Philipp Blom: "Technologischen Fortschritt hat es immer gegeben. Das Revolutionäre diesmal ist, dass die Systeme anfangen zu lernen. Sie schreiben die Regeln selbst, wenn das Ziel definiert ist."

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Wir leben in einer Gesellschaft, in der die Zukunft keine Verheißung mehr ist, sondern als Bedrohung wahrgenommen wird. Die Verteidigung von Privilegien gilt als Geißel unserer Zeit. So schreibt es Philipp Blom in seinem aktuellen Buch "Was auf dem Spiel steht". Darin entwirft der Historiker ein düsteres Bild von unserer Zukunft. So düster, dass er manchmal selbst damit hadert, ob er das Geschriebene wirklich glauben will. Im Buch wirft eine Forscherin aus der Zukunft einen Blick auf das Heute. Was wird sie sich fragen, fragt Blom. Wohl warum wir gegen die aktuellen Bedrohungen – Digitalisierung, Klimawandel, Hyperkonsum – nicht reagiert und gegengesteuert haben. Denn sie haben laut Blom die Macht, das Ende der Demokratie einzuläuten.

STANDARD: Sie sagen, das Versprechen, dass die Kinder es später besser haben werden als die Erwachsenen heute, gilt nicht mehr. Warum?

Blom: Weil die wenigsten glauben, dass ihre Kinder es besser haben werden. Ein Teil der Bevölkerung hat begriffen, dass unser Wohlstand nicht zu übertreffen ist. Der andere Teil sieht, dass sie keine fairen Aufstiegschancen haben. Es wird nicht gelingen, Wohlstand laufend zu steigern.

STANDARD: Liegt es also auch daran, dass eine Generation nun von Geburt an materiell abgesichert war?

Blom: Es ist unsere historische Erfahrung, dass Krieg das Wirtschaftswachstum angefacht hat. Es ist weder wirtschaftlich möglich noch politisch ratsam noch psychologisch durchzuhalten, dieses Wachstum durch Konsum und damit Identität durch Konsum weiter anzuheizen. Durch den Rohstoffabbau zerstören wir Lebensgrundlagen. Wenn wir hier nicht reagieren, kann das nur in eine problematische Richtung gehen.

STANDARD: Es gibt auch Gegentrends. Junge Erwachsene setzen auf Sharing, Resteverwertung, Upcycling etc. Materieller Besitz wird heute oft auch als Belastung empfunden.

Blom: Ja, es gibt Gegenbewegungen. Die Frage ist aber, über welche soziale Gruppe wir sprechen. Wie viel Prozent der Bevölkerung repräsentieren diese Bewegungen. In der Demokratie reicht es nicht, wenn eine kleine Elite solche Dinge tut. Es ist eine echte Gefahr zu glauben, dass wenn ich und meine Freunde etwas normal finden, "man" es auch normal findet. Aber kleine Bewegungen können auch der Beginn von etwas Großem werden.

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Carsharing ist ein Gegentrend zum Hyperkonsum. Solche Ansätze sind positiv und können der Beginn von Größerem sein, sagt Blom. Dafür braucht es aber die Masse.
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STANDARD: Warum gefährden Klimawandel, Digitalisierung und Hyperkonsum unsere Demokratie?

Blom: Viele Studien gehen davon aus, dass in 20, 30 Jahren die Hälfte aller Jobs gefährdet ist, von Computern übernommen zu werden. Wir haben dann eine sehr hohe Arbeitslosigkeit und vermehrt Menschen, die von ihrem Job nicht mehr leben können. Wenn es für 30 Prozent keine Jobs mehr gibt, sagt ihnen die Gesellschaft, dass man ihre Ideen und Gedanken nicht braucht. Man erklärt diese Menschen für überflüssig. Der Staat gibt ihnen Geld, und das stecken sie in den Konsum. Wird immer mehr Arbeit von intelligenten Maschinen gemacht, wird sich auch die Macht über Informationsflüsse und Daten in immer weniger Händen finden. Beide Punkte sind eine Gefahr für die Demokratie. So endet Demokratie. Die heutigen Zuckerbergs und Musks werden dann wohl wie Waisenknaben aussehen gegen die nächste Generation der Tech-Entrepreneurs. Auf der anderen Seite haben wir eine Masse von ignorierten Menschen, die nicht mal mehr streiken können, weil sie keine Arbeit mehr haben.

STANDARD: Technischen Fortschritt und die Angst davor gab es in der Geschichte immer. Das hat uns auch Vorteile gebracht – etwa die Möglichkeit zu reisen. Kann es nicht sein, dass wir uns vor der Digitalisierung zu sehr fürchten?

