In jüngsten Politikdiskussionen tritt vermehrt der Begriff Heimat auf. Von der Gefahr einer Heimatlosigkeit bis zu einem möglichen Ministerium für Heimatschutz. Was bedeutet das für uns Planende?

Das Leben verändert sich schneller, als wir planen und bauen können, in kleinen Städten ebenso wie in Metropolen. Es gibt jedoch (scheinbar) Konstanten, die sich seit Jahrhunderten kaum verändert haben. Dazu zählt das Konzept der Privatheit. Privatheit ist ein relativer Begriff und lässt sich eher um- als exakt beschreiben, was seine Popularität jedoch nicht schmälert. Im Gegenteil, das Abgrenzen einer eigenen Privatsphäre ist populärer denn je. Aber Vorsicht, allzu privat ist auch nicht gut. Andererseits erübrigt sich dies in Zeiten allumfassender Sichtbarkeiten im Internet ohnehin. Während wir fleißig an unseren Zäunen weiterbauen, überfliegen die Drohnen fröhlich die Anwesen.

Privat ist relativ

Was privat ist, wird individuell unterschiedlich interpretiert. Es gibt kulturelle – wie die offen einsehbaren Wohnungen in den Niederlanden – und soziale Unterschiede – je mehr Geld, desto mehr Abschottung. Und dennoch ist Privatheit ein universelles Modell. Seit den Anfängen eines Etablierens von privatem Raum besteht ein nahezu gleichbleibender Wunsch nach der Verwirklichung von Privatheit. Privatheit ist das Synonym für Individualität und Subjektivierung und ist zugleich ein Statussymbol.

Es ist das materialisierte Eigene, realisiert durch die Ausgrenzung und Abgrenzung von all dem, was dieses Eigene gefährden könnte – also von dem Anderen. Alles wird augenblicklich zu dem Anderen, sobald es von dem Eigenen ausgeschlossen wird. Diese Formierung eines Anderen beschreibt ein ebenso relatives Konzept – was ist anders, was nicht? –, das sich jedoch ebenso standhaft behauptet. Und es scheint fundamental für das Konzept von Privatheit zu sein. Das Andere muss definiert werden, um das Eigene behaupten zu können.

Idealbild von Heim und Heimat entsprechen nicht immer dem, wo man aufgewachsen ist.
Foto: Ella Raidel/Double Happiness

Zaun, Thujenhecke, Fußabstreifer

Für die Abgrenzung von diesem Anderen sind räumliche Maßnahmen notwendig. Die Thujenhecke – oder Bambus, die neue Thuje – rund um das Haus formiert den visuellen Schutz, der Fußabstreifer vor der Wohnungstüre sagt "Willkommen" und meint "Stopp", das Balkongeländer wird mit Planen und Schilfrohr eingehaust. Freiraum: ja, Kommunikation: nein, danke. Das ständige Einpacken und Abgrenzen ist umso seltsamer, wenn wir im Gegenzug dazu ständig Bilder vom Privatesten überhaupt, von uns selbst, und das nicht selten aus dem intimsten Raum heraus, dem Bett, in die Öffentlichkeit hinaus posten. Spät abends werden im Schlafzimmer noch Mails verschickt und Bilder gepostet. Virtuell vernetzen wir uns global, räumlich verbarrikadieren wir uns.

Post-Privatheit

Vor einigen Jahren tauchte der Begriff der Post-Privatheit auf. Man erkannte das post-private Zeitalter als ein maßgeblich verändertes, auf das etwa Künstler neu reagierten. In der Architektur ist man noch nicht so weit. Was ist nun eine post-private Stadt? 2013 zeigte der Künstler Jesper Just im dänischen Pavillon der Biennale in Venedig eine Installation mit dem Titel "Intercourses", bestehend vor allem aus groß projizierten Filmen in Grautönen. Die einzige Farbe, die im Pavillon zu sehen war, war grelles Neonpink, das einzelne Filmausschnitte, abgestorbene Bambuspflanzen und Raumteile in eine fast unerträgliche Farbgebung tauchte. Just zeigte Filme aus Tianducheng, einer Vorstadt von Hangzou in China, eine Stadt mit über acht Millionen Einwohnern an der Mündung des Quiantang-Flusses. Hangzou war seit jeher berühmt für seine Seidenproduktion, expandierte lange, kann nun aber dennoch seine neuen Wohnviertel nicht besiedeln.

