Gertraud Klemm, "Erbsenzählen". € 19 / 160 Seiten. Droschl-Verlag, Graz / Wien 2017

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Eigentlich wollte Gertraud Klemm nach Herzmilch (2014), Aberland (2015) und dem mitunter auch autobiografisch angelegten Werk Muttergehäuse die Geschichte einer alten Frau und eines jungen Mannes aufschreiben. Nun ist es anders gekommen, und Klemm, die als wortstarke Stimme aus der österreichischen Literaturlandschaft nicht mehr wegzudenken ist, hat, wie es zunächst scheint, einmal das klassische Klischee bedient.

Trotzdem hat sie dabei ganz genau hingeschaut und ihre Finger beim Schreiben wieder auf die (vielfach weiblichen) Wunden einer Gesellschaft gelegt. Das kann Klemm gut: 29 Jahre alt oder besser jung ist Annika, die sich erfolgreich – und manchmal auch nicht – sämtlichen Erwartungen ihrer Umwelt entzieht, jenen der Leistungsgesellschaft genauso wie jenen ihrer Familie.

Unentschieden in On-off-Beziehung

Die hält nämlich für sie eine vorzeigbare Durchschnittsbiografie mit Ehe und Kindern natürlich für viel wünschenswerter als das Vakuum, in dem sich die Endzwanzigerin tatsächlich befindet, das sie irgendwie unentschieden in einer On-off-Beziehung mit dem renommierten Radio-Kulturredakteur Alfred befüllt, der allerdings schon Ende 50 ist und einen Sohn aus erster Ehe hat (und für den die real existierende österreichische Kulturlandschaft mannigfache Vorlagen zu bieten hat).

Wie schon gesagt, beruflich will sich Annika auch nicht festlegen – und kellnert wieder anstatt ihrem erlernten Beruf als Physiotherapeutin geregelt nachzugehen. Die Erwartungen, die sie an sich selbst hat, kennt sie am allerwenigsten. Bislang ist sie nur die sogenannte "Stieftussi" des 13-jährigen Elias, Alfreds Sohn.

Dauer-Dreieck weiblicher Biografie

In Erbsenzählen geht es um Lebensentwürfe, Befindlichkeiten und Brüche. Und um die Frage, ob sich individuelle "Freiheit" für eine junge Frau, der scheinbar alles offensteht, leben lässt oder allein der Versuch immer schon im Dauer-Dreieck einer weiblichen Biografie zwischen Partnerschaft, Karriere und vielleicht irgendwann einmal Mutterdasein zerrieben wird.

Klemm hat mit Erbsenzählen keine simplen Lösungen für die Problematiken in der Lebensführung einer jungen Frau parat, aber sie stellt mit ihren scharfsinnigen, humorigen und bitterbösen Beobachtungen die oft stereotype, aber damit sicher zutreffende Gesellschaftsordnung immerhin so infrage, dass nicht nur die Protagonistin zum Nach- und Umdenken gezwungen ist, sondern auch die Leserschaft. (Mia Eidlhuber, Album, 6.12.2017)