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John Conyers galt jahrzehntelang als Ikone im US-Kongress – das ist vorbei.

Foto: AP Photo/J. Scott Applewhite

Es ist sechs Tage her, da stellte sich Nancy Pelosi noch schützend vor ihren Parteifreund John Conyers. Als Vorwürfe sexueller Belästigung die Runde machten, nannte sie ihn "eine Ikone in unserem Land". Sie wisse nicht einmal, wer die Frauen seien, die ihm solche Sachen zur Last legten, sie seien ja nicht wirklich aus dem Schatten getreten.

Was folgte, war eine Lawine neuer, präziserer Vorwürfe, und am Ende der Arbeitswoche riss auch die Fraktionschefin der Demokraten im Repräsentantenhaus das Ruder herum. "Ich bete für den Abgeordneten Conyers", sagte Pelosi über den 88-Jährigen, der mit Stresssymptomen in einem Krankenhaus liegt. "Dennoch, der Abgeordnete Conyers sollte zurücktreten."

Dass die Politik eine gefühlte Ewigkeit braucht, um der Brisanz der Anschuldigungen gerecht zu werden, dass man sich zunächst wie im Reflex vor den Mitstreiter aus den eigenen Reihen stellt, sich quasi im politischen Schützengraben verschanzt – es ist eine Reihe von Faktoren, die kein gutes Licht auf den Kongress werfen. Gerade auch, weil der Kontrast zur Welt der Medien, über die sich amerikanische Politiker so oft mokieren, derart ins Auge sticht.

Ungestört sein auf Knopfdruck

Bei Matt Lauer, der als Frühstücksmoderator des Fernsehsenders NBC ein Millionenpublikum in den Tag führte, vergingen nur 36 Stunden zwischen der Beschwerde einer Mitarbeiterin und seiner fristlosen Entlassung. Es sei vermutlich keine isolierte Handlung gewesen, begründete NBC-Chef Andy Lack das Ziehen der Reißleine. Nach Recherchen eines Branchenblatts der Unterhaltungsindustrie soll sich Lauer eines raffinierten Tricks bedient haben, wenn er Kolleginnen in sein Büro bestellte und sicher sein wollte, dass niemand störte. Drückte er auf einen Knopf unter seiner Schreibtischplatte, konnte er die Tür verriegeln, ohne dass es auffiel.

Bei dem Starmoderator jedenfalls wurde nicht lange gefackelt, wohl auch, weil das Publikum seiner "Today"-Show mehrheitlich weiblich ist und der Sender massiv einbrechende Einschaltquoten befürchtete. Vorausgegangen war das jähe Karriere-Ende anderer Medienmenschen von Rang. Charlie Rose, dessen Interviews bei CBS und PBS für Qualität standen, wurde ohne viel Federlesens entlassen. Die "New York Times" suspendierte Glenn Thrush, einen ihrer Korrespondenten im Weißen Haus, vom Dienst. Das National Public Radio gab Garrison Keillor, dessen lehrreiche, bisweilen skurrile Geschichten aus dem Präriestaat Minnesota eine feste Säule des Programms bildeten, den Laufpass.

Causa Moore, Causa Conyers

Im Politikbetrieb dagegen scheinen andere Regeln zu gelten, und es sind vor allem zwei alte Männer, an denen es sich festmachen lässt. Roy Moore, ein erzkonservativer Republikaner, und John Conyers, ein Demokrat vom linken Parteiflügel. Moore wischt sie weg wie lästige Fliegen, die Berichte von Frauen, die sich nach vierzigjährigem Schweigen zu Wort melden und schildern, wie er sie, die Jüngste war damals vierzehn, zum Sex zwingen wollte.

Demnächst will der ehemalige Richter in seinem Heimatstaat Alabama ein Votum gewinnen und in den US-Senat aufrücken. Um die evangelikale Rechte um sich zu scharen, stilisiert er sich als Märtyrer im Kampf für christliche Werte, dem der politische Gegner längst verjährte Geschichten anzuhängen versucht. Geschichten, deren Wahrheitsgehalt Moore bestreitet.

Ähnlich, nur politisch seitenverkehrt, liegen die Dinge bei Conyers. Aufgewachsen in der Autostadt Detroit, zählte er zu den Helden der Bürgerrechtsbewegung. Als er 1964 zum ersten Mal ins Repräsentantenhaus gewählt wurde, war er einer von gerade einmal sechs Afroamerikanern in der Parlamentskammer.

Denkmal vom Sockel stürzen

Heute, im Alter von 88 Jahren, ist er der Dienstälteste, der Doyen des Kongresses, wie sie ihn voller Respekt nennen. Ein Denkmal, das vom Sockel zu stürzen sich auch Nancy Pelosi, die Fraktionschefin der Demokraten, zunächst nicht traute. Dann aber brachte eine Ex-Assistentin namens Marion Brown den Mut auf, eine Schweigeverpflichtung zu brechen. Conyers hatte ihr vor zwei Jahren 27.000 Dollar (22.700 Euro) gezahlt, um Geschehenes unter den Teppich zu kehren. Er habe sie häufig ungebührlich berührt und ihr Sex nahegelegt, erzählt Brown. Einmal habe er, nur mit einer Unterhose bekleidet, vor ihr gestanden und sie gedrängt, ihn an seinen Genitalien zu berühren.

Nun kursieren schon seit längerem Gerüchte, wonach sich Kongressabgeordnete das Schweigen von Frauen erkaufen, indem sie teure Abmachungen treffen, für die de facto der Steuerzahler aufkommen muss. Im Falle Conyers' wird es erstmals konkret: Vielleicht ist es der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Das Land, glaubt Nancy Pelosi, nachdem sie Farbe bekannt hat, stehe im Aufbegehren gegen sexuelle Belästigung und Diskriminierung an einer Wegscheide. (Frank Herrmann aus Washington, 1.12.2017)