Haderer sieht sich selbst als "evolutionären Humanisten".

Foto: Holger Hollemann

Linz – Die Urerzählung des sogenannten christlichen Abendlandes ist im Kern ein Akt des Ungehorsams. Verbotenerweise naschen Adam und Eva vom Baum der Erkenntnis. Gott zürnt. Es folgt die Strafverbannung aus dem Paradies und das Ende der FKK-Glückseligkeit. Mit der Sünde kommen die Scham, die Furcht, die Pflicht zum Gehorsam. Die Geschichte könnte hier enden.

Wenn da nicht der Zimmermann Jesus Christus wäre, der die Sache wieder etwas verkompliziert. Er muckt auf, hinterfragt jede Regel, rettet die Ehebrecherin vor der Todesstrafe, bietet Finanzjongleuren Einhalt, hinterfragt bis hin zur Selbstaufopferung die Legitimität geistiger wie weltlicher Herrschaft.

Es ist dieses eine Bild von Christus als Rebell, das sich der Karikaturist Gerhard Haderer trotz aller Religionskritik bewahrt hat. In einem seiner großformatigen Ölbilder stellt der Künstler seinen Jesus als jemanden dar, der dem institutionalisierten kirchlichen Bodenpersonal ordentlich die Hintern versohlt. Zu sehen ist das Bild in der jüngst eröffneten Schule des Ungehorsams – einem Projekt, an dem Haderer und eine Handvoll enger Mitstreiter (darunter Sohn Christoph) seit gut fünf Jahren arbeiten.

In der Linzer Schule des Ungehorsams sollen Linke und Rechte kultiviert miteinander reden können, ...
Foto: Christoph Haderer

Forum für Vordenker

Eingerichtet hat man sich nun in zwei wandlungsfähigen Räumen der städtischen ehemaligen Linzer Tabakfabrik. Direkt gegenüber nimmt gerade das neue Valie-Export-Center seine Arbeit auf. Das Werk der feministischen Aktionistin ergänzt sich gut mit dem Satiriker, der mit 32 die Karriere als Werbegrafiker schmiss, um zeichnerisch Dampf abzulassen.

In der Schule des Ungehorsams sollen Haderers Arbeiten allerdings eher als Appetitanreger wirken, um sich ausgehend davon fundierter mit gesellschaftspolitischen Themen zu befassen. Was den Machern vorschwebt, ist ein Forum für Aufmüpfige und Vordenker, wo in Diskussionen, Vorträgen, Workshops und Ausstellungen politisch engagierte Kunst mit Philosophie, Formen des zivilen Ungehorsams und viel Spaß am Beisammensein verknüpft werden soll. Ungehorsam wolle man nicht glorifizieren, heißt es, sondern kultivieren. "Den Lärm zu Musik machen", so das Credo.

... Antifa und Occupy-Aktivisten, ...
Foto: Andrew Kelly

Aufzeigen statt Abnicken

"Man kann nicht ungehorsam per se sein, das würde in die Verblödung münden. Aber ich habe auch gesehen, dass man mit Gehorsam allein in der Versklavung endet", sagt Haderer. Seit einigen Jahren ortet der Cartoonist einen Rückzug vieler Menschen in die geschützte Privatheit, in ein Neobiedermeier. Doch statt Abnicken und Heimgehen fordert er ein Aufzeigen und Rausgehen, egal ob es um Politik oder die kleine Rebellion im beruflichen Alltag geht.

Vor allem will man vermitteln. Bei verhältnismäßig kleinen Problemen, zum Beispiel dort, wo sinnlose Behördenengstirnigkeit gemeinwohlorientierten Projekten im Weg steht, ebenso wie bei den großen, heißen Themen. Haderer plant, Satiriker und Künstler aus aller Welt einzuladen, Karikaturisten aus dem arabischen Raum etwa, die bei ihrem Kampf für Demokratie und Säkularismus ihr Leben aufs Spiel setzen.

Die Durchsetzung aufklärerischer Ideen wäre ohne ziviles Ungehorsam, die bewusste Inkaufnahme von Gesetzesübertretungen aus Gewissensgründen, tatsächlich nicht möglich gewesen. Man kann in diesem Jahr an Martin Luther erinnern oder an den amerikanischen Denker Henry David Thoreau, der vor genau 200 Jahren geboren wurde und als Erfinder des modernen Konzepts von zivilem Ungehorsam gilt. Seine Schriften beeinflussten Mahatma Gandhi, Martin Luther King oder Nelson Mandela.

Projektionsfläche für viele

In Erwartung einer rechtskonservativen Regierung werden auf das Projekt Schule des Ungehorsams, das für vorerst drei Jahre vom Land Oberösterreich gefördert wurde, gerade von linker Seite viele Erwartungen projiziert. Doch man sei weder die Heimbasis für Anarchisten mit Sturmhaube noch eine Spielwiese für Parteifunktionäre oder Millionäre mit Investitionsabsicht, die auch schon angefragt hätten. Haderer geht es um die Vermittlung eines "evolutionären Humanismus", der gedanklich nicht an den Grenzen Europas haltmacht.

... Pegida-Anhänger und Identitäre.
Foto: Christian Mang

Wenn man jüngeren zivilen Ungehorsam in den Blick nimmt, tun sich gerade diesbezüglich sehr konkrete Konfliktfelder auf. Was etwa die Bewegung Occupy Wallstreet für die kapitalismuskritische Linke war, dürfte die Identitäre Bewegung heute für die nationalistische Rechte sein. Letztere gibt unumwunden zu, ihre Form des Protests vom linken Aktivismus abzukupfern. Mit der Occupy-Parole "Wir sind die 99 Prozent!" (gemünzt auf die ungleiche Vermögensverteilung) und dem Pegida-Schlachtruf "Wir sind das Volk!" (ethnisch gedacht) werden auf der Straße derzeit zwei grundverschiedene Antworten auf die Herausforderungen einer (neo)liberalen Globalisierung formuliert.

Für Gerhard Haderer, darin bleibt er unbeirrt, ist jedenfalls der Konflikt zwischen Arm und Reich der weltweite soziale Sprengstoff, den es zu entschärfen gilt. In der Schule des Ungehorsams will er aber auch den politisch rechten Kräften, die Migration als Hauptkonflikt wahrnehmen, ein Gesprächsangebot machen.

Ob das gutgeht, wird sich zeigen. Auf der vergangenen Frankfurter Buchmesse mündete die Auseinandersetzung zwischen Linken und Rechten jedenfalls wenig kultiviert im Tumult. Auslöser war ein Streit der Streitschriften: Das derzeit viel besprochene Buch Mit Rechten reden, auf das sich auch Haderer berufen will, hat auf der Messe ein identitäres Gegenstück bekommen. Titel: Mit Linken leben. Ein Unterschied, der doch zu denken gibt. (Stefan Weiss, 3.12.2017)