Privatheit in China. Noch sind wir weit entfernt von solchen Stadterweiterungen.
Foto: Ella Raidel/Double Happiness

Der neue Stadtteil Tianducheng ist Paris nachempfunden. Mit einem Eiffelturm, Park- und Brunnenanlagen wie in Versailles, und Boulevards mit Wohnungen, steht die für zehntausend Personen geplante Gated Community fast leer. In Filmausschnitten werden alltägliche Handlungen in und vor leeren Apartmentkomplexen gezeigt. Das Replikat von Paris in China zeigt ein künstliches Wohnen, nun aber ohne jegliche Exklusivität, eine generische, eigenschaftslose Stadt, wie sie der niederländische Architekt und Stadtplaner Rem Koolhaas schon vor Jahren als Zukunft unserer Städte vorhersagte – eine Stadt, die ein geschichtsloses Dasein inmitten globaler Prozesse erzeugt.

Paris in China, eine generische Stadt ohne Eigenschaften.
Foto: Ella Raidel/We will all have Paris
Hallstatt im Original, vielleicht fremder als jenes in China
Foto: Ella Raidel/Double Happiness
Hallstatt, als chinesisches Duplikat. Die Frage ist, was ist nun Heimat?
Foto: Ella Raidel/Double Happiness

Die Bilder stammen von der Künstlerin Ella Raidel. Sie arbeitet seit mehreren Jahren über post-private und andere Urbanisierungs-Phänomene, wie etwa über die Kopie von Hallstatt in China, Geisterstädte wie Ordos in der Inneren Mongolei, oder auch über Tianducheng. Informationen dazu siehe doublehappiness.at und hauntedspaces.net. Ein Ausschnitt über Tianducheng finden Sie auf Vimeo. Seit 2016 arbeitet Ella Raidel im Rahmen einer Elise-Richter-Forschungsstelle an der Kunstuniversität Linz an ihrem Forschungsprojekt "Von spukenden Orten: Ein Essay Film über Geisterstädte / Of Haunted Spaces: An Essay Film on Ghost Cities". 

Das Private ist längst weg

Post-Privatheit, also das, was nach der Privatheit kommt, meint ja die Aufhebung jeglichen Datenschutzes, das Öffnen aller sozialen Netze für alle und den einhergehenden Kontrollverlust über alle intimen Details. Die meisten Diskussionen über Post-Privatheit erfolgen unabhängig von Räumen. Insofern gibt es noch kein gebautes Ambiente eines post-privaten Zeitalters. Aber so eine Stadt könnte es sein, ein Tianducheng, eine Stadt mit keiner Eigenschaft, eine Wohnung, die dem Paris des 19. Jahrhunderts nachempfunden ist, aber leer steht.

Wer braucht auch noch Stadt, wenn alles überall erreichbar ist? Wenn alles im Original und im Replikat existiert, so wie das nachgebildete Hallstatt in China? Wenn das Bild von der Stadt die Realität übertrifft? Das 20. Jahrhundert war das Jahrhundert der kontinuierlichen Öffnung des Privaten. Das 21. Jahrhundert baut Städte weitgehend ohne Eigenschaften. Das Private muss sich darin nicht mehr auflösen, es ist schon längst weg. Das Beharren auf Heimat und auf dem Heim, das gegen alles Fremdartige verteidigt werden muss, scheint im Zusammenhang mit Post-Privatheit umso anachronistischer und ein Heimatschutz erst recht. (Sabine Pollak, 30.11.2017)  

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