Blom: Das mit der technologischen Entwicklung ist richtig, es hat aber immer jemand dafür bezahlt. Reisen war in der historischen Entwicklung immer kolonialistisch. Die Dampfmaschine hat das industrielle Proletariat geschaffen. Es wurden Jobs vernichtet, aber auch neue geschaffen. Keine sehr guten Jobs übrigens. Das Revolutionäre diesmal ist, dass diese Systeme anfangen zu lernen. Sie schreiben die Regeln selbst, wenn das Ziel definiert ist. Damit werden viele Jobs überflüssig. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass Gesellschaften freiwillig sagen, wir werfen unser Handys weg und schalten unsere Computer aus, weil wir auf menschliche Arbeit setzen wollen.

STANDARD: Gerade die Handys und der permanente Zugang zu sozialen Netzwerken, wo viele in ihren Echokammern bleiben, sind für Sie demokratiepolitisch auch bedenklich.

Blom: Man darf nicht glauben, dass wir Technologien nur benutzen. Sie benutzen uns auch. Ohne den öffentlichen Raum, den der Buchdruck geschaffen hat, wäre Demokratie nicht möglich gewesen. Die heutige Vernetzung schafft auch gigantischen psychischen Druck, Stichwort Cybermobbing. Twitter, Facebook und Co schlagen ihre Krallen in unser Eidechsenhirn. Dabei vergessen wir, dass das nicht nur Bildschirme sind, auf die wir starren, sondern auch Filter. Diese bunte, pausenlose, emotionalisierte, aber auch stark simplifizierte Parallelwelt hat eine andere Qualität als wie es war, vor 50 Jahren eine Zeitung zu lesen. Das verändert unser Selbstbild, unsere Gefühle, die Art, wie wir miteinander umgehen. Das müssen wir verstehen.

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Zum Überleben der Demokratie braucht es eine gemeinsame Hoffnung. Frühere Generationen hofften, dass der Fortschritt in Wissenschaft und Medizin die Welt verbessern werde. Die gegenwärtige Situation aber gebe keinen Anlass zur Hoffnung, sagt Blom.
Foto: dpa/Frank Rumpenhorst

STANDARD: Die Demokratie braucht zum Überleben auch eine gemeinsame Hoffnung. Wir hoffen doch alle, dass es keinen Krieg geben wird, die Zeiten nicht schlechter werden. Reicht das nicht?

Blom: Hoffnung als Negativum reicht nicht. Dass kein Krieg kommt, dass es morgen nicht regnet, dass mein Kind nicht vor den Bus läuft – ist das die beste Hoffnung, die Sie haben wollen? Die Vermeidung des größten Unglücks ist keine Hoffnung, auf der man sein Leben aufbauen kann. Die Hoffnung von Vorgängergenerationen war ganz anders. Sie hofften, dass die Fortschritte in Wissenschaft und Medizin die Welt verbessern und Armut abschaffen werden. Das hat sich zwar als unsinnig herausgestellt, aber es hat diese Gesellschaften getragen. Die gegenwärtige Situation gibt keinen Anlass zur Hoffnung. Mehr Konsum, mehr Ressourcenverbrauch ist nicht möglich. So wie es jetzt ist, kann es nicht besser werden.

STANDARD: Sie wollen daher den Jungen die Macht geben, weil sie heutige Entscheidungen ausbaden werden müssen. Sebastian Kurz wird mit 31 Jahren wohl jüngster Kanzler. Der richtige Weg?

Blom: Herr Kurz ist nicht nur altersmäßig außerhalb der Gruppe, die ich meine. Ich fände es großartig, wenn sich junge Leute (16 bis 30 Jahre) in ganz Europa zusammentun würden und eine freie Wahl unter sich machen und Leute nach Brüssel schicken, die verlangen, dass sie eine zweite Kammer im EU-Parlament werden, mit Vetorechten. Weil wie gesagt: Die werden das alles ausbaden müssen. Wenn alles noch 30 Jahre gut läuft, werden wir die sein, die es am besten gehabt haben. Wenn man heute 18 Jahre alt ist, ist die Aussicht auf 30 gute Jahre nicht so attraktiv.

STANDARD: Sie geben zu, oft selbst mit den Szenarien zu hadern, die Sie aufstellen. Was hilft Ihnen dann?

Blom: Begegnungen mit analogen Menschen freuen mich. Das Leben macht mir Spaß. Aber ich sehe strukturell für unsere Zukunft – wenn wir uns nicht rasch und enorm ändern – nicht so viel Gutes. Wir können nicht abwarten, bis die Gesellschaft aufwacht und die Morgenröte einer neuen Zivilisation heranbricht. Allen Zweiflern, die sagen: "Das wird schon wieder", sei gesagt: Die Erde wird sich letztlich selbst regulieren. Aber sie braucht einen Organismus ganz besonders wenig – und das sind wir. (Bettina Pfluger, Portfolio, 28.12.2017)