Der Gipfel zwischen Europäischer und Afrikanischer Union startet am Mittwoch mit großer Prominenz, aber nur geringen Erwartungen.

Foto: AFP PHOTO / ISSOUF SANOGO
  1. "Ein Höhepunkt": So beschreibt Georg Lennkh, Botschafter a. D. und ehemaliger Sektionsleiter für Entwicklungszusammenarbeit, heute den Beschluss im Jahr 2007. Die neue Strategie schuf einen offiziellen Kanal und die Grundlage der Zusammenarbeit von AU und EU, die jenseits der Entwicklungshilfe auch in Bereichen wie Sicherheit, Kampf gegen Klimawandel oder Förderung von Demokratie forciert werden sollte. "Allein schon die festgehaltene Aussage, dass sich beide Seiten auf gemeinsame Werte berufen, war damals beachtlich", sagt Lennkh.

  2. Teilnehmer: Beide Seiten stehen heute anders da als beim ersten europäisch-afrikanischen Gipfel im Jahr 2000 in der ägyptischen Hauptstadt Kairo: Die EU hat seither drei Erweiterungsrunden vollzogen und steht nun kurz davor, in Folge des Brexits mit Großbritannien eines der aktuell noch 28 Mitglieder zu verlieren. Die AU wiederum ist überhaupt erst 2002 aus der bis dahin bestehenden Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) hervorgegangen. Ihre Schaffung war der erneute Anlauf, die Einheit und Entwicklung des afrikanischen Kontinents zu stärken.

  3. Der Rahmen: Der Mittwoch und Donnerstag stattfindende Gipfel ist der fünfte seiner Art: In der Regel alle drei Jahre kommen die Mitgliedsstaaten der EU und der Afrikanischen Union zu einem solchen Treffen zusammen – abwechselnd in einer europäischen und einer afrikanischen Örtlichkeit stattfindend. Heuer ist Abidjan Treffpunkt, die größte Stadt in Côte d'Ivoire. Als entscheidend galt der Gipfel in Lissabon 2007: Dort wurde die "Gemeinsame Strategie Afrika-EU" unterschrieben, die nun ihr zehnjähriges Jubiläum feiert.

  4. Ansprechpartner: Von ihrer Struktur her orientiert sich die AU an der EU, ihr Organisationsgrad ist aber deutlich geringer, auch hinsichtlich der Integration. Die AU ist Ansprechpartner der EU, Brüssel finanziert 80 Prozent des Budgets. Je weiter ein Land vom AU-Hauptsitz im äthiopischen Addis Abeba entfernt liegt, desto weniger dringt von dem Beschlossenen tatsächlich durch. In Mali, erzählt Lennkh, der als Afrika-Beauftragter der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft damals bei den Vorverhandlungen für den Gipfel 2007 mit dabei war, hätten Politiker erst gar nichts von der neuen Partnerschaft erfahren. Auch in den EU-Mitgliedstaaten spielt sie eine eher kleine Rolle und scheint vor allem als Brüsseler Angelegenheit wahrgenommen zu werden.

  5. Die Bilanz: Experten beschreiben die bisherige Bilanz als durchwachsen, die Lissaboner Vorhaben als im Nachhinein zu optimistisch. Geert Laporte, Direktor des Thinktanks European Centre for Development Policy Management, bezeichnet die Europa-Afrika-Beziehung als "veraltet". Kurzfristiges Krisenmanagement habe langfristige Ambitionen ersetzt. Strukturelle Abhängigkeiten und Partikularinteressen bestünden weiter. Der "Schlafwandel" müsse dringend beendet werden, da zu den alten Problemen neue dazugekommen seien und "alte Rezepte nicht mehr funktionieren".

  6. Das Umfeld: Auch die geopolitische Lage hat sich seit 2007 verändert. Die EU war im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrise stark mit sich selbst beschäftigt, in Afrika kamen in der Zwischenzeit neue Partner hinzu: allen voran China, der seit 2009 größte Handelspartner Afrikas. Aber etwa auch die Türkei, Russland, Indien, die ihre Investitionen im Gegensatz zur EU nicht an ideologische Bedingungen knüpfen. Die strittigen Verhandlungen zu den Freihandelsabkommen haben die Beziehungen mit Europa belastet. Die EU-Mitgliedstaaten bleiben die größten Entwicklungshilfegeber in Afrika.

  7. Tabus: Die NGO International Crisis Group kommt in einem Bericht zu dem Schluss, es sei Zeit, dass Afrika und Europa "den Reset-Knopf drücken". So sei das Verhältnis zueinander noch immer zu emotional, zu sehr von der kolonialen Vergangenheit belastet, was einen offenen Diskurs verhindere – und so jeden Lösungsansatz im Keim ersticke. Afrikas Bevölkerungswachstum etwa und dass der Arbeitsmarkt nicht mit der hohen Geburtenrate mitkommt, bleibt offiziell weiterhin ein heikles Tabuthema.

  8. Prioritäten: Afrikas Demografie rückt allerdings dennoch ins Zentrum des Gipfels, da die Jugend und ihre Zukunft zur Priorität erklärt wurden. 120 Jugendvertreter aus beiden Kontinenten haben im Oktober ebenfalls in Abidjan Vorschläge erarbeitet. Sie sind auch beim aktuellen Treffen eingebunden. 60 Prozent der Bevölkerung Afrikas sind jünger als 25 Jahre. Investitionen und Handel stehen daher ebenso auf der Tagesordnung wie die Schaffung von Arbeitsplätzen. Wichtig ist das Thema für beide Seiten – aber aus unterschiedlichen Motiven.

  9. Das inoffizielle Hauptthema: Der Punkt Migration steht im Raum, aber nicht offiziell auf der Agenda. Die Europäer verbinden das Thema mit der Sorge vor Millionen Menschen, die vor Krieg, Terror und den Folgen des Klimawandels fliehen oder aufgrund mangelnder Perspektiven auf gepackten Koffern sitzen, um ihr Land in Richtung Europa zu verlassen. Die Afrikaner haben mehr Interesse an Diskussionen über Wege der legalen Migration und Hilfe bei der Ursachenbekämpfung von Flucht. Das liegt auch an den Rücküberweisungen der afrikanischen Diaspora in Europa, deren Höhe die aller Entwicklungsgelder zusammengenommen übersteigt.

  10. Ausblick: Der EU-AU-Gipfel startet mit großer Prominenz, aber mit geringen Erwartungen. Die größte Einigkeit herrscht bereits jetzt in Sicherheitsfragen. Allen voran Frankreich wird auf die Unterstützung seiner Militärmission in Mali pochen und für mehr regionales Engagement plädieren. Staatssekretärin Muna Duzdar (SPÖ), die Österreich in der ivorischen Metropole vertritt, betonte vorab die Notwendigkeit, neben Fragen der Ausbildung und Perspektive "auch jene der sexuellen Reproduktion" zu behandeln. (Anna Giulia Fink 28.11.2017)