Scrum-half Wasil Lobschanidse bringt beim Match gegen Wales in Cardiff den Ball auf den Weg. Das Kräftemessen in Britannien war für die Georgier ein seltenes Geschenk.

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Eine wichtige Säule des georgischen Rugby waren seit jeher die starken Männer im Sturm.

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Wien/Tiflis – Erfolg kann einsam machen. Diese Erfahrung machen nicht nur Topmanager und Starbroker an der Wall Street, sondern auch das Rugby-Nationalteam Georgiens. Die XV aus dem Kaukasus etablierte sich in den letzten Jahren als Europas Nummer sieben, nur die elitären Six Nations (England, Irland, Schottland, Wales, Frankreich, Italien) rangieren höher. Und nicht einmal das ist sicher, steht doch Georgien in der aktuellen Weltrangliste des Internationalen Rugby-Verbands World Rugby auf dem zwölften Platz und damit einen vor den Italienern. Erst kürzlich strömte durch das herbstliche Länderspielfenster der süße Duft des Sieges herein: Kanada und die USA wurden bezwungen.

Doch es gibt ein Problem. In der rigiden Welt des Rugby, die noch immer einer hierarchisch organisierten Standesgesellschaft gleicht, führt der Weg von Nationen wie Georgien von der Siegerstraße direkt in die Sackgasse. Während die geschlossene Gesellschaft der Six Nations allein entscheidet, wer Zugang zum Klub erhält, gehen den Georgiern die Gegner aus. Denn über die Konkurrenz der Rugby Europe Championship (ehemals European Nations Cup), des nachrangigen Kontinentalbewerbs für Nationalteams, ist man längst hinausgewachsen.

An der gläsernen Decke

In den letzten zehn Jahren holte Georgien achtmal den Titel, bei zwei Gelegenheiten musste man sich hinter Rumänien anstellen – so auch 2017, als man im Entscheidungsmatch ein junges Team aufbot und unterlag. Die Punktedifferenz spricht trotz dieses Betriebsunfalls Bände: +99 standen für die Lelos nach den fünf Partien zu Buche. 15 ihrer 20 Matches im Verlauf der zwei letzten Jahre beendeten sie siegreich. "Wir gewinnen dasselbe Turnier jedes Mal, aber es geht nirgendwo hin. Es ist bedeutungslos", klingt bei Kapitän Merab Sharikadze reichlich Frustration durch.

Es müssten also stärkere Gegner her, doch das ist einfacher gesagt als getan. Denn World Rugby hält eine Hackordnung aufrecht, in der Nationalauswahlen je nach Spielstärke streng voneinander geschiedenen Leistungsklassen zugeordnet sind, die sogenannten Tiers. Wie Stiig Gabriel, Sportdirektor bei Österreichs Meister RU Donau Wien, dem STANDARD auseinandersetzte, wurden die Qualifikationskriterien hierfür jedoch nie genau definiert. Zur Undurchsichtigkeit trägt weiters bei, dass sich World Rugby weiterhin auf die (ursprünglich drei) Tiers bezieht, obwohl diese Kategorie offiziell bereits vor längerer Zeit mit einem flexibleren Schema ergänzt wurde. Dieses wiederum transzendiert das alte zum Teil und ist – auch nicht gerade irrelevant – dafür maßgeblich, wie viele Fördermittel vom Weltverband an die diversen Nationalverbände fließen.

In der Regel ist es also so, dass allein Gegner ein und derselben Leistungsklasse aufeinandertreffen. Das ist grundsätzlich nicht ganz so absurd, wie es klingt, denn die Niveauunterschiede sind im Rugby größer als in anderen Sportarten. Bespielt die Weltklasse kleinere Fische, sind Debakel quasi vorprogrammiert – und es wird aufgrund der extremen physischen Intensität auch rasch einmal gefährlich. Beiderseitige sportliche Wertlosigkeit solcher Mismatches ist jedenfalls ebenso wenig erstrebenswert wie peinliche Scores, die in der öffentlichen Wahrnehmung das Image des Rugby nachhaltig beschädigen würden.

Soso Matiaschwili hechtete beim 54:22 Georgiens gegen Kanada am 11. November einen spektakulären Try (oder: Lelo) aufs Feld.
sukhumi

Auf der Suche nach der Perspektive

Aufgrund der Trägheit des Systems sind paradoxe Entwicklungen jedoch immanent. Der Fall Georgien ist dafür ein Paradebeispiel. Im letzten Dezennium bekamen die Lelos, von Matches bei Weltmeisterschaften einmal abgesehen, gerade einmal vier Chancen, um sich mit sogenannten Tier-1-Nationen (die Six Nations, Neuseeland, Südafrika, Australien sowie Argentinien) zu messen. In diesen seltenen Fällen, so Georgiens neuseeländischer Chefcoach Milton Haig, werde deutlich, wie "astronomisch" der Unterschied zwischen Topteams und jenem Maßstab sei, der das tägliche Brot für seine Spieler ist.

