Wien – Fatih Akins Film Aus dem Nichts bezieht sich auf die NSU-Mordserie und will doch nichts damit zu tun haben. Die Filmhandlung spielt 2016, nach dem Auffliegen der rechtsterroristischen Zelle, auf deren Konto Morde, Banküberfälle und das Kölner Nagelbombenattentat von 2004 gehen – welches Aus dem Nichts zitiert, wenn ein Fahrrad mit Hartschalenkoffer und Bombe vor dem Geschäft von Nuri Sekerci (Numan Acar) abgestellt wird, der Mann und sein Sohn (Rafael Santana) dabei ums Leben kommen.

Diane Kruger spielt eine Frau, die ihren Mann und Sohn bei einem Bombenanschlag verliert.
Foto: Warner Bros. Pictures Germany

Zurück bleibt die Frau und Mutter, die von Diane Kruger mit einigem Einsatz bei der Trauerarbeit gespielt wird. Die Befragungen der Polizei streifen ebenfalls Muster aus dem NSU-Komplex (die Schuld wird im Umfeld des Toten gesucht, die Frau insistiert auf Neonazis). Nicht erwähnt wird der NSU – und nicht in Rechnung gestellt, dass bei einem Fall von heute dieser Gesichtspunkt zumindest nicht mehr fremd wäre.

Akin hat, auf diesen Punkt angesprochen, gesagt: "Das ist wie in Rocky. Rocky spielt in den Siebzigern, und Sylvester Stallone kämpft gegen einen schwarzen Boxer, der Attribute von Muhammad Ali vereint. Aus dem Nichts existiert ebenfalls in einem solchen Paralleluniversum."

Warner Bros. DE

Kultureller Raub

Und das ist das Problem. Rocky ist gerade ein schillerndes Beispiel dafür, wie mit der Bildermacht der Populärkultur Geschichte umgeschrieben wird. Jan Philipp Reemtsma hat im letzten Kapitel seines Muhammad-Ali-Buchs Mehr als ein Champion (1995) minutiös analysiert, wie im Laufe der Rocky-Reihe Ali in Rocky transformiert wird, der schwarze Held zu einem weißen Kinobild wird. Kultureller Raub.

Wenn Akin das wollte, bleibt die Frage: Wofür? Was bringt es, auf Realgeschichte anzuspielen, wenn sie am Ende nur verdrängt werden soll? Was erfährt man, wenn man die Rachegeschichte Aus dem Nichts gesehen hat? Dass die Rächerin eine schicke Figur abgibt? Bei Inglourious Basterds hatte die Alternativgeschichtserfindung einen Sieg von Juden über Nazis im Kino zum Ziel. Bei Akin entsteht aus Wirklichkeitszitaten und Kinogesten nur sinnloser Zeichensalat – am besten zu sehen im finalen Anschlag der weißen Witwe auf die Nazi-Mörder. (Matthias Dell, 24.11.2017)