Ein altes japanisches Sprichwort besagt: 急がばまわれ (Isogaba maware) – Wenn du es eilig hast, mach einen Umweg. Eine treffendere Beschreibung könnte man für das Bahnnetz in Tokio nicht finden. Das liegt allerdings nicht an den schlechten Anbindungen, sondern an der schieren Größe – die Metropolregion Tokio-Yokohama fasst knapp 38 Millionen Einwohner. Was in Österreich undenkbar wäre, ist in Japan Gang und Gäbe: Man wohnt zentral und studiert oder arbeitet ebenfalls in Zentrumsnähe – und trotzdem beträgt der Weg über eine Stunde.

Wer sich in Japan fortbewegen will, braucht in der Regel kein Auto. Die öffentlichen Verkehrsmittel reichen vom komfortablen Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen über die hektische Metro in Tokio, bis hin zum meistbesuchten Bahnhof der Welt. Wer sich in das Abenteuer wagt, hat zudem die Möglichkeit, in die Lebenswelt der Tokioter einzutauchen.

Sicher und pünktlich im Shinkansen

Mit knapp 300 km/h fährt der Shinkansen in Richtung Tokio Hauptbahnhof. Der Hochgeschwindigkeitszug bietet einen Komfort, den man in Österreich nur aus der ersten Klasse kennt. Für Touristen gibt es den Japan Rail Pass, mit dem man 14 oder 21 Tage lang durch das Land und von Stadt zu Stadt fahren kann. Das ist bei intensiver Nutzung nicht nur sicherer und stressfreier, sondern auch billiger als zu fliegen. Seit der ersten Fahrt der Hochgeschwindigkeitszüge im Jahr 1964 kam es noch nie zu einem Unfall mit Personenschaden. Grund dafür sind einerseits die hochentwickelten Technologien, die ständige Wartung der Züge, und andererseits die Trennung der Hochgeschwindigkeitsstrecken vom übrigen Güter- und Nahverkehr.

In der Stadt angekommen, rauscht man nicht selten oberhalb des fünften Stockwerks an Wohnhäusern vorbei und erreicht den Bahnsteig pünktlich auf die Minute. Die hohe Pünktlichkeit der japanischen Züge ist auch außerhalb Japans bekannt: Zusammengerechnet sollen alle Shinkansen täglich nur fünf Minuten Verspätung haben.

Foto: Fabian Dorner
Foto: Fabian Dorner

Gemütlichkeit in der Tokioter U-Bahn

Am Hauptbahnhof in Tokio angekommen, steigt man in der Regel entweder in eine der zahlreichen lokalen Bahnlinien oder in eine der U-Bahnen um. Die richtige Linie zu finden, kann aufgrund der Größe von Netz und Stationen eine Herausforderung darstellen. Alle Informationen sind dankenswerterweise auch auf Englisch angeschrieben. Für das Umsteigen von einer Linie auf eine andere muss man in manchen Stationen zehn Minuten oder mehr einplanen, da diese so weitläufig sind.

Hat man den richtigen Bahnsteig gefunden, darf man sich im Normalfall auf einen Wagen freuen, den man hierzulande als voll bezeichnen würde. In Tokio passen erstaunlicherweise in jede noch so volle U-Bahn immer noch Menschen hinein. Nicht umsonst geben manche Routenplaner auch Auskunft über die geschätzte Auslastung der Wagons. Dabei werden Begriffe wie "crowded", "be boxed inn" oder schlichtweg "full" verwendet.

Reisealltag in Japan

In den öffentlichen Verkehrsmittel wird mithilfe einer IC-Karte nach jeder Fahrt die entsprechende Summe abgebucht. Obwohl es in Japan eine Vielzahl an verschiedenen Verkehrsanbietern gibt, kann die IC-Card überall problemlos verwendet werden. Das praktische Kärtchen ist gleichermaßen Zahlungsmittel in den zahlreichen U-Bahn-Geschäften sowie an Automaten und ermöglicht das schnelle Vorankommen in der hektischen Großstadt.

Dass bei dem ganzen Trubel geduldig in einer Reihe angestanden wird, macht das Ganze erträglich. Dabei ist es egal, ob vor einer Rolltreppe, einem Lift oder an der Kassa – alle reihen sich vorbildlich hintereinander ein und warten bis sie an der Reihe sind. Auf größeren Bahnhöfen gibt es eigene Bodenmarkierungen, die anzeigen, an welcher Stelle der Zug anhalten wird. So können sich die Fahrgäste bereits zuvor anstellen, was bemerkenswert kurze Aufenthaltszeiten der Züge in den Stationen ermöglicht.

Foto: Fabian Dorner
Foto: Fabian Dorner

Hat man in der U-Bahn Platz genommen oder hält sich an den – für europäische Verhältnisse ungewohnt niedrigen – Haltegriffen fest, kann man es den Japaner gleichtun und die Zeit für einen Power-Nap nützen. Der Kopf wird nach unten gebeugt und, da sich im Wagon niemand unangenehm laut unterhält, hat man einige Minuten Zeit, etwas Schlaf nachzuholen. Die Sorge, währenddessen bestohlen zu werden, ist unbegründet. Sowohl der öffentliche Raum als auch die öffentlichen Verkehrsmittel sind in Tokio sehr sicher.

Ankunft am verkehrsreichen Bahnhof Shinjuku

Einer der Kumulationspunkte des öffentlichen Verkehrs in Tokio ist der Bahnhof Shinjuku. Allein in dieser Station kommen neun Bahn- und drei U-Bahnlinien zusammen, weshalb Shinjuku auch als einer der meistfrequentierten Bahnhöfe der Welt gilt. Mit täglich 3,64 Millionen umsteigenden Fahrgästen hat sich dieser Bahnhof einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde gesichert.

Man sollte meinen, dass dieses Angebot genügt, jedoch wird die Station mit Hinblick auf die Olympischen Spiele 2020 in Tokio erweitert. Das Besondere daran: Der Ausbau geschieht unter Vollbetrieb. Was noch beeindruckender ist, laut dem Betreiber JR East kam es seit Baubeginn noch zu keiner einzigen baubedingten Verspätung. Wer den Stationsalltag in voller Pracht erleben möchte, sollte die Station am besten zur morgendlichen oder abendlichen Rush-Hour besuchen. Zu viel Zeit sollte man sich in der Nacht jedoch nicht lassen: Um Mitternacht wird der gesamte öffentliche Verkehr eingestellt und man muss sich mit teuren Taxifahrten oder einer langen Karaoke-Nacht behelfen. (Lina Karner, Florian Jires, 11.12.2017)