Österreich liegt zwar vorn, wenn es um das BIP pro Kopf geht. Im Bereich "weiterführende Bildung" hinken wir aber hinterher. Das liegt auch daran, dass heimische Unis in internationalen Rankings unterrepräsentiert sind.

Foto: Matthias Cremer

Aus der Traum: Am heißesten Tag des Jahres setzte die dänische Damenfußball-Nationalmannschaft den Schlusspunkt hinter den bis dahin makellosen Auftritt der österreichischen Nationalelf bei der EM in den Niederlanden. Mit der Niederlage im Elfmeterschießen endete am 3. August der Traum vom Einzug ins Finale.

An anderer Stelle hingegen kann Österreich den Dänen durchaus die Stirn bieten. Mit einem BIP pro Kopf (in Kaufkraftstandards) von 36.700 Euro liegt Österreich innerhalb der EU auf Platz vier. Knapp dahinter auf Platz fünf liegt Dänemark mit 36.400 Euro. Ist Österreich deshalb erfolgreicher oder wohlhabender als Dänemark?

Eingeschränkt aussagekrätig

Die Antwort: Nein, denn das BIP stellt – für sich betrachtet – "ein nur eingeschränkt brauchbares Maß als Wohlstandsindikator dar", wie Markus Marterbauer, Leiter der Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der AK Wien, in einem Blog erklärt.

Josef Obergantschnig, Chief Investment Officer der Security KAG, erklärt: "Das Bruttoinlandsprodukt ist ein Relikt aus dem vergangenen Jahrhundert und erfreut sich nach wie vor größter Beliebtheit unter den Volkswirten." Dennoch wird das BIP vor allem in der politischen Diskussion immer wieder als Messlatte für den Wohlstand eines Landes "missbraucht".

Wider besseres Wissen: Denn schon der russischstämmige US-Wissenschafter Simon Kuznets, der 1934 den Begriff GDP (BIP) in die wirtschaftswissenschaftliche Diskussion einführte, warnte davor, anhand des BIP den Wohlstand eines Landes zu definieren.

Sozialer Fortschritt

Um dieses Manko auszugleichen, veröffentlicht die NGO Social Progress Imperative seit 2013 alljährlich den Social Progress Index (SPI). In die wohl umfangreichste Studie dieser Art fließen mehr als 6000 Datensätze aus mehr als 125 Ländern ein. Auf deren Basis wird eine Punktezahl errechnet, die es nicht nur ermöglicht, den sozialen Fortschritt der Länder untereinander zu vergleichen, sondern vor allem auch aufzeigt, wo in den untersuchten Ländern Stärken und Schwächen in einzelnen Teilbereichen liegen.

Die Möglichkeit, die Lebensqualität zu verbessern, wird beim Social Progress Imperative berücksichtigt.
Foto: APA/dpa/Sebastian Kahnert

Sozialer Fortschritt ist – gemäß Definition der Social Progress Imperative – die Fähigkeit einer Gesellschaft, die grundlegenden menschlichen Bedürfnisse ihrer Bürger zu befriedigen und jene Bausteine zu schaffen, die es den Bürgern und Gemeinschaften ermöglichen, die Lebensqualität zu verbessern. Außerdem sollen Bedingungen für alle geschaffen werden, die es dem Einzelnen ermöglichen, sein volles Potenzial auszuschöpfen. Ziel des SPI ist es nicht, zu messen, wie viel Geld (Input) in einzelne Bereiche fließt, sondern den Output aufzuzeigen, also das, was am Ende herauskommt.

Basic Human Needs

In der aktuellen Studie von heuer wurden in Summe die Daten von 210 Ländern untersucht, von ihnen wurden 128 ins weltweite SPI-Ranking aufgenommen. Bei den restlichen Staaten war die Datenlage nicht ausreichend, um sie in die Analyse aufzunehmen. Aus jedem Land fließen 50 Indikatoren ein, die in drei Überkategorien unterteilt werden: Basic Human Needs – also die Befriedigung grundsätzlicher menschlicher Bedürfnisse, wie eine ausreichende Ernährung, ein Dach über dem Kopf oder die persönliche Sicherheit usw.

Bei der zweiten Kategorie handelt es sich um Grundlagen des Wohlbefindens (Foundations of Wellbeing). In dieser Überkategorie werden unter anderem Daten aus dem Bildungs-, Gesundheits- und Umweltbereich analysiert. In der dritten Kategorie geht es um die Chancen und Möglichkeiten des Einzelnen zur Entwicklung innerhalb einer Gesellschaft. Dazu werden unter anderem Indikatoren aus den Bereichen persönliche Rechte, persönliche Freiheiten und Wahlmöglichkeiten, Toleranz und Inklusion sowie der Zugang zu höherer Bildung ausgewertet.

