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Japan (Bild) ist schon länger in Reichweite der nordkoreanischen Raketen. Bald könnten sie es auch bis an die US-Ostküste schaffen.

Foto: AP / Shizuo Kambayashi

Am Morgen nach dem Raketentest hatte der amerikanische Präsident zunächst anderes im Sinn, als über Kim Jong-un herzuziehen: Es sehe so aus, als könne sich der Aktienmarkt über einen weiteren guten Tag freuen, schrieb er auf Twitter – und fügte hinzu: "Ich rate mal: Jemand mag mich (und meine Politik)!" Dann ging es noch um TV-Moderator Matt Lauer, den NBC wegen des Vorwurfs sexueller Belästigung entlässt. Und um "Fake-News-CNN", einen der Lieblingsfeinde Donald Trumps.

Das Thema Nordkorea hatte er bereits am Abend zuvor mit Worten abgehandelt, die alles in der Schwebe ließen, die jeder interpretieren konnte, wie er wollte. "Wir werden uns darum kümmern", sagte er vor Kameras im Weißen Haus. Die sei eine Situation, mit der man umgehen werde.

Kontrast zu verbalen Attacken

Zunächst waren es überraschend verhaltene Töne über den neuesten nordkoreanischen Raketentest vom Dienstag – stehen sie doch in markantem Kontrast zu den Attacken, die Trump früher gegen Kim ritt, gegen den "kleinen und fetten Raketenmann", wie er ihn nannte. Später kündigte Trump "bedeutende Sanktionen" an, die USA forderten alle Länder auf, ihre diplomatischen sowie Handelsbeziehungen mit Pjöngjang abzubrechen.

Russland lehnte einen Abbruch der Beziehungen ab. Das Vorgehen der USA sei geeignet, Nordkorea zu extremen Schritten zu provozieren, zitierten russische Nachrichtenagenturen Außenminister Sergej Lawrow am Donnerstag. China reagierte skeptisch und betonte, eine Lösung des Konflikts müsse durch "Verhandlung und Dialog" erreicht werden. Ein militärisches Eingreifen sei dagegen keine Option. Im Einklang mit bisherigen UN-Sanktionen hatte China seine Öllieferungen an Nordkorea im Oktober beschränkt, aber nicht komplett eingestellt. Die US-Botschafterin bei der Uno, Nikki Haley, warnte Nordkorea, "im Falle eines Kriegs" werde die Führung in Pjöngjang "vollkommen zerstört" werden.

Die rhetorische Berg- und Talfahrt zwischen persönlicher Beleidigung und kühler Zurückhaltung verrät allein schon einiges über die Ratlosigkeit, die im Weißen Haus herrscht. Noch vor wenigen Wochen hatte Trump, zu Gast in Peking, den Eindruck erweckt, als rechne er mit Fortschritten. Als könnte eine Kombination aus amerikanischem und chinesischem Druck in Verhandlungen münden. Als sei man hinter den Kulissen schon weiter, als man es öffentlich zugeben wolle. Für zweieinhalb Monate verzichteten die Nordkoreaner darauf, Interkontinentalraketen zu testen.

Weiterhin Diplomatie

Die Phase relativer Ruhe ließ vorsichtigen Optimismus keimen – und im Moment scheinen weder der US-Präsident noch seine Vertrauten bereit, das Kapitel Diplomatie für beendet zu erklären. Ob es die Ruhe vor dem Sturm ist oder aber der Einsicht entspringt, dass ein Angriff auf eine Nuklearmacht keine realistische militärische Option ist: Kein Außenstehender vermag das seriös zu beantworten.

Im Kabinett Trump, berichten US-Medien, habe man einen nordkoreanischen Vergeltungsakt erwartet, nachdem US-Außenminister Rex Tillerson das Land vorige Woche wieder auf die Liste staatlicher Unterstützer des Terrors gesetzt hatte. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel sei die Eskalation nicht gekommen.

Als James Mattis, nominell Verteidigungsminister, de facto so etwas wie die tragende Säule amerikanischer Außen- und Sicherheitspolitik, den Start der Hwasong-15 kommentierte, tat er es in einer Pose, die an den nüchternen Analysten eines Thinktanks denken ließ. Die Rakete sei höher geflogen als bei jedem vorangegangenen Versuch, konstatierte der Ex-General. "Es ist ein Forschungs- und Entwicklungsschritt von ihrer Seite, um ballistische Raketen zu bauen, die jeden Flecken der Erde bedrohen können."

Entwicklung rückgängig machen

Die diplomatische Option sei nach wie vor praktikabel, sie liege nach wie vor auf dem Tisch, erklärte seinerseits Tillerson. Die nukleare Aufrüstung Nordkoreas, verbunden mit der Entwicklung von Mitteln, die Atomwaffen an ihr Ziel bringen können, müsse rückgängig gemacht werden.

David Wright, Rüstungsexperte der Initiative "Union of Concerned Scientists", hält es für wahrscheinlich, dass Pjöngjang nunmehr in der Lage ist, das gesamte Territorium der USA mit Raketen zu treffen. Nicht mehr nur Hawaii, Alaska oder die Westküste, sondern auch die Ostküstenmetropolen New York und Washington. Nach Wrights Schätzungen hat die Hwasong-15 eine Reichweite von rund 13.000 Kilometer.

"Wir bewegen uns auf einen Krieg zu, wenn sich die Dinge nicht ändern", warnt Senator Lindsey Graham, ein Hardliner unter den Republikanern. "Wir werden nicht zulassen, dass dieser verrückte Mann in Nordkorea die Fähigkeit erlangt, unser Heimatland zu treffen." (Frank Herrmann aus Washington, 30.11.2017)