Der Vergleich mit den Besten der Besten ist, was ihnen zu weiterem Fortschritt am meisten fehlt. Man leide schlicht an Unterforderung. Ein ehrenvolles 6:13 beim historisch ersten Treffen mit (dem zweiten Anzug von) Wales Mitte November bewies, dass Georgien, sollte doch einmal ein (fettes) Korn auftauchen, schon lange kein blindes Huhn mehr ist. World Rugby dürfte das Problem erkannt haben, der neue globale Matchkalender (2020–2032) weist bezüglich der Anzahl von Paarungen zwischen Tier-1- und Tier-2-Nationen einen Anstieg von 39 Prozent aus.

Das reicht den Georgiern aber nicht, wie Lascha Churzidse, High Performance Director des nationalen Verbandes, im Gespräch mit dem STANDARD ausführt. Man benötige vielmehr einen stabilen Rahmen innerhalb eines Wettbewerbs auf avanciertem Level – und das möglichst flott. Forciert wird deshalb die Gründung einer eigenen Franchise, die idealerweise bereits im Herbst 2018 den Spielbetrieb aufnehmen soll. Und zwar entweder in der französischen Meisterschaft oder der internationalen Liga Pro14. Auch mit Südafrika, so Churzidse, werde verhandelt.

Neuschöpfung und Aufstieg

Der Ahnherr des Rugby in Georgien ist – so der Mythos – ein Spiel namens Lelo Burti. Ähnlich wie beim Mitte des 19. Jahrhunderts verbotenen anarchischen Volksfußball Großbritanniens traten bei diesem "Feldball" ganze Dörfer gegeneinander an. Noch heute wird im Georgischen ein Try "Lelo" geheißen – so wie auch die Nationalmannschaft im Ganzen. Im 1991 nach dem Zerfall der UdSSR unabhängig gewordenen Georgien lag der Rugbysport zunächst pauperisiert am Boden und musste mühselig wiederbelebt werden. Es dauerte zehn Jahre, ehe sich erste Erfolge einstellten.

Seither aber geht es stetig, in den letzten Jahren gar rasant nach oben. Konkurrenten wie Tonga, die USA und Kanada wurden eingeholt und überflügelt, seit 2003 hat sich die Nationalmannschaft für alle Weltmeisterschaften qualifiziert. In der Weltrangliste haben die Lelos ein Allzeithoch erreicht.

Etwa 15.000 Aktive gibt es in Georgien (3,7 Millionen Einwohner), eine eigentlich recht dünne Basis, auch wenn die Zahlen steigen. Vergleiche mit Rumänien (24.610), Deutschland (29.191) oder Russland (98.210) – allesamt Mitbewerber aus der Rugby Europe Championship – zeigen, wie viel daraus gemacht wird. 30.000 Spieler, sagt Churzidse, wären eine Zielgröße, mit der man zukünftig zufrieden sein könne. Wenn schon nicht in der Partizipation, so hat Rugby jedenfalls in der Popularität den Fußball mittlerweile als Nummer eins im Land überflügelt. Bei den Matches gegen den Erzrivalen Russland bevölkern regelmäßig 55.000 Zuschauer das Boris-Paitschadse-Stadion von Tiflis. Erfolg macht auch hier sexy.

Bei der U20-Weltmeisterschaft 2016 ließen schon die georgischen Youngsters im Scrum gegen die Weltelite die Muskeln spielen.
Ruddy Darter

French Connection

Ein gewichtiger Vorteil der Georgier besteht darin, dass dank langjähriger guter Beziehungen eine große Zahl ihrer Topspieler bei Spitzenklubs in Frankreich engagiert sind und dort beste Anleitung erfahren. Ebenso hilfreich ist das Mäzenatentum von Ex-Premier Bidsina Iwanischwili. Der Milliardär pumpt erkleckliche Summen ins Rugby, bestätigt sind 130 Millionen Lari (etwa 43 Millionen Euro). Das macht sich hinsichtlich Nachwuchsförderung und Infrastruktur höchst nutzbringend bemerkbar. So schaffte die georgische U20 2015 den Aufstieg in den erlauchten Kreis der zwölf WM-Teilnehmer, 2017 veranstaltete man das Turnier mit Tiflis und Kutaisi als Spielorten gleich selbst. Inzwischen haben einige Junge den Weg ins Nationalteam gefunden, die aussichtsreichsten Pespektivspieler georgischer Klubs üben dreimal in der Woche mit Chefcoach Haig.

In dessen bereits sechs Jahre andauernder Ära (Vertrag noch bis nach der WM 2019) verabschiedete sich die Nationalmannschaft auch sukzessive von ihrem etwas anachronistischen Stil. Lange hatte man so gut wie ausschließlich auf kolossale Forwards gebaut, die die anderen Mannschaftsteile im Zweifelsfall erst gar nicht am Spiel partizipieren ließen. Schön anzuschauen war das nicht – und auch nicht im Sinne Haigs, dem mit neuseeländischer Muttermilch das dynamische Laufspiel seiner Landsleute verabreicht worden ist. Trotz Reformation hat das georgische Pack jedoch nichts von seiner Imposanz und Gefährlichkeit eingebüßt. Auch die Waliser mussten vor eigenem Publikum die Dominanz der Lelos im Scrum zur Kenntnis nehmen. Man habe, so Churzidse, eine gute Balance gefunden. (Michael Robausch, 28.12.2017)