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Kathy Acker starb am 30.11.1998 an Brustkrebs: "Beim Muskeltraining wollte sie den Körper bezwingen, beim Schreiben die Sprache."

Foto: Picturedesk / SZ Photo

Am 30. November 1997 ist Kathy Acker – die "Queen of Punk Literature" – im Alter von 50 Jahren an Brustkrebs gestorben. Obwohl sie zu Lebzeiten als eine der wichtigsten amerikanischen Avantgardeliteratinnen galt, blieben ihre Texte immer Underground und sind heute kaum noch bekannt. Ackers kleine, aber eingeschworene Fangemeinde hält sich allerdings auch 20 Jahre nach ihrem vorzeitigen Tod: Für die Riot-Grrrls-Ikone Kathleen Hanna war die Schriftstellerin nicht nur literarisches Vorbild, sie hatte sie wohl einst auch zur Gründung der Band Bikini Kill ermutigt. Chris Kraus, deren letztes Jahr übersetzter und vielgelobter Roman I Love Dick ihrem Vorbild Acker so einiges verdankt, widmete ihr kürzlich eine Biografie. Und die österreichische Filmemacherin Barbara Caspar drehte 2007 einen (inzwischen preisgekrönten) Dokumentarfilm mit dem Titel Who's Afraid of Kathy Acker?

Acker war in der Tat eine beeindruckende und vielleicht sogar einschüchternde Erscheinung: Auf ihrem Motorrad, mit Piercings, schweren Ringen an den Fingern und großflächigen Tattoos am vom Bodybuilding muskulösen Rücken – so hat die befreundete Künstlerin Kathy Brew sie einmal fotografiert. Heavy wie ihr Style sind auch Ackers Texte, voll mit Sex und Gewalt.

Abgefucktheit des East Village

Im sozial und politisch rauen Klima des New York der 1970er-Jahre beginnt die damals 23-Jährige zu schreiben. Sie verfasst zunächst Gedichte und Fortsetzungsgeschichten, die sie selbst verlegt. Später zieht sie nach London und wird dort für kurze Zeit berühmt, woraufhin auch größere Verlage wie Picador in London und Grove Press in den USA ihre Bücher publizieren. Acker wollte diese Bücher aber niemals als Romane im klassischen Sinne verstanden wissen.

Gegen die Bezeichnung als "weiblicher Burroughs" und den Ruf als Beat-Poetin diverser Subkulturen ihrer Zeit hätte sie dagegen vermutlich nichts einzuwenden gehabt: Die Abgefucktheit des East Village, die Lebens- und Beziehungskonzepte der New Yorker Kunstszene und ihr ästhetischer Kampf gegen die rechten Regierungen Nixons und Reagans, der Übergang vom Hippietum zu Punk und später die Aids-Krise sind nicht nur der Kontext, in dem viele von Ackers Texte entstehen, sondern auch ihre thematischen Eckpfeiler.

In der Kurzgeschichte New York City in 1979 lässt sich die Hauptfigur Janey zwischen Drogenszene und dem angesagten Mudd Club treiben, trifft Johnny, hat harten Sex mit ihm – und sieht ihn nie wieder. Wie Janey sind Ackers Protagonistinnen stets soziale Außenseiterinnen, Prostituierte, Terroristen oder Piratinnen. Sie bilden das Personal in formal hochgradig konzeptuellen Geschichten, die fast alle ohne stringente Handlung und zeitliche Logik auskommen. Acker verwebt ihre Erzählungen mit Material aus eigenen Tagebüchern und übernimmt Zitate, oft den ganzen Stoff aus literarischen Klassikern, aber auch aus der sogenannten Trivialliteratur. Diese Verfahrensweise brachte ihr auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs eine Plagiatsklage ein: Im Reich ohne Sinne – eine Art situationistische Pulp-Fiction-Geschichte rund um den Piraten Thivai, die Cyborg Abhor und den historischen haitianischen Sklavenführer François Mackandal, die mit Guerillamethoden gegen die CIA kämpfen – kopiert in weiten Teilen den Plot von William Gibsons Scifi-Trilogie Neuromancer.

Das Plagiieren ist Teil von Ackers literarischem Programm, ebenso wie die bis ins Naive gesteigerte, plakative Sprache und die wiederholten Störungen der Handlung. Statt mit einer geschlossenen Narration und psychologischer Innerlichkeit hat man es mit einer ständig wechselnden Erzählperspektive zu tun, in der sich das "Ich" der Figuren mit dem "Ich" aus Ackers Tagebuch zu schizophrenen Gebilden verbindet. Es vermischen sich bei Acker außerdem nicht nur High und Low Culture sowie Prosa und Poesie, sondern auch Text und Bild: Ihre Bücher enthalten eigene Zeichnungen und Tattooentwürfe, aber auch Arbeiten von befreundeten Künstlerinnen.

