Alfred Tatar: "Es ist ein langer Kampf für Gleichberechtigung, den jedes Land selbst austragen muss, um etwas zu verbessern. Mediale Aufmerksamkeit alleine bringt nichts."

David Visnjic

Susanne Scholl: "Die WM in Russland ist eine Möglichkeit für das Regime sich selbst darzustellen und mit unliebsamen Menschen, die stören könnten, kurzen Prozess zu machen."

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Alexandr Agapov: "Sexismus und Homophobie müssen bekämpft werden, damit man etwas verändern kann. Wir werden nach der WM nicht aufhören mit unserer Arbeit."

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Kurt Wachter: "Der Sport bietet Chancen für Gleichberechtigung und ein solidarisches Miteinander."

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Die Teilnehmer v.l.n.r.: Übersetzerin, Alexandr Agapov, Susanne Scholl, Konrad Rehling (Moderation), Alfred Tatar, Kurt Wachter.

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Wien – Die Fußballweltmeisterschaft 2018 wird die Blicke der Sport- und Weltöffentlichkeit nach Russland richten. Am Freitag wird die Gruppenauslosung, die feierlich im Kreml zelebriert werden wird, für einen ersten Höhepunkt sorgen. Wladimir Putin und der Weltfußballverband wollen ihr Sportgroßereignis in positivem Licht präsentieren und sie haben kein Interesse daran, negative Nebengeräusche aufkommen zu lassen.

Deren gibt es aber genug. Angefangen vom Dopingskandal, der nicht nur den russischen Wintersport, sondern auch das russische Fußballnationalteam betrifft, katastrophale Arbeitsbedingungen für die Arbeitskräfte, die an der Errichtung der Spielstätten beteiligt sind, und die Angst vor massiven Hooliganausschreitungen während des Turniers, die noch von der EM 2016 in Erinnerung geblieben sind.

Das Spiel für Menschenrechte

Bei einer Pressekonferenz der Initiative "Our Game – Unser Spiel für Menschenrechte" berichtete der russische Menschenrechtsaktivist und Präsident der Russian LGBT Sport Federation (Russischer Sportverband für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender), Alexandr Agapov, über die Situation im Gastgeberland. Anwesend waren auch die ehemalige ORF-Russland-Korrespondentin Susanne Scholl, Fußballtrainer Alfred Tatar, der von 2006 bis 2009 in Moskau und Perm tätig war und Kurt Wachter von der Initiative Fairplay, die sich gegen Diskriminierung und für Vielfalt im Fußball einsetzt.

Selbstdarstellung und Leistungsschau des Regimes

Die Russland-Kennerin Scholl sieht die aktuelle Lage in Russland skeptisch. Es werden immer wieder Stimmen laut, die in Sportgroßveranstaltungen Chancen zur positiven Veränderung hinsichtlich der Menschenrechte in den Austragungsländern sehen, doch Scholl sieht das anders: "Es ist eine Möglichkeit für das Regime sich selbst darzustellen und mit unliebsamen Menschen, die stören könnten, kurzen Prozess zu machen." Man kennt diese Vorgehensweise von den Olympischen Winterspielen 2014. "Menschen wurden enteignet, Naturschutzaktivisten aus dem Verkehr gezogen und der Mehrwert, den solche Sportgroßereignisse bringen sollen, war für die Menschen ein sehr überschaubarer", so Scholl.

Agapov erklärt, dass das offizielle Russland den internationalen Standards zu einem gewissen Maß folgen müsse, damit man auf der Weltbühne reüssieren könne. Es gibt daher auch einen Antidiskriminerungsbeauftragten im russischen Fußballverband, allerdings ist dies ein formaler Posten. Kontaktaufnahme zwecklos.

Durch den Sport auf die Weltbühne

Einig waren sich die Gesprächspartner, wie problematisch es ist, Sportgroßveranstaltungen an Länder zu vergeben, in denen autoritäre Regime herrschen. Russland gehöre laut Scholl zu diesen. Die ehemalige ORF-Korrespondentin merkte an, dass es das Ziel der russischen Führung sei, wieder mehr Bedeutung auf der Weltbühne zu bekommen. Ein sportliches Großereignis sei dafür genau das richtige Instrument. Es ist genau das, was man auch zu Zeiten der Sowjetunion gemacht habe – "Gäste mit allem versorgt was teuer ist, Kaviar bis man nicht mehr schauen konnte, damit man nicht in Versuchung gerät, den Blick darauf zu richten, wo nicht Unmengen Kaviar serviert wird und Wodka in Strömen fließt."

Resignation und Hoffnung

Scholl berichtet weiters, dass Menschen, die nicht konform mit Putin gehen, im inneren Exil leben oder letztendlich ihrem Heimatland den Rücken kehren. Sie sieht aber auch Licht am Horizont, denn die junge Generation Russlands sei in einer Phase aufgewachsen, in der man keine Angst habe und desinteressiert an der Politik sei, solange sie einen in Ruhe lasse. "Diese Generation ist nicht mit den alten Mustern aufgewachsen und irgendwann wird sie eine Veränderung wollen. Manchmal ist es nötig ein paar Generationen zu warten, bis sich etwas ändert."

Russische Hooligans

Dramatisch schildert Scholl die Situation um Hooligans in Moskau. "Nach Heimspielen, egal welchen Vereins, ziehen rechtsextreme Gruppen durch die Innenstadt und überfallen Afrikaner und Menschen, die nicht wie Russen aussehen." Von den Sicherheitskräften dürfen diese Gewaltopfer eher keine Unterstützung erwarten. Daher sei es auch üblich, dass sich dunkelhäutige Bewohner Moskaus nach Fußballspielen nicht auf die Straße trauen. Das Interesse des Regimes während der WM werde es sein, alles still zu halten. Straßenschlachten, wie während der Fußball-EM in Frankreich, befürchtet sie nicht. Vor den Augen der Weltöffentlichkeit will Putin keine Bilder von Hooligan-Ausschreitungen sehen und daher werde die Polizeipräsenz noch massiver sein als sonst. Sie merkte auch an, dass die Einreise nach Russland für vermeintliche Hooligans nicht so einfach sein werde.

