Eine Kirche, vier Gasthäuser, zwei Volksschulklassen, eine Kegelbahn, eine Bank und ein alter Zigarettenautomat: Das ist im Wesentlichen das Zentrum von Deutsch-Griffen.

Foto: Martin Valentin Fuchs

Michael Reiner, FPÖ-Bürgermeister, bei dem man auch schon mal einen Brief aufgeben kann.

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Hier ist jeder mit jedem per Du. Nur Lotte, die Wirtin vom Moserwirt, heißt "Frau Chef".

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Ein Tusch, dann setzt sich die Blasmusikkapelle in Bewegung. 38 Musiker in grauen Trachtenjankern und blauen Stutzen. Vorneweg stampft der Stabführer, der den Takt angibt. Die Kapelle marschiert einmal über den Dorfplatz, dann ist der diesjährige Bauernmarkt eröffnet – mit allem Drum und Dran: Hüpfburg und Streichelzoo für die Kinder, Bier, Schnaps und Essensstände für die Eltern.

Gleich daneben steht Bürgermeister Michael Reiner und lächelt zufrieden. Er hat allen Grund zur guten Laune. Nirgendwo in Österreich hat seine Partei, die FPÖ, ein so hohes Ergebnis erzielt: 53,8 Prozent. 911 Einwohner hat die Gemeinde. 300 wohnen im Ort selbst, da, wo heute der Bauernmarkt stattfindet. Der Rest wohnt auf den Talhängen verteilt oder noch weiter oben, in den Wäldern.

Viermal am Tag kommt der Bus, holt die Schulkinder ab und wendet wieder. Die Post hat vor Jahren zugesperrt. Und sonst? Vier Gasthäuser, eine Kirche, ein Feuerwehrauto, zwei Volksschulklassen, eine Kegelbahn, eine Raiffeisen-Bank und ein alter Zigarettenautomat aus der Zeit vor dem EU-Beitritt, als man in Österreich noch mit Schilling bezahlt hat.

Ein Dorf als Sackgasse

Die Dorfstraße, auf der die Kapelle gerade aufmarschiert, verläuft sich irgendwann, wird enger, holpriger und hört dann ganz auf. Deutsch-Griffen ist eine Sackgasse, in der die FPÖ seit 1958 die Vormachtstellung hält, und das, obwohl die klassischen Themen der Partei, Migration und Asyl, hier niemanden betreffen. Auch eine slowenischsprachige Minderheit gibt es in Deutsch-Griffen nicht.

Kärnten ist zwar das Stammland der FPÖ, doch selbst da ist die Gemeinde so etwas wie ein blaues gallisches Dorf, stets verteidigt gegen ÖVP oder SPÖ. Gerhard Dörfler, jener Mann, der nach Jörg Haiders Unfalltod in die Kameras sagte, in Kärnten sei nun "die Sonne vom Himmel gefallen", stammt aus Deutsch-Griffen. Wer den Erfolg der Blauen verstehen will, muss hierherschauen.

Hierher, wo jeder mit jedem per Du ist. Nur Lotte (82), die Wirtin mit der stets perfekt sitzenden Hochsteckfrisur und der frisch gebügelten weißen Schürze, wird "Frau Chef" genannt. Gegenüber ihrem Gasthaus, dem Moserwirt, schenkt Verena (22) himbeerrote und apfelgrüne Schnäpse in der Bushaltestelle, ihrer provisorischen Bar, aus. Sie spielt Querflöte in der Kapelle und engagiert sich in der Landjugend.

22 Vereine gibt es in Deutsch-Griffen, vom Jägerverband über die Trachtengruppe bis zur Freiwilligen Feuerwehr. Die Gemeinschaft ist der Grund, warum Verena geblieben ist. Sie will hier ein Haus bauen, ihre Kinder großziehen, alt werden. Genau dafür steht auch "der Michl", wie man Bürgermeister Reiner unter den Jungen ruft.

Der steht jetzt neben Verena an der Bushaltestelle und zeigt der Landjugend Fotos von seinem kleinen Sohn, der vor ein paar Tagen auf die Welt gekommen ist. 30 Stunden pro Woche unterrichtet er Medizintechnik an der Fachhochschule in Klagenfurt. Mittwoch und Freitag sitzt er im Gemeindeamt und macht Lokalpolitik. Als die Post abgewandert ist, hat Reiner angeboten, dass man Briefe in Zukunft in seinem Büro abgeben kann.

