Wenn Europäer zur Jagd nach Afrika reisen, werden die Einheimischen oft zu stummen Dienern. In Ulrich Seidls Dokumentarfilm "Safari" sprechen die Lodge-Mitarbeiter kein Wort.

Foto: Ulrich Seidl Filmproduktion

Ulrich Seidl wurde gerade 65 Jahre alt. Der Regisseur, Drehbuchautor und Produzent widmete sich in der 2012/13 erschienenen Filmtrilogie "Paradies" intensiv dem Thema Urlaub. Im Dokumentarfilm "Safari" aus dem Jahr 2016 griff er es erneut auf. Aktuell arbeitet er an "Böse Spiele", der 2019 in die Kinos kommen soll.

Foto: Sepp Dreissinger

Szene aus Seidls Film "Paradies: Liebe": "Zum Thema Urlaub und Tourismus könnte ich wahrscheinlich unendlich viele Filme machen."

Foto: APA/STADTKINO

STANDARD: Herr Seidl, haben Sie schon einmal eine Safari gemacht?

Seidl: Nein! Oder doch: eine Fotosafari in Kenia.

STANDARD: Deshalb die Frage. Auf Arabisch oder Swahili bedeutet das Wort bloß "Reise", nicht "Jagdreise". Glauben Sie, dass viele Menschen bei "Safari" ans Jagen denken?

Seidl: Ich glaube gar nichts, das müsste man sich genauer anschauen. Ich bin jedenfalls noch nie auf die Jagd gegangen, nicht in Österreich und nicht in Afrika. Das interessiert mich nicht.

STANDARD: Aber Afrika interessiert Sie.

Seidl: Das ist tatsächlich so. Filmisch habe ich Afrika vor allem durch meine "Paradies"-Trilogie kennengelernt, allerdings war ich vorher schon oft privat dort. Dieser Kontinent – und ich kenne ja nur einen sehr kleinen Teil davon – zeigt enorme Unterschiede zu unserem westlichen Leben, zu unserem ganzen Sein. Auf der einen Seite gibt es dort unglaubliche Schönheit, auf der anderen fürchterliche Grausamkeit.

STANDARD: Beruflich sind Sie wegen der Grausamkeiten dort?

Seidl: Beruflich hat es damit begonnen, dass ich einen Schauplatz für meine Sugar-Mamas (meist ältere Frauen, die für den Lebensunterhalt jüngerer Männer im Gegenzug für Gefälligkeiten aufkommen, Anm.) im Zuge von "Paradies: Liebe" gesucht habe. Sugar-Mamas gibt es zwar auch in der Karibik und anderswo, aber ich habe mich bewusst für Afrika entschieden, weil wir Europäer geschichtlich stärker mit diesem Kontinent verbunden sind, ihm näher sind. Und die Verhältnisse, die heute in Afrika herrschen, haben mit der Ausbeutung durch Europa zu tun.

STANDARD: Woher kommt Ihr Interesse am Thema "Urlaub"?

Seidl: Zum Thema Urlaub und Tourismus könnte ich wahrscheinlich unendlich viele Filme machen. Zum einen kann man dabei gut das Verhältnis der Menschen zueinander darstellen, zum anderen wird die wirtschaftliche und kulturelle Ausbeutung bei diesem Thema sehr gut sichtbar. Man könnte sich natürlich auch generell über die Sinnhaftigkeit des Reisens Gedanken machen.

STANDARD: In "Safari" ist das gemeinsame Urlaubserlebnis das Töten von Tieren. Ist das nicht seltsam?

Seidl: Das war für mich tatsächlich eine erstaunliche Beobachtung beim Drehen: Über das Töten von Tieren kommen einander Menschen näher, Vater und Sohn, Mutter und Tochter. Man sieht ganz deutlich, wie diese gemeinsame Erfülltheit, diese Freude entsteht, indem man ein Tier tötet. Eine unerwartete, in seiner Dimension schreckliche Erkenntnis!

