieden in Wien vergoldet die 44-Jährige seit 16 Jahren Bilderrahmen, Stühle, Skulpturen, Wanduhren und Luster. Die Werkstatt sieht aus wie eine Kunstgalerie: An den Wänden hängen goldene Holzrahmen in allen Formen und Verzierungen, in den Regalen stehen Behälter mit Pinseln, Leim und Farben.

Foto: Regine Hendrich

"Das Vergolden ist immer die krönende Arbeit zum Schluss", sagt Hoffinger. Davor ist es ein aufwendiger und langwieriger Prozess. Neunzig Prozent der Zeit verbringe man damit, die Gegenstände abzubeizen, zu schleifen und zu polieren. Auf das Holz trägt sie ein weißes Gemisch aus Leim und Kreide auf. Erst wenn es getrocknet und glattgeschliffen ist, kommt das Blattgold darüber. Dafür verwendet sie einen Pinsel aus Dachshaaren, der feiner als herkömmliche Pinsel ist. "Branntweinvergoldung" heißt diese Art der Technik, bei der das Blattgold auf einer Mischung aus Wasser und Spiritus haften bleibt.

Vier Stunden muss das Gold trocknen. Dann beginnt Hoffinger es mit einem Achat zu polieren. Dadurch bekommt das Gold seinen Glanz und unterscheidet sich so von Mattgold, das stattdessen mit Leim überzogen wird. Das Gold wird noch einmal mit Wachs poliert, wodurch es eine leicht rötliche Farbe bekommt, dann ist der Rahmen fertig.

Foto: Regine Hendrich

Ein uraltes Handwerk

Martina Hoffinger hatte anfangs nicht vor, in ihren Familienbetrieb, der seit 5. Generation besteht, einzusteigen. Sie studierte zuerst Kunstgeschichte, interessierte sich für Möbel und arbeitete zwei Jahre lang in einem Antiquitätenshop. Erst nach dem Studium entdeckte sie ihre Leidenschaft für das Vergolden und eröffnete die neue Werkstatt in Wieden. Während ursprünglich nur auf Auftrag für Museen, Galerien oder Kirchen vergoldet wurde, arbeitet Hoffinger heute vor allem für private Kunden. Diese bringen ihr alte Bilderrahmen vorbei, von denen das Gold teilweise abgefallen ist. Hoffinger versucht das Holz so gut es geht wiederherzustellen und überzieht die blassen Stellen mit neuem Gold. "Jeder Rahmen ist anders, in jedem steckt eine lange Geschichte. Der Charme liegt darin, den alten Gegenständen wieder Leben einzuhauchen."

Hoffingers Handwerk ist mehr als dreitausend Jahre alt. Bereits in der Antike praktizierte man das Vergolden und das sogenannte Staffieren, bei dem etwa Heiligenfiguren bemalt wurden. Das Wissen über die Techniken wurde meist mündlich weitergegeben. Im Barock und Rokoko erlebte das Vergolden seine Blütezeit. Ab Mitte des 20. Jahrhunderts nahm das Interesse an der Vergoldung kontinuierlich ab, weil Vergoldungen in der modernen Architektur immer weniger eingesetzt wurden.

Foto: Regine Hendrich

Das Vergolden verschwindet

Heute befinden sich insgesamt 81 Vergolderwerkstätten in Österreich, 23 davon in Wien, die sich auf die Vergoldung von Kirchen, Schlössern, Skulpturen oder Bilderrahmen spezialisiert haben. "In der Alltagskunst verschwindet das Vergolden immer mehr", sagt Hoffinger. Das Handwerk werde oft nicht genug wertgeschätzt, viele Kunden greifen lieber zu unechtem Gold und billigen Imitaten.

Seit Anfang November gehört das Vergolden und Staffieren deshalb auch offiziell zum immateriellen Unesco-Kulturerbe Österreichs. Damit soll dem Handwerk wieder vermehrt Aufmerksamkeit zugewandt werden, sodass es auch an zukünftige Generationen weitergegeben wird. "Das Vergolden hat tausende Jahre überdauert", sagt Hoffinger, "ich hoffe, dass es sich noch ein paar Jahre länger halten wird." (Jakob Pallinger, 22.11.2017)