Politik für Jungfamilien

Reiner hat einen Bonus für Jungfamilien eingeführt. Wer unter 35 ist, bekommt eine Monatsmiete, etwa 450 Euro, in Form von Gutscheinen für die lokalen Gasthäuser und Supermärkte, rückerstattet. Wer sich in Deutsch-Griffen niederlässt, bekommt zusätzlich einen Bauzuschuss von 3500 Euro. Reiner hat eine Busumkehrschleife bauen lassen, um den öffentlichen Verkehr zu stärken und eine mit Solarenergie betriebene Busstation, an der man sein Smartphone aufladen kann.

Vieles, das seine Parteikollegen in Wien sagen und tun, kann Reiner nicht nachvollziehen. Er bezeichnet sich als liberal. Nicht aus ideologischen Gründen sei er bei der FPÖ gelandet, sondern aus Zufall. Irgendwann, als er noch Obmann der Landjugend war, hat der ehemalige Bürgermeister an seine Tür geklopft. Ob er nicht ein bisschen mitarbeiten wolle? Dann ging alles sehr schnell. Ein Platz im Gemeinderat mit 24, Vizebürgermeister mit 27 und mit 30 die Wahl zum Bürgermeister.

Skandalaussagen wird man von Reiner keine hören. Im Moserwirt haut er nicht auf den Tisch, sondern bleibt gelassen, faltet die Hände und lächelt. Dass er die Flüchtlingskrise 2015 mit einer "Völkerwanderung" vergleicht, fällt da gar nicht mehr auf.

In Deutsch-Griffen schimpft man über das Rauchverbot in Lokalen, die Griechenlandrettung und Sozialausgaben für Flüchtlinge. Deswegen ist Deutsch-Griffen noch lange kein Nazidorf.

Drei Mal Händeschütteln

Über Jörg Haider redet man beim Moser-Wirt, als ob er noch am Leben wäre. Es gibt die Legende, dass der ehemalige Landeshauptmann jedem Kärntner dreimal die Hand geschüttelt habe. Bürgermeister Reiner kann sich an jeden Händedruck erinnern. Er nimmt einen Schluck Radler, denkt kurz nach und zählt auf: "Bei einer Straßeneinweihung, nach einem Marathon am Wörthersee, beim Flanieren in der Stadt."

Inhaltlich und rhetorisch hat Reiner mit Haider wenig gemeinsam. Aber auch er hat verstanden, wie man Menschen für die Freiheitlichen begeistern kann. Nicht mit Wahlplakaten, Postwurfsendungen oder Wutreden, nicht einmal mit Hausbesuchen. Reiner geht zu den Vereinsfesten, auf die Bauernmärkte und ins Gasthaus. Er bezeichnet seine Wähler als "freiheitliche Familie" und bindet sie so noch enger aneinander. Er geht auf die Jungen zu, fragt, ob sie sich engagieren wollen, bietet ihnen Listenplätze an, auch wenn sie noch wenig Erfahrung haben.

Wahlkampfplakate der Bundes-FPÖ wie "Die Islamisierung gehört gestoppt!" oder "Wir geben euch zurück, was sie auch nehmen!" scheinen auf Deutsch-Griffen nicht zu passen. In die Dorfschule gehen nur österreichische Kinder. Es gibt keine Ausländer, die ihren Eltern Wohnungen oder Jobs wegnehmen könnten.

Deutsch-Griffen musste nie einen Flüchtling aufnehmen. Dennoch: "Das Ausländerthema war führend – wie ein Phantomschmerz." Das sagt Walfried Prodinger, der einzige rote Gemeinderat. Auf einem Hügel über dem Dorf liegt sein Hof, den er vom Vater übernommen hat: Im Stall hält er ein paar Kühe, zwei Schweine und einige Ziegen. Rund um den Hof erstreckt sich dichter, dunkler Fichtenwald. Vor den Hof der Prodingers endet die asphaltierte Straße. Man kommt nur noch zu Fuß weiter, das Auto bliebe stecken.