Unlesbares Zeugs

Für Acker, die sich in den 1970er-Jahren im Umfeld von Fluxus und Konzeptkunst bewegte, war die Appropriation Art Cindy Shermans und Sherrie Levines dabei ein ebenso wichtiges Vorbild wie die Beat-Literatur: Gegen die Idee literarischer Originalität setzte auch sie die Aneignung fremden Textmaterials, nahm sich Dickens (Große Erwartungen) und Cervantes (Die Geschichte der Don Quixote) vor, arbeitete sie um und parodierte sie wie Don Quixote einst das Rittertum. Das Ergebnis war nicht selten, das gab Acker gern selbst zu, "the most unreadable stuff around".

Man hat dieser anspruchsvollen und nicht leicht zu lesenden Literatur das Etikett "postmodern" verpasst. Inhaltlich sind Ackers Texte allerdings alles andere als beliebig. Zentrale, oft bis über die Schmerzgrenze hinaus verfolgte Themen sind der Zusammenhang von Sexualität und Macht, die Warenförmigkeit der Romantik und die Begehrensstrukturen des (weiblichen) Masochismus.

Acker zitiert und verarbeitet dabei die Literatur de Sades, Laures und Georges Batailles, die Geschichte der O und die Schriften Jean Genets. Sie schreibt traumartig und zugleich drastisch über Abtreibung, Vergewaltigung und sexuelle Unterwerfung – zum Beispiel im Antiroman Bloods and Guts in High School, der in Deutschland unter dem Titel Harte Mädchen weinen nicht erschien, wegen pornografischer und (angeblich) inzestuöser Szenen jedoch von der Prüfstelle für jugendgefährdende Schriften indiziert wurde und bis heute nur in einer gekürzten Fassung erhältlich ist.

Acker verweigert sich so – zum Ärger vieler zeitgenössischer Feministinnen – der Inszenierung eines emanzipatorischen Weiblichkeitsideals. Sie suchte, in der Literatur ebenso wie im Leben, stets die Grenzüberschreitung. Ihre Texte kreisen um das Abgründige – und immer wieder um das eigene Begehren. Der Gestus der Härte und Destruktion, in dem Acker schreibt, macht ihre Literatur zu "Punk" – von dem sie sich doch durch die radikale Intimität unterscheidet. Anders als den heutigen Conceptual Writers ging es ihr, so Acker in einem späten Interview, um mehr als nur um Sprachkritik und die Dekonstruktion des Textsinns. Schreiben sei mehr wie das Bodybuilding, dem sie einen nicht unbeträchtlichen Teil ihres Lebens widmete. Beim Muskeltraining wollte sie den Körper bezwingen, beim Schreiben die Sprache – um so zu einer neuen Ausdrucksform, zu einer Art "Körpersprache" zu finden.

Materialität des Körpers

Die Literatur war für dieses ambitionierte Unternehmen im Grunde natürlich nicht das adäquate Medium. Wie Chris Kraus in ihrer Biografie Ackers berichtet, experimentierte diese zwar in jungen Jahren mit einer (durch Masturbation ausgelösten) Form des Automatic Writing à la Gertrude Stein. Letztlich war ihr aber klar, dass die Schrift auf die Materialität des Körpers immer nur in abstrakten Zeichen verweist. Ackers Weg führte sie deshalb konsequenterweise weg vom Buch und hin zu performativen Formaten: Ihre Lesungen waren kleine Performances, sie tauchte in die SM-Szene und ihre Riten ein und nahm in den 1990er-Jahren Musik und Spoken Word mit den Punkbands Tribe 8 und Mekons auf, mit denen sie auch tourte. Bereits Ackers selbstverlegte Bücher waren gestaltet wie Plattencover mit ihrem Konterfei darauf. Ihre Selbstinszenierung durch Mode, Frisuren und Tattoos war immer genauso wichtig wie ihre Texte.

Am aktuellsten an Acker ist heute dieses Spiel mit den Grenzen zwischen Text und Performance, Sub- und Hochkultur, Avantgarde und Entertainment. Sie eignete sich so das alte avantgardistische Unternehmen, Kunst und Leben miteinander zu verbinden, auf spezielle Weise an: Denn unklar bleibt nicht nur das Verhältnis von Fiktion und autobiografischer Erfahrung in ihren Texten, sondern auch inwieweit die Figur "Kathy Acker", wie wir sie heute erinnern, nicht erst das Produkt dieser ihrer Kunst ist. (Rosa Eidelpes, Album, 25.11.2017)