"Very high social progress"

Österreichs Ergebnis im SPI-Ranking kann sich auf den ersten Blick durchaus sehen lassen. Von den Studienautoren erhält das Land die Auszeichnung "Very High Social Progress" – insgesamt trifft dieses Prädikat nur auf 14 der 128 untersuchten Länder zu. Ein respektables Ergebnis, welches sich bei einem näheren Blick auf die Daten aber relativiert. Vor allem wenn man die Wirtschaftsleistung, also das BIP pro Kopf mit der Platzierung in der Social-Progress-Index-Erhebung vergleicht.

Während Österreich beim BIP-Ranking auf Platz neun liegt, reicht es im SPI-Ranking lediglich für Platz 14. Direkt vor Österreich platziert sich unser Nachbar Deutschland, der 2016 noch zwei Plätze hinter uns lag und im BIP-Ranking nur auf Platz elf rangiert.

Bei der Versorgung mit Wasser und bei sanitären Einrichtungen liegt Österreich an der Spitze.
Foto: APA/dpa

Durchforstet man auch die Detailergebnisse, so zeigt sich ein noch differenzierteres Bild vom sozialen Fortschritt in Österreich. Bei der Befriedigung grundsätzlicher menschlicher Bedürfnisse schafft Österreich sogar den Sprung unter die Top fünf aller beurteilten Nationen. Was die Versorgung der Menschen mit Wasser und sanitären Einrichtungen betrifft, erreicht Österreich bei allen drei für die Erhebung herangezogenen Indikatoren den ersten Platz. Auch was die Bereiche Gewaltverbrechen, empfundene Kriminalität und politischer Terror betrifft, ist unser Land eine Insel der Seligen (jeweils Platz eins im positiven Sinn).

Chancen und Möglichkeiten des Einzelnen

Etwas schlechter, aber immer noch unter den Top-zehn-Nationen positioniert sich die Alpenrepublik in der Kategorie Grundlagen des Wohlbefindens. Der neunte Platz in dieser Kategorie entspricht der Positionierung im BIP-Ranking.

Deutlich schlechter wird das Resultat, wenn es um die Chancen und Möglichkeiten des Einzelnen (Opportunity) geht. Auf der Score-Card Österreichs leuchtet in dieser Überkategorie sogar die Signalfarbe Rot auf, was bedeutet, dass das Land schlechter performt, als es seine wirtschaftliche Stärke eigentlich vermuten lässt.

Zur Erklärung: Um die Stärken und Schwächen eines Landes detaillierter darstellen zu können, wird für jedes Land eine eigene Score-Card erstellt. Auf dieser Score-Card wird das Ergebnis des jeweiligen Landes mit den Ergebnissen aus einer Gruppe von 15 Nationen mit einem ähnlich hohen BIP pro Kopf verglichen. Dabei werden bessere Ergebnisse blau, gleich gute gelb und schlechtere rot dargestellt. Dieser Vergleich wird sowohl in den drei Überkategorien als auch für alle 50 Indikatoren ausgewiesen.

Innerhalb der Peergroup

Bei allen 17 Indikatoren in der Kategorie Basic Human Needs liegt Österreich innerhalb der erwarteten Range aus der Vergleichsgruppe, bei den Grundlagen des Wohlbefindens fällt das Ergebnis bei fünf von 14 Indikatoren aber schlechter aus. Am krassesten weicht dabei der Indikator für die Selbstmordrate ab. Mit der hohen Suizidrate von 12,52 pro hunderttausend Todesfällen liegt Österreich auf Platz 84. Zum Vergleich: Deutschland weist eine Selbstmordrate von 10,42, Dänemark eine von 10,35 auf.

Zurück zu den Chancen für das Individuum. In dieser Kategorie erreicht Österreich lediglich Platz 16 und fällt speziell dort, wo es um den Zugang zu weiterführender Bildung (Advanced Education) geht, weit zurück (Platz 32). Einigermaßen schlecht schneidet die Republik auch beim Indikator für religiöse Toleranz ab. Im Vorjahr platzierte sich Österreich noch auf Platz 49, heuer war es nur mehr Platz 54.

Die SPI-Studie zeigt damit eines ganz deutlich: Das BIP hat als Maßstab für den Wohlstand einer Gesellschaft ausgedient bzw. war in Wahrheit wohl nie ein geeignetes Instrument. Während Österreich über ein leicht höheres BIP pro Kopf als Dänemark verfügt, liegt das nordische Land im SPI-Ranking aber weit vor uns. Die Dänen erreichten nämlich den ersten Platz, gefolgt von Finnland auf Platz zwei sowie den nordischen Ländern Island und Norwegen auf Platz drei. (Harald Fercher, Portfolio, 2017)