Bitteres Ergebnis

So wie Walfried Prodingers Karriere als Gemeindepolitiker derzeit feststeckt. Nur noch 85 Deutsch-Griffner und damit 16,4 Prozent haben bei der Nationalratswahl SPÖ gewählt, der Großteil aus seinem direkten Umfeld: dem roten Pensionistenverband. Für einen Altfunktionär wie Prodinger, der seit 45 Jahren bei der Partei ist, ist das ein bitteres Ergebnis.

In den Siebzigerjahren, unter Kreisky, war das "Klinkenputzen" noch eine schöne Sache, erzählt er. Heute rennt er immer noch, um Wahlkampf zu machen, aber nicht mehr so schnell wie damals. Wenn ihn die Leute in die Häuser lassen, dann wollen sie mit ihm nicht über eine Vermögenssteuer sprechen, sondern darüber, dass das Sozialsystem durch die Zuwanderung bedroht sei.

Wenn er über die Hypo spricht, hört keiner richtig hin. Jetzt will Prodinger, der letzte rote Gemeinderat, nicht mehr. Die FPÖ fischt ihm mit Jungfamilienbonus und Baukostenzuschuss die Wähler weg. Am Abend, wenn Prodinger im Moserwirt auf ein Bier einkehrt, reichen ihm die Stammgäste ein blaues FPÖ-Feuerzeug, damit er seine Zigarette anzünden kann. Darauf steht: "die soziale Heimatpartei". Und Walfried merkt, dass die Wählerklientel der SPÖ die Seiten gewechselt hat.

Die Perspektive fehlt

So wie Yvonne Glanzer (28), die mit ihrem Mann Bernd und den zwei kleinen Töchtern mitten im Dorfzentrum lebt. Sie will einmal die kleine Gastwirtschaft ihrer Mutter mit Kegelbahn und Jukebox übernehmen. Vor ihren Schwangerschaften hat sie für einen Malerbetrieb gearbeitet. Nach der zweiten Karenz hat sie sich arbeitslos gemeldet.

Dann erfuhr sie, dass sie lediglich 41 Euro Notstand und 400 Euro Kinderbeihilfe bekommt, weil ihr Mann Vollzeit arbeitet. Die Jungfamilie muss mit etwa 1900 Euro netto auskommen, nebenher den Kredit für die Renovierung des Hauses abbezahlen. "Ansparen können wir nichts", sagt Bernd. Familie Glanzer hat Angst, dass es für sie und ihre Kinder nicht mehr aufwärtsgeht.

Diese Angst hat nicht nur Bürgermeister Michael Reiner erkannt, sondern auch sein Vize, Werner Mattersdorfer (49) von der ÖVP: Förster, Biolandwirt, Bauernbündler. Sein Hof liegt auf 1150 Höhenmetern. Mattersdorfer, der hier oben mit seiner Frau und den zwei Söhnen lebt, versteht es, Globales mit Lokalem in Verbindung zu bringen – zum Beispiel das Fichtensterben mit der Erderwärmung. Die Gemeindepolitik ist für ihn nur noch "Zeitverschwendung". Er tut sich schwer, junge Gesichter für die schwarze Gemeindeliste zu mobilisieren. In Deutsch-Griffen wird die Bevölkerung immer älter. Unternehmen wollen sich nicht ansiedeln, "weil die Transportwege lang und teuer sind", sagt Mattersdorfer.

Jeden Morgen steigen die Deutsch-Griffner in ihre Autos und nehmen die kurvige Straße hinunter ins Tal – 300 Höhenmeter, 22 Kilometer und meist sogar noch weiter. Am Abend kehren sie zurück in ihr beschauliches Nest. Die einzige Partei, die im Wahlkampf entlang der Dorfstraße plakatiert hat, waren die Grünen. Bekommen haben sie zwei Stimmen. Auf dem Plakat stand: "Sei ein Mann, wähl eine Frau!"

Im Moserwirt an der Theke können solche Slogans nicht überzeugen. Dort sitzt Johnny, der seinen Schnupftabak durch die Nase zieht und sagt: "Frauen sind wie Autos. Man muss sie bewegen." Oder: "Hast keinen Geschirrspüler für die Gläser? Mit der Hand machen es die Frauen eh am besten." Dann lachen alle, nur Lotte, die Wirtin, nicht. Und Johnny spitzt die Lippen und sagt: "Schatzi, gibst mir noch ein Bier?" (Franziska Tschinderle, 3.12.2017)