Wer nach China wollte, musste lange Zeit nur einen Abstecher in die Budapester Josefstadt machen. Dort, am Vier-Tiger-Markt, ging es nicht anders zu als in Kunming oder Chongqing: Lauthals schreiende Händler, Waren aller Art, ungekannte Gerüche und Feilscher-Schwüre auf eine helle, sechsköpfige Kinderschar, die mit großer Sicherheit darben müsse, falls der Preis nicht doch noch um ein Viertel niedriger ausfiele.

1989 hatte die ungarische Regierung die Visapflicht für Chinesen aufgehoben. Und die kamen – auch wegen der Ereignisse auf dem Platz des Himmlischen Friedens im selben Jahr – zu Zehntausenden. Sie brachten Ramsch mit, den sie unter die eben in den Kapitalismus übergewechselten, kauflustigen Ungarn brachten.

Mit dunklen Limousinen

Inzwischen treten die Chinesen anders auf in Ungarn. Entweder sie kaufen sich Schengen-Visa, die von der Orbán-Regierung für 300.000 Euro über Offshore -Firmen an sie verhökert werden. Oder sie lassen sich wie Li Keqiang gleich in dunkler Limousine und mit aufwendigem Proto- koll vorfahren. Der chinesische Premierminister tritt beim heute, Montag, in Budapest beginnenden 16+1-Gipfel (siehe Hintergrund unten) als wichtigster Teilnehmer auf.

Die Konferenz ist Teil der weltumspannenden Großstrategie Pekings, der sogenannten Neuen Seidenstraße. Staatschef Xi Jinping und die Kommunistische Partei Chinas versuchen damit, sich die Länder entlang der chinesischen Handelsrouten an die Brust zu nehmen. Dafür wird in ein dichtes Netzwerk an Pipelines, Straßen, Eisenbahnen, Häfen, Flug häfen und Kraftwerken investiert. Es ist eine Art chinesischer Marshallplan, der das geopolitische Gewicht Chinas potenzieren soll – und das tatsächlich auch allenthalben tut.

Die chinesischen Handelsadern werden durch Straßen, Bahnstrecken, gekaufte oder neu errichtete Häfen immer dicker. Sie nehmen ihren Ursprung an der hochindustrialisierten chinesischen Ostküste oder in Zentralchina und breiten sich – zu Wasser und zu Lande – in einer Art umgekehrtem "Great Game" über Zentralasien und den Mittleren Osten nach Europa aus. Mag US-Präsident Donald Trump den außenpolitischen Fokus seiner Vorgänger -Regierung auf den pazifischen Raum vergessen oder gar nie richtig realisiert haben, die Chinesen bleiben an ihrer Konterstrategie, der Neuen Seidenstraße, dran. Und wie (siehe Grafik oben).

No free Beijing Duck

Inzwischen sind sie damit – Stichwort "16+1" – mitten im unmittelbaren Interessengebiet der Europäischen Union, Deutschlands und, ja, auch Österreichs gelandet: den zentral- und osteuropäischen Staaten. EU-Länder oder EU-Beitrittskandidaten, die seit Jahr und Tag mit Mitteln der Union gefördert und aufgebaut werden, nehmen inzwischen bereitwillig chinesisches Geld für Projekte an, das scheinbar an keinerlei politische Konditionen gebunden ist. Allein: There is no such thing as a free Beijing Duck. Auch in China gilt Frank Stronachs goldene Regel: Wer das Gold hat, macht die Regeln. Das lässt sich ganz gut an den Bahnaus bauprojekten auf dem Balkan (Piräus–Belgrad–Budapest) nachvollziehen.

"One Belt, One Road" (Ein Band, eine Straße). Die weltumspannenden Großstrategie Pekings hat einen Namen: Die sogenannte Neue Seidenstraße.
Foto: APA/AFP/JOHANNES EISELE

Denn klar ist: Von der Neuen Seidenstraße profitiert China am meisten – nicht nur wegen der erschlossenen Handelswege, sondern vielmehr dadurch, dass die enormen Überkapazitäten der staatlich gesteuerten Infrastrukturunternehmen exportiert werden. Diese müssen ein Millionenheer an Arbeitskräften in Lohn und Brot halten, weil die kommunistischen Führer in Peking anderenfalls Massenaufstände fürchten. Also heißt es folgerichtig: Wenn Chinesen zahlen, liefern auch Chinesen aus der Bau-, Stahl- und Transportindustrie. Dazu kommen inzwischen auch Ingenieurdienstleistungen und Technik in allerlei Sektoren, in denen Chinesen den Markteintritt in Europa suchen – was immer dieser auch kosten und wie wenig dieser betriebswirtschaftlich zu rechtfertigen sein mag.

2016 sind Chinas Auslands investitionen auf 189 Milliarden US-Dollar gestiegen. Finanziert wird eine Vielzahl dieser Projekte über die Asiatische Infrastrukturinvestmentbank (AIIB), die als Konkurrenzveranstaltung zum US -dominierten Internationalen Währungsfonds IWF_aufgezogen ist. Mitglieder sind auch Deutschland und Österreich, aber eher um die Lage zu beobachten, als um sich um Finanzierungen anzustellen.

Risiko ernst nehmen

Vor allem Berlin schaut genau auf die Aktivitäten Pekings in Osteuropa. China ist in den Visegrád-Staaten Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn laut dem Center for Europe der Universität Warschau inzwischen zweitwichtigster Investor nach Deutschland. "Der Drache ist eingetreten", heißt es in einem entsprechenden Bericht. Und die Deutsche Gesellschaft für Außenpolitik rät: "Deutschland muss dieses Risiko ernst nehmen und vorsichtig zwischen nationalem Interesse und europäischem Zusammenhalt balancieren." Das gilt auch für Österreich, dem in vielen Staaten nunmehr drittwichtigsten Investor. (Christoph Prantner, 26.11.2017)