Blick Richtung südlicher Stadt Assuan von der Insel Elephantine.

Foto: Martin Fera

Anschnitt der Schichten von tausenden Jahren Stadt über Stadt; im 19. Jahrhundert wurde der äußerste westliche Teil zur Gewinnung von organisch angereichertem Material abgebaut und auf die Felder verbracht.

Foto: Martin Fera

Arbeiten zur Dokumentation von Haus 55. Der Tempel im Hintergrund ist teilweise rekonstruiert.

Foto: Julia Budka

In Ägypten gilt zwar eine Sechstagewoche, aber am freien Freitag musste die Gelegenheit genutzt werden, den Nil mit dem Kajak zu erfahren.

Foto: Martin Fera

Ausschnitt aus einer alten Karte an der Wand im Schweizerischen Grabungshaus.

Foto: Martin Fera

Ausblick aus einem Fenster am Schreibtisch.

Foto: Martin Fera

Die letzten Sonnenstrahlen des Tages verschwinden gerade, als wir unsere Maschine am Flughafen von Assuan verlassen. Durch die staubbelegten Fenster des Flugzeugs streifte unser Blick zuvor über die weich beleuchteten Dünen der Wüste. Die "einzige Landschaft, für die Augen gemacht sind", hatte es Ingeborg Bachmann unter den Eindrücken ihrer Ägypten-Reise formuliert.

Doch davon sehen wir fürs Erste nichts mehr, denn für meine Kollegin Seta Stuhec und mich geht es erst einmal weiter: mit dem langsamsten Taxifahrer Ägyptens – das ist durchaus positiv! – zum Nilufer in die Stadt Assuan und weiter mit der Fähre über den Nil zur Flussinsel Elephantine, wo wir bei der Landungsstelle abgeholt werden. Ein zehnminütiger Fußmarsch durch ein enges Gassenlabyrinth eines der nubischen Dörfer bringt uns ans Ziel, das Grabungshaus des Schweizerischen Instituts für Ägyptische Bauforschung und Altertumskunde am Südwestufer der Insel.

Ägypten und Nubien

Die zahlreichen Überreste jahrtausendelanger Besiedelung der Insel Elephantine werden seit 1969 durch das Schweizerische Institut in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Archäologischen Institut Kairo in jährlichen Ausgrabungs- und Restaurierungskampagnen untersucht. Die Grabungen in der pharaonischen Stadt bilden nicht zuletzt auch einen der Schwerpunkte des kooperierenden Projektes AcrossBorders, in dem ich die Ägyptologin Julia Budka von der LMU München bereits bei Grabungen auf der Insel Sai im Sudan bei der Dokumentation von Tempelstadt und Grabdenkmälern unterstützen konnte.

Bei der Südexpansion Ägyptens nach der Zerschlagung des afrikanischen Königreichs von Kerma durch Thutmosis III. um die Mitte des zweiten Jahrtausends vor Christus spielten Elephantine und Sai wichtige Rollen. Elephantine galt als Grenzort des Reichs, als Tor zu Afrika. Dort, in den besetzten nubischen Gebieten, wurden ab 1539 vor Christus ägyptische Beamte auf strategischen Vorposten positioniert, so auch auf der Nilinsel Sai. Damit eignen sich die beiden Städte sehr gut für grenzüberschreitende Vergleiche, zur Untersuchung der Nachbarschaft von pharaonischer Lebensart und lokaler nubischer Kultur, denen sich Budkas Projekt widmet.

Geschichtetes Alltagsleben

Auch wenn man als Archäologe bereits in zahlreichen Regionen auf Fundstellen verschiedener Kulturen gearbeitet hat, etwas Alltägliches ist Elephantine nicht. Neben älteren Spuren unterstreichen seit Beginn des dritten Jahrtausends vor Christus Festungsbauten mit Lehmziegelmauern die strategisch wichtige Position der Felsinsel. Der lokale rotgraue Rosengranit, der von den Pharaonen gerne als wertvoller Baustoff verwendet wurde, bedingt auch eine weitere Besonderheit. Während die Stadt durch die Jahrtausende durch Umgestaltungen und Ausbauten der Lehmziegelhäuser beständig nach oben wuchs, schützte der Fels die Basis vor dem Wasser des Nils. Der massive Siedlungshügel bietet damit der archäologischen Feldforschung außergewöhnliche Möglichkeiten, da durch die Trockenheit organische Reste außerordentlich gut erhalten sind.