"Sehr freundliche und herzliche Menschen"

Der aktuelle TV-Experte Alfred Tatar berichtet, dass er in vielen Begegnungen, bei seinen Trainerstationen in Russland, sehr freundliche und herzliche Menschen getroffen habe, abseits der Sportstätten könne er nur Gutes berichten. Im Fußball sieht er die Probleme ähnlich wie in Europa, Homosexualität werde nicht thematisiert. Starke rechtsextreme Fanszenen hat Tatar bei Zenit St. Petersburg und ZSKA Moskau wahrgenommen. Politische Unmutsbekundungen gegen die Regierung habe es nicht gegeben.

Scholl stimmt zu und meint, dass "es innerhalb der Stadien kein Gegengewicht gibt. Keine Äußerungen gegen die Regierung, weil die Polizeipräsenz groß ist." In Perm habe Tatar diesbezüglich gar nichts mitbekommen: "Die Leute schauen sich das Match an und gehen wieder nach Hause." Agapov erklärt, dass es in St. Petersburg eine kleine Gruppe als Mitstreiter für die Gleichberechtigung von Homosexuellen gibt, die verglichen mit der starken, aggressiven Rechten verschwindend gering ist.

Der Fußballlehrer Tatar spricht sich auch dafür aus, dass man nicht nur auf Russland zeigen sollte, sondern sich hier in Europa auch an die eigene Nase fassen soll. Stichwort totale Überwachung der Bevölkerung und Homophobie.

"Die Karawane zieht weiter"

Die Vergabe von Großereignissen mit der Hoffnung auf Verbesserung der Menschenrechtssituation in den Austragungsländern sieht Tatar skeptisch. "Die Karawane zieht weiter. Es kann nur innere Veränderung etwas bewirken, mediale Aufmerksamkeit alleine bringt nichts." Die unmittelbar beteiligten Personen am Fußballsport haben laut Tatar keine Möglichkeit große Veränderung zu bewirken. "Die Spieler wollen Weltmeister werden und dann nachhause zu ihren Frauen und Männern. Ja, ich glaube viele Spieler sind schwul und haben Männer zuhause." Tatars Fazit lautet: "Es ist ein langer Kampf für Gleichberechtigung, den jedes Land selbst austragen muss, um etwas zu verbessern. Ein Monat schaut die Welt auf die Bühne Fußball-WM in Russland. Die neue Bühne steht aber schon parat und die alte wird ausgetauscht."

"Kleine Schritte"

Der Menschenrechtsaktivist Agapov gibt sich kämpferisch: "Sexismus und Homophobie müssen bekämpft werden, damit man etwas verändern kann. Wir werden nach der WM nicht aufhören mit unserer Arbeit. Es sind kleine Schritte nach vorne, aber es sind Schritte nach vorne." Von Seiten der neuen Fifa-Führung habe man sich mehr erwartet, es geschehe nach wie vor viel zu wenig zur Gleichberechtigung der LGBT-Community. Auch die Zusammenarbeit mit großen Sponsoren der Fifa funktioniere schleppend, weiß Agapov zu berichten. Adidas engagiert sich mit einer Kampagne für Diversität, es gab eine gute Kommunikation mit der zuständigen Abteilung des bayrischen Großkonzerns. Doch seit vor einem halbem Jahr dem Top-Management Berichte vorgelegt wurden, hörten Agapov und seine Mitarbeiter nichts mehr aus Herzogenaurach.

Fußball verbindet

Für Kurt Wachter und die Initiative Fairplay bietet der Sport eine Plattform, die Menschen zusammenbringt, sowie Teamgeist, Chancen für Gleichberechtigung und ein solidarisches Miteinander fördert. Sportgroßereignisse haben die Themen aber sehr verschoben. Arbeit gebe es genug, es stehen viele Veranstaltungen, auch nach Russland 2018, bevor. Die viel kritisierte Fußball-WM 2022 in Katar, die European Games in Weißrussland 2019, die Euro 2020 mit St. Petersburg und Baku als Austragungsorte. "Wir als Initiative wollen uns mit relevanten Stakeholdern vernetzen, mit zivilgesellschaftlichen Organisationen in diesen Ländern. In Russland zum Beispiel gibt es nicht nur Repression, sondern auch eine kritische Zivilgesellschaft, die sich äußert."

Blockbuster

Für nächstes Jahr plant "Our Game" – Nachfolgeprojekt von "Nosso Jogo", das die Fußball-WM 2014 und die Olympischen Spiele 2016 im Fokus hatte – mehrere Aktivitäten. Öffentliche Veranstaltungen sollen die Bevölkerung einbinden, Podiumsdiskussionen, Workshops und ein Kunst- und Kulturprogramm sind vorgesehen. Den Dialog mit Entscheidungsträgern setzt man fort. Eine aktuelle Veranstaltung, ist das Filmfestival "This Human World", an dem man beteiligt ist. Am 2. Dezember ist der Film "The Workers Cup" zu sehen. Er thematisiert die Arbeitsbedingungen beim Stadionbau für die Fußballweltmeisterschaft 2022 in Katar. Die Stadionarbeiter und ihre Träume von einem besseren Leben stehen im Fokus. (Lukas Strecker, 30.11.2017)