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John Conyers und die einstige Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi (Archivbild). Pelosi hatte ihren Kollegen noch gegen Vorwürfe der sexuellen Belästigung verteidigt, bevor dieser Sonntagabend doch zurücktrat.

Foto: AP / Alex Brandon

Washington/Wien – Erstaunt sind auch viele Zyniker – weniger über die Vorwürfe, die nun bekannt werden, aber doch darüber, dass es nicht längst viel mehr sind. 260 Fälle von Belästigung sind nach Auskunft der zuständigen Stelle im US-Kongress seit 1997 geschlichtet worden. Dabei gab es Zahlungen von 15 Millionen US-Dollar (12,5 Millionen Euro) an die Opfer, die sich im Gegenzug zur Verschwiegenheit verpflichteten. Wegen dieser Abmachung ist unsicher, wie viele dieser Schlichtungen auch Fälle sexueller Belästigung betreffen, denn erfasst wird auch Diskriminierung aus anderen Gründen oder Mobbing.

Ein konkreter Fall ist in den vergangenen Tagen aber schon bekannt geworden. Nach tagelangem Hin und Her gab der Abgeordnete John Conyers am Sonntag seinen Sitz im Rechtsausschuss ab. Er ist ein Urgestein der Demokraten und hatte sich seit 1965 einen guten Ruf erworben – für die Arbeit in seinem Wahlkreis nahe Detroit und als Aktivist für Bürgerrechte. Wie sich nun zeigt, gab es auch Schattenseiten: Conyers zahlte vor zwei Jahren einer früheren Mitarbeiterin 27.000 Dollar Entschädigung. Er hatte sie entlassen, weil sie seinen sexuellen Avancen nicht nachgekommen war, enthüllte die Seite "Buzzfeed" Mitte des Monats. Andere Mitarbeiterinnen werfen ihm vor, sie begrapscht oder ihnen auf Dienstreisen den Aufenthalt im Doppelzimmer angeraten zu haben.

Zuvor hatten sich prominente Demokraten noch zur Verteidigung Conyers aufgeschwungen. Die ehemalige Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi kam bei einem Auftritt in der TV-Sendung "Meet the Press" am Sonntag ins Stottern, als sie nach dem Fall des Abgeordneten gefragt wurde; sie riet ihm vor den Kameras aber nicht zum Rücktritt, sondern lobte stattdessen seine Erfolge in der Vergangenheit.

Milieubedingte Sorgen

Insgesamt macht die Welle an Vorwürfen, die mit der #MeToo-Kampagne einhergeht, vor allem die Demokraten nervös. Zwar ist völlig unbekannt, welche der großen Parteien die Mehrheit der betroffenen Schlichtungsfälle zu verantworten hat. Doch dass Conyers der einzige Demokrat ist, dem etwas vorgeworfen wird, scheint ausgeschlossen.

Und offenkundig ist auch, dass sich die Partei mit den Vorwürfen wesentlich schwerer tut als die Republikaner. Das hat mehrere Gründe, die teilweise paradox wirken: Zum einen vermuten viele Demokraten, dass sich Frauen aus dem eigenen Umfeld eher ermutigt fühlen, Fälle anzuzeigen, als dies bei den Republikanern der Fall ist. Zudem machen Demokraten Belästigungen eher zum Thema ihrer Politik – stehen sie in den Medien als Täter da, kommt dies bei Wählern viel unehrlicher an, als wenn es sich um Republikaner handelt.

Schließlich zählen Wählerinnen und Wähler, denen das Thema wichtig ist, eher zu den Unterstützern der Demokraten – bleiben sie den Urnen fern, hat die Partei viel zu verlieren.

Zugleich fürchten die Liberalen den Verlust populärer Abgeordneter. Auch deshalb hat die Demokraten-Führung im Fall des Senators Al Franken aus Minnesota zurückhaltend reagiert. Dem Ex-Komiker werden Grapschfälle zur Last gelegt, außerdem soll er eine Frau gegen ihren Willen geküsst haben. Statt eines Parteiausschlusses droht Franken, der sich entschuldigt hat, eine Disziplinaruntersuchung. Das sieht nicht gut aus – denn zur gleichen Zeit ziehen die Demokraten in Alabama gegen Senatskandidat Roy Moore zu Felde. Dem Republikaner wird mit dem Missbrauch Minderjähriger zwar ungleich Schlimmeres vorgeworfen – die Kampagne gegen ihn droht trotzdem an Fahrt zu verlieren. (Manuel Escher, 27.11.2017)