Wenn man vor den massiven meterdicken Ablagerungen steht, fühlt man sich durchaus an Hallstatt erinnert – abzüglich der Sonne –, wo sich im salzigen Milieu des bronzezeitlichen Bergwerks ein ähnlicher Anteil organischer Überreste erhalten konnte. Doch während dort der 3.500 Jahre alte Bergwerksbetrieb der Bronze- und Eisenzeit die meisten Spuren hinterließ, ist es auf Elephantine das Alltagsleben einer Stadt mit ihren Tempeln, Wohnhäusern, Ställen und Werkstätten.

Haus 55

Einen Schwerpunkt der Forschung des Teams um Cornelius von Pilgrim, dem Direktor des Schweizerischen Institutes, und Budka stellte in den vergangenen Jahren Haus 55 dar. Nördlich des dem Widder-Gott Chnum geweihten Tempels war es um die Mitte des zweiten Jahrtausends vor Christus auf einer Hangstufe an den Hang angebaut worden. Die Grabungen der letzten Jahre zeigten zahlreiche Böden, Pflasterungen und andere Ablagerungen sowie eine Vielzahl an Umgestaltungen in einzelnen Phasen seines Bestehens, hauptsächlich in der 18. Dynastie.

Räume mit Säulenbasen, die bereits auf 50 Zentimeter hohen Ablagerungen von Nutzungsphasen errichtet wurden, Kellerspeicher, auf die wiederum neue Mauern gebaut wurden, zeigen die Vielphasigkeit. Stiegenaufgänge, zugemauerte Türdurchbrüche und neue Öffnungen in den bis zu vier Meter hoch erhaltenen Lehmziegelmauern zeigen, wie dynamisch die Architektur und die Raumgestaltung durch die gesamte Bestehenszeit hin waren. Nicht oft hat man das Glück, 3.500 Jahre alte Häuser mit beinahe bis zum Dach erhaltenen Details untersuchen zu können.

Image Based Modelling

Der außergewöhnlich gute Erhaltungszustand und die Komplexität der Architektur sind es auch, die Seta Stuhec und mich hier ins Spiel bringen. Als zusätzliche Basis für bauhistorische Analysen fertigen wir eine vollständige dreidimensionale Aufnahme des Befundes an. Bereits bei den Grabungen auf der Insel Sai im Sudan konnten im Rahmen von Across Borders neue Techniken und Methoden für unsere Zwecke adaptiert werden, die robust genug sind, dem Klima zu trotzen, und trotzdem schnell und präzise funktionieren. Bei der fotobasierten Dokumentation wird Haus 55 aus allen möglichen Perspektiven systematisch aufgenommen.

Wer nun meint, dass dafür wohl eine Drohne am geeignetsten wäre, mag schon recht haben, allerdings ist es in der derzeitigen Situation nicht möglich, diese Geräte in Ägypten einzusetzen. Eine lange Teleskopstange aus Carbon und die leichte Ricoh-GR-Kamera erfüllen denselben Zweck und bieten dazu noch eine überragende Bildqualität. In mehr als 7.000 Einzelaufnahmen werden dann charakteristische Kanten gesucht, und über photogrammetrische Verfahren wird eine dreidimensionale Punktwolke daraus berechnet. Die Algorithmen wurden bereits in den 70er-Jahren entwickelt, aber erst heutige Rechenleistung ermöglicht es, damit ein sehr detailliertes 3D-Modell zu erhalten, das aus mehreren Millionen Einzelpunkten besteht. Mit einer zusätzlich berechneten Textur erhalten wir ein Modell, das uns jede Baufuge, jeden Ziegel und jedes Loch in der Wand, in dem einst ein Holzhaken steckte, im Detail zeigen kann.

Archäologisches Alltagsleben

Und doch ist Feldarbeit nur ein kleiner Teil des archäologischen Forschungsalltags. Der Blick auf die Nillandschaft vom schweizerischen Grabungshaus aus erleichtert das Abschiednehmen von dieser Kampagne nicht; man meint, sich nie daran sattsehen zu können. Dennoch, während vor Ort Kollegen und Kolleginnen die Funde aufnehmen und auswerten, ist in Wien bereits Kollege Geert Verhoeven damit beschäftigt, die Daten zu kontrollieren, zu sortieren und zu prozessieren.

Erst in der Zusammenschau der verschiedenen Daten wird es möglich, einen Einblick in die altägyptische Alltagskultur zu erhalten. Möglicherweise war es das Haus eines Handwerkers, einige Funde sprechen dafür, aber erst sollen alle Daten ausgewertet werden. Einen ersten Vorgeschmack auf das 3D-Modell von Haus 55 wird man bereits bei einem Workshop an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften am kommenden Montag präsentiert bekommen, und demnächst sicher im Blog des Projekts Across Borders. (Martin Fera, 23.11.2017)