Das Video "The Pixelated Revolution" ist Teil von Rabih Mroués Serie "The Fall of a Hair" (2012).

Foto: Olaf Pascheit

Verwackelte Bilder einer Handykamera: Man erkennt Dächer, Balkone, einen Gehsteig und kurz einen Soldaten an einer Häuserwand. Die Kamera verliert ihn aus dem Auge. Doch plötzlich ist er wieder da, bemerkt, dass er gefilmt wird, und bringt ohne zu zögern sein Gewehr in Anschlag. Er schießt Richtung Kamera – und trifft. Das Handy fällt, das Bild verdunkelt sich. Nur die verzweifelten Hilferufe des anonymen Kameramanns sind noch für ein paar Sekunden zu hören.

Dieser über das Internet vielfach geteilte Videoclip aus dem Syrien-Krieg ist der vielleicht verstörendste Moment der Düsseldorfer Ausstellung Affect Me. Social Media Images in Art. Die Schau im noch jungen Ausstellungshaus Kai 10 zeigt, wie der Imperativ im Titel schon andeutet, viele herausfordernde, drastische, gewalthaltige Bilder. Die Kuratorinnen Julia Höner und Kerstin Schankweiler sehen gerade in diesem "hohen Affizierungspotenzial" das Besondere an der Bildproduktion der sozialen Medien. Anders formuliert: In sozialen Medien setzen sich Bilder durch, die ganz unmittelbar starke Gefühle hervorrufen, gerade sie werden gelikt, geteilt und bearbeitet und dadurch noch einmal in ihrer Wirkung potenziert.

Es verwundert nicht, dass auch Künstler sich dieser neuen "magischen" Bilder annehmen, sie analysieren, dekonstruieren und in ihre Arbeiten integrieren – mit einer Mischung aus Faszination, Skepsis und manchmal vielleicht auch in der Hoffnung, ihre starken Wirkungen mögen abfärben. Vor allem die Rolle der geteilten Bilder in politischen Konflikten ist es, mit der sich die neun ausgewählten Künstler (u. a. Thomas Hirschhorn, Lynn Hershman Leeson und die Gruppe Forensic Architecture) auseinandersetzen.

Abstraktion der Pixel

Die älteste Arbeit stammt überraschenderweise aus dem Jahr 2006, also der Zeit noch kurz bevor Smartphone und Facebook zum Alltag der meisten Menschen gehörten. Thomas Ruffs jpeg ny11 zeigt einen Ausschnitt aus einem berühmten Foto der Trümmer des World Trade Center, allerdings so stark vergrößert, dass die einzelnen Pixel des digitalen Bilds klar hervortreten. Ruffs Arbeit macht eine Voraussetzung für die massenhafte Verbreitung digitaler Bilder in den sozialen Netzwerken deutlich: die Bildkompression, die Fotos in gut handhabbare Datenpakete verkleinert.

Was bei Ruff zu einer ästhetisch reizvollen Abstraktion führt, kann aber auch zum Problem werden, wie Rabih Mroués The Pixelated Revolution eindrücklich zeigt. Aus diesem 2012 entstandenen Video stammt der anfangs beschriebene schockierende Clip eines anonymen Syrers. Mroué versucht in seinem Film geradezu verzweifelt, den Soldaten zu identifizieren, der auf den Kameramann geschossen hat. Doch in den komprimierten Bildern des Handyvideos besteht das Gesicht des Schützen nur noch aus einem einzigen monochromen Pixel.

Der libanesische Künstler geht auch der Frage nach, die sich wohl jeder Zuschauer stellt: Warum sucht der Kameramann nicht Deckung, als er sieht, dass auf ihn gezielt wird? Mroué vermutet, dass das Objektiv der Handykamera das Geschehen für den Filmenden gewissermaßen fiktionalisiert hat, dass er selbst die Gefahr nicht erkannte, in der er sich befand.

Doch was wäre, wenn der Syrer das Todesrisiko ganz bewusst einging, um ein Video zu drehen, das in der Affektökonomie der sozialen Medien möglichst viel Aufmerksamkeit auf sich zieht. Oder, noch pessimistischer gedacht: Was, wenn das Video eine Fälschung ist, ein Propagandamittel des syrischen Widerstands? Diese Fragen stellt Mroué nicht.

Social-Media-Plattformen als Vervielfältiger von Fakes oder Eitelkeiten spielen in Affect Me. Social Media Images in Art eine erstaunlich nebengeordnete Rolle. Vielleicht lässt sich das dadurch erklären, dass die meisten Arbeiten aus der Zeit des Arabischen Frühlings und den folgenden Jahren stammen, als viel Hoffnung in Facebook und Co als Organisationsmittel für politischen Widerstand gesetzt wurde. Das veranschaulicht etwa die zentrale Multimediainstallation der Schau, Be Realistic, Ask for the Impossible, der Libanesin Lara Baladi gut. Es wird in ein paar Jahren interessant sein, im Vergleich zu sehen, welchen Blick die Kunst auf die sozialen Medien der Trump-Ära geworfen hat. (Sven von Reden, 23.11.2017)