STANDARD: Aber in Wirklichkeit ist Jagdtourismus doch ein Nischenprogramm. Welche Relevanz hat das Thema?

Seidl: Ich weiß nicht, ob es wirklich eine Nische ist. In jedem Fall ist es ein Thema, das etwas über unsere Gesellschaft sagt. Im Extremen kann man Dinge einfach besser darstellen, die letztlich für uns alle gültig sind. Wenn ich mir das als Zuseher anschaue, muss ich mich zumindest immer fragen: Und wo stehe ich?

STANDARD: Worin unterscheiden sich denn Jagdtouristen von Pauschalreisenden? Eine Dame in "Safari" liest Tiergattungen und deren Abschusspreise vor, als würde sie die Cocktailkarte an der Poolbar studieren.

Seidl: Tatsächlich ist der Unterschied gar nicht so groß, denn diese Art von Jagdreisen sind Pauschalreisen. Man bestimmt vorab, welches Budget man hat, in welches Jagdgebiet man dafür reisen und welche Tiere man schießen kann. Man stellt sich die Arten, die man töten will, zusammen wie ein anderer eine Rundreise. Doch diese Art von Reisen ist sowohl legal als auch leistbar geworden.

STANDARD: Was halten Sie vom Argument Ihrer Protagonisten, die sagen: "Es braucht Jäger, die die alten und kranken Tiere schießen, damit die Population gesund bleibt"?

Seidl: Ehrlich gesagt nicht viel. Man braucht als Jäger allerdings eine Rechtfertigung für das, was man tut.

STANDARD: Hat das Argument, dass Jagdtouristen viel Geld im Land lassen, etwas für sich?

Seidl: Das ist reiner Blödsinn. Das Geld bekommt der Besitzer der Lodge, weil es sich um eine Gatterjagd handelt – es ist alles eingezäunt. Er ist auch Besitzer der Tiere und kann welche dazukaufen oder aufziehen.

STANDARD: Sie sagen aber auch nicht: "Das sind schon seltsame Typen, diese Urlaubsjäger."

Seidl: Nein, diese Geschichte steht für uns alle. Es geht überhaupt nicht darum, einzelne Menschen auszustellen. Die Protagonisten sind immer beispielhaft für das Gesamte. Darum ging es mir auch beim Film "Im Keller". Da werden viele Zuschauer gesagt haben: "Na und? Betrifft mich nicht, weil ich gar kein Nazi bin." Und trotzdem sagt es etwas über unsere Gesellschaft aus, weil diese Nazi-Keller existieren und viele andere in dem Dorf, in der Gemeinde davon wissen. Deren Wurschtigkeit ist das Interessante.

STANDARD: Wie wurscht war es denn manchen Protagonisten, in "Safari" rassistische Dinge vor laufender Kamera zu sagen? Oder meinten sie, das sei gar nicht rassistisch?

Seidl: Die Leute wissen, dass es rassistisch ist, finden es aber richtig. Am Rande der Dreharbeiten fiel zum Beispiel der Satz: "Ich bin keine Rassistin, aber Juden und Neger mag ich halt nicht." Der Satz wurde niemals gedreht, sondern ist nur in Gesprächen gefallen. Aber prinzipiell stehen die Leute zu dem, was sie sagen.

STANDARD: Die Einheimischen sagen in "Safari" gar nichts. Warum?

Seidl: Das war eine künstlerische Entscheidung, weil ich zeigen wollte: Genau das ist ihr Status. Sie sind zwar die viel besseren Aufspürer, kommen aber nie als Jagdführer zum Einsatz. Diesen Job machen ausschließlich Weiße. Da steckt eine ganz klare Hierarchie dahinter, die sich seit der Kolonialzeit nicht geändert hat. (Sascha Aumüller, RONDO, 7.12.2017)